Samstag, 3. März 2012

"Du hast doch nicht geworfen!"

Am Freitag in der ersten Stunde war Ali superaufmerksam und arbeitete vorbildlich mit. Dann, nach der Pause, standen ihm die Stacheln alle senkrecht. Zuerst habe ich es nicht verstanden. Sagte zu ihm: "Geh in die Bücherei und leihe Dir ein Buch aus. Wir werden auch so zusammen lesen üben, wie es Peter macht!" Er schreit:"Ich geh nicht dahin! Es ist mir egal! na und? Bücher sind doof! ich hasse Bücher!" Diesen Satz hatte man vor zwei Jahren täglich von ihm zu hören bekommen. Doch etwa seit einem Jahr nicht mehr.
Da ich mit der Aufmerksamkeit beim Unterricht mit der ganzen Klasse war, habe ich's zuerst nicht begriffen, nicht einordnen können. Musste ihn sozusagen mit vorgehaltener Pistole zwingen, da hinunter zu gehen. Er kam nicht wieder, musste geholt werden, war immer noch stinksauer. In der Zwischenzeit, als er weg war, wandte ich mich in meiner Hilflosigkeit an die Klasse: Was ist denn mit DEM los? Der war doch vorhin noch ganz friedlich?? Dann kam es: Zögerlich zuerst von anderen (Dürfen wir das sagen? Würde er das gut finden?): 
Unsere Schulleiterin hatte vom Fenster aus gesehn, wie er Steine auf andere Schüler warf, war gekommen und hatte ihn zur Rede gestellt. Das war des Rätsels Lösung. Die Jungen: Nein, er hat nicht geworfen!! Ich zu ihm später: Sollen wir zu ihr hingehen? Nein, das wollte er nicht. Wirkte aber irgendwie verzweifelt dabei. Deshalb dachte ich, ich spreche mit ihr noch einmal darüber.

Zuerst trieb ich ihn in die Bücherei hinein und suchte ihm autoritär ein Buch aus, ein Sachbuch über die Eiszeit: "So, hier liest Du jetzt jeden Tag drin. Drei Seiten leise, eine davon mehrfach laut. Am nächsten Tag erzählst Du mir, was drinsteht, und liest laut daraus vor. Protest hoch drei. In der Bücherei war er auch aufgefallen. Ich zwinge ihm das Buch auf, er soll draußen anfangen, darin zu lesen. In dem Zustand zerhackt er mir die ganze Klasse. Ja, quasi nebenbei lief da noch Unterricht mit Arbeitsaufgaben.
Später sprach ich die Schulleiterin an. Sie zeigte mir in einem Eimer die Steine: Ich hätte Fotos machen sollen, so schlimm sah das aus: Überhandgroß mit scharfen Kanten, Betonbruchstücke. Sie hatte ihn persönlich damit werfen gesehen!
"Tut mir Leid", sagte sie, "dass Du jetzt damit so viel Arbeit hast!" "Wieso muss Dir das Leid tun",  guckte ich sie an: "DU hast doch nicht geworfen!"

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