Samstag, 17. März 2012

Eine ereignisreiche Woche Teil 1

Am Ende einer recht atemlosen Woche, was bleibt? Zunächst die Erinnerung an einen sehr bemerkenswerten Text des Schülers Pablo. Bemerkenswert wegen der Konzentration, mit der er angefertigt wurde. Bemerkenswert wegen seines Inhalts. 
Weder kann sich Pablo sonst über längere Zeit ruhig halten, noch scheint er sich auf eine Sache konzentrieren zu können - soll heißen, dass ihm immer alle Dinge gleich nah bleiben. Es gelingt ihm nicht, zugunsten einer Sache alle anderen auszublenden oder auf Abstand zu halten-, noch gibt Pablo gewöhnlich irgendeinen  Einblick in seine Gefühlswelten. Alles drei hat er mit diesem Text hervorgebracht, ohne sichtbare Mühe, ohne Wackelei. Mit großer Intensität. Hier ist noch einmal der Text:


An diesem Tag war Pablo mental da, wo sein Körper war, in der Schule. Er war nicht abwesend, obwohl körperlich vorhanden, er war anwesend. Er richtete, ohne dass man ihn dazu aufgefordert hätte, seinen Blick auf seine innere Situation, genau das, was wir immer bei ihm ausgraben möchten. Er denkt dabei an Andere. Er sagt: Danke.
Bei all dem scheint sozusagen spiegelschriftlich hervor, WIE unangenehm Pablo sein ganz normaler Schulalltag sein muss, in dem er sonst fast nie einen Tritt findet, um auf den Zug des Geschehens aufzuspringen. Als ich ihn kennenlernte, stand er, wenn man ihn ließ, stundenlang am Fenster und schaute hinaus, mit der allergrößten Intensität schaute er hinaus.

Gestern gelang es mir, noch ein wenig zu lesen. Dieses Buch hat es mir angetan:

Christoph Türcke, seines Zeichens Philosoph, zieht eine Linie von der menschlichen Entwicklung allgemein zur Individualentwicklung und versucht das sehr unscharfe Syndrom, das mit dem Namen ADHS belegt wird (Aufmerksamkeits-Defizit-Hyperaktivitäts-Syndrom), kulturell und philosophisch einzuhegen. Das ist ein sehr interessanter Versuch.
Er beschreibt, wie aus seiner Sicht das Allgemeine, das Gesellschaftliche,  in seiner Entwicklung  und das Besondere, das Persönliche in dieser Frage zusammenhängen: 
Zunächst beschreibt er, wie das Auftauchen bewegter Bilder, also von Filmen, auf die  Psyche und das neurologische System wirkt, nämlich als ein Schock. Jeder Bildschnitt ist ein kleiner Schock und Zwang zur Um- und Neuorientierung und wie die Menschen damit umgegangen sind, als sie noch nicht von diesem Medium geprägt waren. Sie hatten also kulturell noch Ressourcen, die sich nicht aus den bewegten Bildmedien speisten. Sie konnten reflexiv mit dem Medium umgehen, weil ihr Bewusstsein nicht davon geprägt war.
Anders sieht es aus, wenn Kinder hiermit aufwachsen und Situationen dauerausgesetzt sind, in denen eine ständige Fernsehberieselung stattfindet (Jeder weiß, dass man von einem laufenden Bildschirm mit bewegten Bildern nur sehr schwer und mit Anstrengung den Blick wenden kann...unsere "Natur" als Jäger...) und diese Kinder einer stets mit diesen Medien aufgeteilten Aufmerksamkeit der sie umgebenden Erwachsenen ausgesetzt sind.

Türcke sagt, dass Kinder hierdurch einen wichtigen Entwicklungsschritt nicht machen können, den die Menschheit vor vielen Jahrzehntausenden machte und den jedes Kind etwa ab dem Alter von neun Monaten beobachtbar macht: Es richtet seine Aufmerksamkeit nicht nur auf den Erwachsenen oder ein Ding wie vorher (Diade), sondern MIT dem Erwachsenen auf ein Drittes (Triade) und das ist die Geburt der Gemeinsamkeit mit Anderen und der Konzentration auf Etwas gleichermaßen.

Kinder, die in dieser Phase nicht ausschließliche Zuwendung ihrer Erwachsenen hatten, in der diese Triade: Ich und der Erwachsene wenden uns etwas/jemandem gemeinsam aufmerksam zu, nicht wesentliche Struktur war, können ausschließliche Zuwendung auf Personen, auf Dinge, hinfort nicht bilden. Wenn sie die Aufmerksamkeit der Erwachsenen mit ruckelnden Bildfolgen, die sie nicht verstehen konnten, teilen mussten.

Hier sieht Türcke die Genese der Aufmerksamkeits-Konzentrationsstörung, wie wir sie in den Schulen beobachten. Hier möchte ich einmal stoppen. Ich finde den Gedanken allzu interessant und werde den Gedankengang weiter verfolgen.

Im Unterricht bewegen wir uns im Fach Geschichte derzeit auf die Steinzeit zu, und hier sind die Lebensweisen und mentalen Unterschiede zwischen Altsteinzeit und Jungsteinzeit entscheidend und bis heute spürbar. Das wird mir immer klarer. Was mir auch immer klarer wird, ist, dass mit jedem schulischen geschichtlichen  Durchgang durch diese Zeiten bei mir persönlich immer mehr "Fleisch auf die Knochen" kommt, ich immer stärker das Gefühl habe, diese Dinge, die damals und dort geschehen sind, sie haben eine große Bedeutung für unser Leben, für unsere Vergangenheit, unsere Gegenwart und unsere Zukunft! So fallen auch die Gedanken des Christoph Türcke über ADHS bei mir nun auf sehr fruchtbaren Boden.
Aber mit den Gedanken über die letzte Woche bin ich noch gar nicht weit gekommen....

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