Freitag, 31. August 2012

Kneteorgie und so Bauchgefühle

Wochenende. Vierte Schulwoche beendet. Die neue Arbeitszeitstruktur führte zu weniger Erschöpfung, zeigt aber auch ihre stachligen Seiten: Ich werde das, was sich als zu Korrigierendes anhäufte, nicht mehr lange ignorieren und beiseitelegen können.
Erstens fehlen Anschluss und Rückmeldung für den Lernprozess, der ja weiter gehen soll.
Dann nehmen einen Schüler nicht mehr ganz so ernst, wenn immer alles ewig liegen bleibt, bevor es zurückgegeben wird. Deshalb habe ich mir etwas davon mitgenommen. Denn heute habe ich das Lehrerprivileg doch genutzt, sich die Zeit selbst einteilen zu dürfen und war um 12 Uhr 30 schon aus der Schule draußen. 5 1/2 Stunden. Da fehlen noch 1  1/2 h.
Manchmal brauche ich erst wieder eine Erholungsphase, um gut weiterschauen und -planen zu können, in der Erschöpfung und mit mangelndem Abstand von der Sache gelingt mir dann nichts wirklich Gutes, also, wovon ich selbst überzeugt bin.
Überzeugt war ich heute von unserer Gruppenarbeit. Das war die mit der Knete, berlinerisch gesprochen.
Auf ein Brett sollte ein grober Umriss von Deutschland gezeichnet werden, hierauf mit Knete die Großlandschaften Norddeutsches Tiefland, Mittelgebirge, Voralpen und Alpen platziert werden. Dann begann die etwas schwierigere Phase: Im Atlas genau nachschauen, wie die Flüsse heißen, wo sie fließen und die Mittelgebirge richtig in das Ganze hineinsetzen.

Genaues Hinschauen ist wichtig.



Und ein gutes Miteinander.



 Hier erkennt man schon die Großlandschaften und die Flüsse Rhein, Mosel, Donau und einen Teil der Elbe.

  
Es scheint, dass manche hier nicht zufrieden ist, weil sie nicht gleichberechtigt mitarbeiten darf. Mit Recht anscheinend. Das kam bei der Auswertung anschließend zur Sprache.


Hier wird Deutschland ausgelegt.

Von der Anordnung und der materialreichen Beschäftigung mit der physikalischen Landesstruktur habe ich mir eine größere mentale Verankerung versprochen als wenn man nur auf die Karte geschaut hätte. Im Grunde rekonstruiert man die Abstraktion der Karte zurück in ein reliefartiges Landschaftsgebilde. Es gibt verschiedene Ansätze und Ideen. Manche vermischten Kneten, um Farbabstufungen zu erhalten, andere teilten sich die Portionen systematisch auf.
Am Montag werden wir im Kreis alle Produkte anschauen und über sie sprechen und schauen, wie es weiter gehen soll. Es sollen die wichtigsten Flüsse und Gebirge, vielleicht auch Städte erkennbar sein.Man kann die Reliefs, wenn man Zettelchen oder Fähnchen dazu bastelt, als Quizgrundlage zum gegenseitigen Abfragen nutzen.
In allen Gruppen war die Zusammenarbeit einvernehmlich, die gegenseitige Abstimmung der Arbeit förderlich. In einer Gruppe waren zwei nicht zufrieden, hatten aber auch keine Impulse gezeigt, dies zu verändern. Interessant.

Vorher hatten wir eine kleine Lernkontrolle über die Bundesländer und ihre Hauptstädte geschrieben. Das war also ein sehr erdkundlicher Tag heute.

Hier trage ich noch ein Tafelbild nach, das Begriffe zeigt, die wir miteinander klärten, als wir den Film über die Mondlandung schauten. das war vor einigen Tagen.
 
Merakli (ohne i-Punkt) heißt auf türkisch "neugierig", ein Pendant zu "curious", das den Namen der Marssonde "Curiosity" inspirierte. 

Interessant fand ich heute ein kleines Gespräch mit einer Kollegin, sie hatte mit ihren Schülern gegessen und alle hatten sich fürchterlich aufs Essen gestürzt, woraufhin sie gesagt hatte, sie benähmen sich, als ob sie zu Hause nichts zu essen hätten.
Daraufhin erhielt sie den Anruf einer türkischsprachigen Mutter, die sich sehr beschwerte, dass ihnen unterstellt würde, Türken hätten nichts im Kühlschrank...
Das sind Anzeichen von Aneinander Vorbeireden, die schwierig und anstrengend sind.
Was ist da los? fragten wir uns. Wir haben alle ähnliche Erlebnisse und sind darüber gar nicht froh.
Der Schulkonflikt, der durch die Presse ging, hat die Stimmung allgemein nicht verbessert. Stetig sieht man Elterngrüppchen, die sich erregen oder uns Lehrer extremst mustern, wenn wir die Treppe herunterkommen etc. Es sind da unangenehme Dinge dabei, die über das hinausgehen, was man sonst wahrnimmt, an affrontativen Verhaltensweisen, wo uns immer irgendetwas Feindliches unterstellt wird, das aber gar nicht von unserer Seite kommt. Wir waren der Meinung, dass man diese Dinge auch einmal ansprechen muss. Wenn man keine richtigen Worte dafür findet, was das eigentlich ist, was einen belastet, ist das auch ein Zeichen. Es ist seit dem Konflikt etwas von Argwohn und Misstrauen in der Schule "hängengeblieben". Etwas, das sehr schwer oder fast überhaupt nicht zu Worten kommt, ansprechbar ist und gleichwohl belastet. Etwas, das niemand hören will. Etwas, das mir selbst noch nicht so klar ist, obwohl es als ein Gefühl vorhanden ist.
Zum Abschluss war da noch ein Gespräch mit einer Kollegin, es ging um Sonderschule, Inklusion und die halbherzige Nichtfinanzierung von in den Medien großspurig verkündeten Zielen, deren scheinhafte "Realisierung" auf dem Rücken der betroffenen Kinder und auch der Lehrer und Erzieher stattfindet.
Immerhin zweimal eine Auseinandersetzung an diesem Tag mit politischen Rahmenbedingungen unserer Arbeit. DAS war schön!!!
Jetzt muss ich leider hier weg, muss jemanden sehr Lieben zum Flughafen bringen und mich jetzt sputen, sehen, wie ich mit der Karre am besten dorthinkomme, Straßen oder Autobahn.... Also bitte nicht zu sehr auf die Fehler hier schauen. Und: schönes Wochenende!!!

Donnerstag, 30. August 2012

Wer ist Hammer, wer ist Amboss?

Heut mag ich nicht so gern schreiben. Das Gefühl, mit dem ich um 15.45h Uhr nach Hause gekommen bin, war nicht soo gut.
War heute um 7h15 am Platz meines Wirkens und war bis 15.30h in Aktion. Macht 8  1/4 h, Pause war nicht.
Aber was? In den ersten beiden Stunden war Mathe. Die Schüler erwarten den Test schon zurück, dabei habe ich noch gar nicht mit der Korrektur angefangen. Wir arbeiteten ganz gut an dem Mathematerial und lösten ein paar Tafelaufgaben als Ausblick auf die nächste Woche.
Dann war Pause. Ich sollte in der 3. und 4. Std. vertreten, weil Lars' Kollegin fehlt und er sollte in seiner Klasse sein. Da ich ein Elterngespräch terminiert hatte, konnte ich es mit unserem Konrektor und Gabriele zusammen regeln: Gabriele würde mit den Kindern Werner Herzogs Film  "Die Höhle der vergessenen Träume" schauen, während ich das Gespräch führte, in der vierten Stunde habe ich die zusätzliche Vertretungsstunde (Danke-Senat! : /), die sollte auch in der Klasse sein. In der 5. Stunde war Teamgespräch und Alis Mutter kam.
Zu Beginn der 3. Stunde rollte Lars mit seinen Materialien in den Raum. Er hatte von der Umstellung gar nichts mitbekommen, war topvorbereitet und hatte alle Sachen dabei!
Seine Erzieherin bekam das mit, rannte los und bot ihm an, dass sie mit ihrer Kollegin zusammen am Wochenplan in der 3. Klasse arbeiten würde, in die Lars jetzt gehen sollte, dann könnte er doch hier weitermachen.
Ist das kollegial???? Aber wie!! Er nahm an und ich rollte den Fernseher wieder weg. Die Kinder mussten sich heute zum zweiten Mal umstellen....

Maries Mutter kam, Marie nahm am Gespräch teil. Was sich da offenbarte, war gar nicht schön. Marie war mit blauen Flecken von der Klassenfahrt heimgekommen. Sie wird ständig von einigen Jungen geärgert, selbst die Mädchen, mit denen sie stets zusammen ist, lachten teils mit, wenn sie ausgelacht wurde.
Sie wollte die Schule wechseln. Ein Waterloo. So ohnmächtig ist man. Dabei passe ich auf wie ein Luchs und denke, so viel entgeht mir nicht. Fehlanzeige. Da hängt wohl einiges schief.
Ich hatte Maries Mutter eingeladen, weil einige Dinge passiert waren zwischen Ali und Marie und Marie hatte "sich gewehrt", darauf hatte Ali immer noch zugelegt und die Dinge waren immer schlimmer geworden. Marie sagte, ihre Mama hätte gesagt "Wehr Dich!" Kann man verstehen. Ali war bis zu ihnen nach Hause gegangen, zusammen mit Mesut, hatte dort geklingelt, gefragt, wo denn der große Bruder sei, mit dem sie ihm gedroht hatte. Es war bei ihr eine hilflose Reaktion auf seine Verfolgungen gewesen, mit dem Bruder zu drohen. Als die Mutter herauskam und ihm den Finger aufs Hemd setzte - Er: "Sie hat mich vorne am Hemd festgehalten, so!" Sie: "Ich habe ihn leicht mit dem Finger vorn berührt."- war er sehr in seinen Menschenrechten schwer beeinträchtigt gewesen. 
An dem Folgetag hatten wir mittags darüber zu dritt gesprochen. Es sollte nicht weitergehen, versprochen, Funkstille, nix passiert mehr.
Am nächsten Tag erzählt Selena, sie und Marie seien mit Marie und ihrem Hund unterwegs gewesen und von Ali und Mesut bis in den Wasserturm, ein Jugendzentrum, verfolgt worden. Am gleichen Tag unseres Gesprächs!!!
Als dann Ali den Buchladen aufmischte und die Klasse belog, sie habe keinen Sport, wo sie doch Sport hatte, hatte ich der Mutter diesen Brief geschrieben. 
Um 12 Uhr kamen Mutter und großer Bruder.
Sie kannte den Brief nicht. Der Einschreibebrief lagerte noch auf der Post. Fast eine Stunde schreiben, eine halbe Stunde auf der Post warten, 4,75 Euro bezahlen, und sie holt ihn noch nicht einmal ab?
Ali kennt keine verbindlichen Regeln. Er kann sehr charmant sein und hatte ein paar Tage durchgehalten. Doch seit gestern kam die andere Seite wieder heraus. Ich sage, dass ich jetzt immer anrufe, wenn etwas passiert. (Warum mach ich sowas? Es macht mich fertig.)
Maries Mutter rufe ich jetzt jeden Freitag an, damit wir uns austauschen können. Marie soll uns alles erzählen. Selbst nichts machen. (Es macht mich doppelt fertig.)

Was aber erfreulich war: Alis Mutter wollte Maries Mutter anrufen und sich entschuldigen. Wir baten sie, Ali zur Hand zu gehen, damit er das macht.

Ich muss mit den Freundinnen reden. das geht so nicht. Aus so etwas KANN man sich nicht heraushalten.
Aber bei den Jungen ist es genauso. Einige ruhige zeigen Verhaltensweisen, die man sonst nicht von ihnen kennt. Sie haben Angst, sie könnten selbst zur Zielscheibe werden.
Gabriele und ich sitzen im Raum, sind noch quasi erschlagen von den Niederträchtigkeiten, die von drei bis fünf Jungen ausgehen.
Da rummst es draußen gegen die Wand, mehrfach. ich raus, Bastian und Hans verschwinden elegant in der Klasse, "Kommt mal her!" Sie haben gegen die Wände getreten, um Taekwondo oder sowas zu üben.
Krass. Eintrag Klassenbuch. Bastian erzählt Lars später, er wolle die Schule wechseln, das sei ja ganz furchtbar hier.
Ich glaube, sie haben eine so große innere Unordnung, dass sie unsere, meine Ordnungsversuche, Regeleinhaltungsversuche, als Einmischung in ihr Privatleben empfinden. So kam es bei mir an. 
Im Moment ist keine gute Zeit. Machtkampf an allen Ecken. Wer ist Hammer, wer ist Amboss. Keine Lust auf sowas. Aber nur für Lust bekomme ich nicht mein Geld. Nur, wenn ich keine Lust habe, habe ich auch keine Ideen.
Könnte Lust bekommen, morgen meine Nebenhöhlenentzündung auszukurieren.
Ich fahre dann noch zu dem Bastelgeschäft in Schöneberg und hole die Knete für morgen. Plastillin.
Dann zurück zur Schule und die gefühlten tausend Kilo Knete abladen. In der Wollwerkstatt tagt eine Gruppe. Die Leiterin hatte mir vor einiger Zeit einen Zehner für die Schafe gegeben, ich sollte ihr eine Handytasche filzen.

Die rechte ist es.
 
 
Rechts sind Vorder- und Rückseite der gleichen Handytasche zu sehen.

Filzte ihr zwei zur Auswahl. Sie nahm sie beide. So sind die Leuz. Eigentlich mag ich sie richtig gern. Doch: An einem arbeite ich mindestens drei Stunden. Für fünf Euro plus Material? Da kommt gar nichts für den Unterhalt der Schafe dabei raus. Es ist zum Verzweifeln. Wie gesagt, heut ist nicht mein Tag. Die goldenen Sterne müssen woanders liegen......
Beim Nachhausefahren mit dem Rad traf ich Manuel, der seit dem neuen Schuljahr nicht mehr bei uns zur Schule geht.
Manuel lachte mich an auf seine zurückhaltende Art, ich stieg ab und fragte ihn, wie es ihm so geht. Es geht ihm sehr gut, sagt er, er kommt gut mit und er fühlt sich wohl. Manuel erzählt nicht etwas, um Eindruck zu machen, er sagt, was er denkt, das kenne ich von ihm. Er ist in seinem Verhalten gänzlich unprätentiös. Dass er sich wohl fühlt, kann ich sehen, an seinem Teint: Er wirkt so entspannt im Gesicht, so frisch, so rosig, und ich kenne ihn  so, wie er oft war, blass,  sehr angespannt,  gestresst. 
Ich freu mich, sage ich zu ihm, ich war immer gern Deine Lehrerin, aber ich freu mich für Dich, dass es endlich mal einfach nur schön ist! Ja, und das stimmt. Ich freue mich sehr, ihn so gesehen zu haben. Er hat nach vielen Jahren seinen Platz gefunden. Wie schön! 
Er war das Ziel vieler Attacken gewesen zusammen mit Markus, der auch nicht mehr da ist.....Ich hatte es trotz großer Aufmerksamkeit auf diesen Punkt nicht verhindern können. Waterloo.

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Dienstag, 28. August 2012

What enhances the hands, enhances mind, too.

Der Wahlpflichtunterricht war heute sehr schön. Wir filzten weiter Bälle zum Jonglieren und begannen, die Säckchen zu nähen. Die vier Mädchen aus der Fünften hatten noch nie in ihrem Leben eine Nähnadel in der Hand gehabt, wobei die Herren im Kurs geschickt mit ihren Nadeln und dem Stoff hantierten. Übung ist eben alles.


  Schöne Dinge mit Atmosphäre aus der Wollwerkstatt.


  
Wenn man etwas zum zweiten Mal macht, geht es schon sehr gut.


  
Hier nähen zwei Herren sehr geschickt. Der dritte, Tobi,  hält ihnen ein schönes Gespräch. Auch das gehört zum Handwerk und zur Handarbeit dazu. 

Am Ende des Tages, nachdem sich die schöne Stimmung so richtig in meiner Seele ausgebreitet hatte (Ich DARF das mal so sagen, bitte!), dachte ich daran, außen an die Tür der Werkstatt zu schreiben, dass man bitte NIE vergessen solle, dass das griechische Wort für Schule, SKOLÉ, damals gleichzeitig auch das Wort für "Muße" war. Niemals vergessen, bitte!
Wahrscheinlich ging das damals so gut, weil in der Zeit, wo die Herren müßig gingen, die Frauen und die Sklaven die Arbeiten verrichteten und so am Ende des Tages doch ein schönes Essen auf dem Tisch stand etc. etc.....

Bastian kann jetzt sogar schon die Knoten am Ende des Fadens machen, so dass der Faden am Stoff festhält. Toll!
Auch Peter macht das alles schon sehr geschickt und selbstständig. Er braucht praktisch keine Hilfe mehr.

 Pablo bearbeitet versunken seinen Ball.


Die Bälle von heute und die angefangenen Aufbewahrungssäckchen.

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In der dritten Stunde stand eine Lernkontrolle über die Anfänge der Bruchrechnung an. Eine kleine Gruppe arbeitete mit ihrer Förderlehrerin im Nebenraum, die größere Gruppe wurde erst eingeführt und arbeitete dann los, und man konnte bald kleine Rauchwölkchen über den Köpfen aufsteigen sehen... Selena protestierte, als sie abgab, das sei ja wohl das anstrengendste Mathe überhaupt gewesen....Es waren all die kleinen Übungen aus dem schönen Büchlein, aber doch einige hintereinander. "Selena", meinte ich, "Du willst aufs Gymnasium gehen, da musst Du schon hier auf der Grundschule lernen, hart und längere Zeit zu arbeiten und an Deine Grenzen zu gehen, sonst wirst Du Dich hier nicht mehr steigern und dort zu schnell mit der Arbeit fertig sein wollen."
Alle gaben ihr Bestes, und ich werde eine ganze Menge zu korrigieren haben. Das wird interessant. Jede der kleinen Aufgaben gehört zu einem Lernziel, und so wird sich ein Kompetenz- oder Förderprofil ergeben. Das ist doch spannend!
Zum Beginn der Stunde kam Matti. Ich bat ihn, mit Ali lesen zu gehen, so kann Ali dann später noch die Arbeit alleine nachschreiben. Allein, ich hab es dann vergessen, und Ali erinnerte mich erst daran, als gar nichts mehr ging. Egal, er holt das noch nach. Mathe ist seine ganz starke Seite. Das bekommen wir schon hin. Später ging Matti mit Selena und Kasia noch in unsere schöne Schulbücherei. Die beiden waren sooo froh, weil sie Matti so cool finden. Wenn er die Klasse betritt, gibt es einen Begeisterungssturm. Ich finde, er hat ihn verdient, aber wahrscheinlich jubeln die Kinder so sehr, weil sie sonst eben nur Frauen in der Schule sehen und begrüßen deshalb Kerstin nicht mit der gleichen Verve, obwohl sie das auch verdient hätte...
Kerstin kam heute nämlich auch und stellte mit Cherrii den Text zum Linoldruck für das Druckereibuch her, während Bastian schon seinen Text setzte.


Ich hab mich gestern schon auf den Tag heute gefreut. Ich freu mich so, wenn Menschen kommen und uns so wichtig finden, dass sie uns von ihrer Zeit abgeben und einen kleinen Moment mit uns im gleichen Strom schwimmen. Das IST schön! das ist ein Geschenk! Das sind junge Leute! Junge Leute haben so viel zu tun! Kerstin ist Studentin und allein erziehende Mutter einer Viertklässlerin. 


Matti ist Juradoktorant. Und weil er das ist,  teilte er mir heute die Superidee mit, die wir umsetzen werden: Wir sprachen ja letztens über das Grundgesetz und die Grundrechte. Selbst hatte ich auch schon sachte die Idee gehabt, bei der Bundeszentrale für Politische Bildung einen Klassensatz Grundgesetze zu bestellen. Matti aber meinte zusätzlich zu dieser Idee, die er auch hatte, er würde einmal darüber mit der Klasse sprechen!!! Jetzt aber nichts wie die Dinger bestellt, damit daraus bald etwas wird.

It's hard to be a pupil like me...
 
In der Deutschstunde ging es noch einmal über Satzgefüge und Satzreihen. Das ist das Vollkornbrot des Schultages. Das muss gut gekaut werden.

Zum Abschluss des Tages probierte ich noch eine Handytasche aus, Modell Höhlenmalerei. Muss ja auch mal etwas Neues ausprobieren....Jetzt duften meine Hände noch nach der seifigen Wolle, und WIE gut das riecht!


 
Dann war es halb drei und ich war schon 7 1/2 Stunden in der Schule gewesen. Es hatte viel Freude gemacht und die Verausgabung und die Stärkung durch das, was Freude macht, hielten sich gut die Waage.

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Freitag, 24. August 2012

TGIF und der Anwalt mit dem Regenschirm

TGIF 

Das hatte ich wohl schon mal gehört. Als ich es heute auf Twitter sah, musste ich - ähem - erst einmal bei www.metager.de , meiner Lieblings-Suchmaschine, sie wird von der Uni Hannover betrieben, nachsehen: Thank God It's Friday.

Das ist also jetzt auch bis zu mir durchgedrungen.

Nachtrag zu gestern: Wir sitzen im Kreis, sprechen über den Schulkonflikt mit den ersten Klassen, der durch die Presse ging. (Wieso sagt man eigentlich noch Presse? Da wird nichts mehr gepresst.) Bastian erzählt, wie eine der Mütter aufgeregt und laut ins Telefon nach einem Anwalt ruft und dann kommt der Anwalt - wie geht das eigentlich so schnell, das gibts doch nur mit /Schnitt/ im Film.../ Dann kommt der Anwalt..."und dann kommt der Anwalt, sagt Bastian, "und stellt Euch vor, der hat einen Regenschirm in der Hand. Dabei war es ganz heiß und die Sonne schien!" 

"Alle Anwälte," sagt Bastian, "haben immer einen Regenschirm in der Hand, egal, ob die Sonne scheint oder nicht."

In Zukunft werde ich darauf einmal achten. Oder einen Anwalt fragen, ob er immer einen Regenschirm dabei hat, vielleicht als ein Symbol für Schutz und Beschirmung im weiteren Sinne. ; )

Um kurz nach acht Uhr gehen wir los zur Amerika-Gedenkbibliothek, zur Abteilung Kinder- und Jugendbibliothek.
Frau Lanz begrüßt uns und lässt uns hinein.
Wir legen ab und treffen uns zur Einführung.


Wieviele Medien hat wohl die Kinder- und Jugendbibliothek der AGB, fragt sie und lässt raten. Es handelt sich hier um die größte Bibliothek für Kinder und Jugendliche in Deutschland. Zehn Minuten zu Fuß von unserer Schule entfernt. Es sind fast 140.000 Medien.
Frau Lanz schickt die Kinder in Gruppen los. jede Gruppe erhält einen Korb mit einigen Suchaufgaben.


In der Kinder- und Jugendbücherei gibt es Romane, Taschenbücher, Comics, Bilderbücher , Zeitschriften, CDs, DVDs, Computer- und Gameboyspiele und Gesellschaftsspiele. Sie kann man alle ausleihen.


Nachdem viel gesucht wurde, treffen wir uns vor einem Beamer, der das Geschehen auf einem Computer anzeigt und Frau Lanz erklärt, wie man im Online-Katalog gezielt nach Medien suchen kann, die einen interessieren.

Es gibt ab 17 Uhr auch täglich eine Hausaufgabenhilfe. Montags nur Mädchen. Die Jugendbücherei, ihr Name ist "Hallescher Komet", denn die Bücherei liegt am Halleschen Tor, hat auch Internet, das darf man ab 12 Jahren benutzen.



Die ganze Bücherei hat eine Kinder-, eine Jugendlichen- und eine Lernabteilung.
Die Nähe dieser Bücherei ist ein großer Glücksfall für unsere Kreuzberger Kinder.

Zum Schluss erhalten die Kinder, deren Eltern bis gestern die Ausweisanträge ausgefüllt hatten, (Ich hatte sie gestern nachmittag noch hingebracht) eine Bibliothekskarte, unterschreiben und ziehen los, um sich etwas auszuleihen.

Nun wird gezeigt, wie man die Ausleihcomputer bedient, um etwas mit nach Hause nehmen zu können.
Marios Film will sich nicht ausleihen lassen: Ah, er ist noch nicht 12 Jahre alt und der Film ist erst ab 12 Jahren freigegeben. Das war vorher erklärt worden. So ein kleiner Schluri!
Dann ziehen wir ab.

Die Klasse hat ein Lob erhalten, und sie hatte das verdient. Alle waren sehr aufmerksam gewesen und hatten sich angemessen verhalten.

Außer. Bastian. Er brachte eine Liegeoase mit mehreren riesigen, mit kleinen Kugeln gefüllten Kissensofas durcheinander, warf sich hinein, und warf sie übereinander. Daraufhin sollte er sich auf einen Stuhl setzen und dort sitzenbleiben.
Nach zehn Minuten durfte er aufstehen unter Bedingung.  Er setzte seine Verwüstungen fort. Da musste er raus vor die Tür. Dort stand er dann und guckte rein.

Als wir wieder an der Schule waren, machten wir erst einmal eine Pause.
Dann malträtierte ich die Kinder mit Sprichwörtern:

Was man nicht im Kopf hat, muss man in den Beinen haben. (Minna!)
Ohne Fleiß kein' Preis.
Der frühe Vogel fängt den Wurm.
Wer im Glashaus sitzt, soll nicht mit Steinen werfen.

Aber eigentlich ging es mir um Bastian und dass er versteht:
Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil.

Da die Kinder diese Sprichwörter alle nicht kannten und auch nichts mit ihnen anzufangen wussten, ganz konkretistisch am Benannten hingen, auch die Hintergründe nicht kennen,("Klotz" "Keil"), muss man viel entwickeln und klären. Das war heute die kleine Prise "Bildung" neben dem Unterrichtsprogramm. Das muss sein. Täglich. Es.Erweitert.Den.Horizont.

Dann notierten wir uns den geänderten Stundenplan und begannen mit den Rechtschreibheften 6, (manche nehmen 3 oder 4), die nun eingetroffen waren und mit denen jeder seinen individuellen Lernweg in Intensität, Schwierigkeit und Ausdauer beschreiten soll.
Das Heft 5 hatten wir im letzten Jahr gemeinsam bearbeitet, eine Handvoll Kinder war schon bis 6 vorgestoßen, andere hatten Heft 5 kaum zur Hälfte bearbeitet.
Mir ist wichtig, dass man die starken Kinder nicht immer bremst. So etwas macht rasend. Es ist sehr anregend, quasi auf einer Lernautobahn fahren zu können und Gas geben zu können. Auch die Arbeitsstile mit ihren Vor- und Nachteilen zeigen sich so viel besser. "Mesut, lieber langsamer und gründlich! Du huschelst über alles rüber und es bleibt nicht viel hängen." Oha Mesut, Du musst nochmal üben, Wörter im Wörterbuch zu finden....

Bastian macht ein Partnerdiktat mit mir. Manche spielen noch einmal mit dem Bundesländer-Memory. Sie haben den Atlas dabei und gelangen dabei an ganz andere Fragen: Welches Land ist größer, die Türkei oder Dubai?
"He, guck mal, wir haben Litauen gefunden, hier liegt Litauen!" Aus diesem Land kommt Rimas, unser neuer Schüler.

Muss ich was über Ali sagen? GANZ große Klasse, gestern und heute. Er kann es. Wenn er will.

Und nun: TGIF!

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Donnerstag, 23. August 2012

Abends Cornflakes aus der Mikrowelle

Und nun der Tag.


Beginnt mit einem Gespräch über. Den Lenau-Konflikt. Einige Kinder äußern sich dazu.
Weiß nicht mehr, wie es sich ergibt, doch diese Begriffe spielen anschließend im Gespräch eine Rolle und es sollte etwas "hängengeblieben" sein.


Ein Plakat ist fertig geworden, Teil eines Referats.
                                      

Marie bringt einen Schädel zur Ausstattung der Höhle beim Lesefest mit, das Hirschgeweih gehört uns.

 Oh, das Fensterbrett muss mal geputzt werden.

Nach dem Gespräch üben wir uns weiter im Bruchrechnen. Die Zeit vergeht sehr schnell. Ein paar Kinder setze ich um, Messi kommt weiter nach vorn, ihn löse ich aus seinem Fanclub heraus. Seine deutschenfeindliche Zischerei von gestern lasse ich erst einmal so stehen. Auch Ali behandle ich ein wenig kühler, distanzierter als sonst. Er zeigt vollendetes Verhalten, so wie gestern. "Kommt Deine Mutter heute zum Gespräch, Ali?" "Nein, sie hat keine Zeit, sie muss zum Zahnarzt." "Hat sie meinen Brief bekommen?" "Ja, den hat sie bekommen." "Wenn sie also weiß, dass ich sie für heute zum Gespräch eingeladen habe und wenn sie nicht kommen kann, hat sie es mir ins Elternheft eingetragen?" "Nein, hat sie nicht." "Warum denn nicht? Ich will nicht auf sie warten. Ich will wissen, ob sie kommt oder nicht." "Ich hab's Dir doch gesagt."
"Dann erwarte ich sie für nächsten Donnerstag, wie es in meinem Brief drinsteht."

"Ali, wir gehen morgen in die Amerika-Gedenk-Bücherei. Du warst gestern und heute ein wunderbarer Schüler, aber nach der Katastrophe von  vorgestern wollte ich Dich nicht mitnehmen. Was sagst Du?" "Ich würde gerne mitkommen." "Kann ich mich auf Dich verlassen?" "Kannst Du. Meine Mutter hat gestern mit mir gesprochen." "Gut, dann gehen wir alle zusammen morgen. Ich verlass mich aber auf Dich."

Bin ich inkonsequent? Meiner Meinung nach nicht. Türen sollten grundsätzlich immer wieder offen stehen.

Bastian und Hans üben auf der Handtrommel ein akustisches Feature für das Höhleninnere während der Führung. Nehme sie dabei auf, natürlich ohne, dass ihre Gesichter drauf sind. Jetzt müsste ich das Minifilmchen auf youtube hochladen und mit Link für hier abrufbar machen, denn die Datenmenge ist für dieses Blog zu groß.
Ich habe schon einmal ein Alma-Schaffilmchen dort deponiert, aber ob ich das noch schaffe, müstte mich da wieder durchbeißen...Ich glaub, ich schaff das nicht mehr.

Wir bereiten uns für die Fortführung der Höhlenmalereien in der 3./4. Stunde vor. Dreimal habe ich in der letzten Woche die großen dreidimensionalen Kleisterbilder fleißig am Tagesende wieder auf die Tische geräumt, damit sie trocknen können, fleißig haben wir sie morgens immer wieder weggeräumt, wenn wir die Tische brauchten. Sonst würde der nasse Kleister mit dem Papier sicher  schlecht riechen...Jetzt räumen wir die Bilder wieder auf die Tische, damit es nachher gleich losgehen kann.

Der Kollege geht mit den Höhlenmalereien in die Vollen, die Klasse vollführt eine Mal- und Kleisterorgie. Er bittet Peter, Kleister in einen Eimer mit Wasser zu rühren und einige  Minuten umzurühren. Später findet er Peter, wie er versonnen minutenlang das reine Wasser umrührt, der Kleister steht noch daneben.  : )

Auch Ali kleistert auf seinem Bild weiter, das er auf seine Mathesachen vom Fördern eben gelegt hat, es kommt ihm gar nicht in den Sinn, dass das alles nicht zusammenkleben sollte.

Gabriele hilft überall mit voller Kraft. Ich sitze nebenan und ein Kind nach dem anderen kommt mit seinen Mathesachen, wir klären ein paar Fragen, die beim Korrigieren aufgefallen waren.

Ich sage zu Pablo: "Schau, ich hab Dir in Deine Mappe geschrieben, dass Deine Mama mal mit Dir mit dem Bundesländer-Memory spielt. Nimm es mal mit nach Hause mit!" "Meine Mutter spielt nicht mit mir." "Wieso nicht?"  "Sie hat keine Zeit. Sie hat grade einen Laden aufgemacht und da kommt sie immer erst um Mitternacht heim. Sie ruft an, wann wir ins Bett gehen sollen." O weh! Pablo! Deine Mutter ist eine sehr fleißige Frau. Es ist schwer, einen Laden zum Laufen zu bringen, sehr schwer. Aber auch schwer für Pablo, den kleinen Pablo, den man sowieso immer schon viel zu leicht übersieht.
Das klingt so, als ob wir ein Elterngespräch machen müssten. 
Hier geht inzwischen die lustige Malerei und Kleisterei weiter.


Quietschen vor Lachen:



Und jetzt aber wieder ernst:




Das ist Fachunterricht! So ein mutiger Kollege! Allein die Idee mit der Höhle ist schon genial. Aber das mit einer Klasse ins Werk setzen, in der man nur zwei Wochenstunden Kunst hat - Chapeau!! Meine Klasse kann sich glücklich schätzen.

Beim Hinausgehen aus der Schule auf dem Hof: Kinder einer dritten Klasse zermahlen bunte Steine, sie sammeln das Steinmehl und auch noch andere Sachen mit großer Hingabe. Wie schön!  

Buntes Steinmehl: das Rotbraun ist vom Ziegelstein...


Steinmühle

 Die ganze Sammlung

Als ich mir vor Tagen den RBB-Film über die Schwierigkeiten der von den bürokratischen und politischen Instanzen allein gelassenen LenauSchule ansehe, spricht für den Elternverband ein Herr. Er verwendet das Wort "Schulgemeinschaft". Es brennt sich mir ein. Ja, wenn man das mit Leben füllen könnte.....Schulgemeinschaft, Klassengemeinschaft, Wir-Bewusstsein.
Zum Schluss erzählt mir Gabriele noch, dass Messi jeden Mittwoch früher zur Ergo geht. Ergo??? Der muss nicht Körbe flechten, das ist völliger Nonsense. Er hat ein Empathie-Defizit, kann sich in andere nicht hineindenken und -fühlen. Er braucht eine soziale Gruppentherapie. Das hat mit Ergo nichts zu tun. Wir wollten schon lange eine Therapie für ihn, aber nicht das. Wer hat das denn angeleiert? Zusammen mit seinem krassen Fehlverhalten der letzten Tage ergibt das noch ein Elterngespräch. Wo nehme ich all die Zeit her?
Habe in dieser Woche  schon 32 Wochenstunden gearbeitet, die Bloggerei nicht mitgezählt. Morgen habe ich noch 3 Zeitstunden, dann habe ich mein Wochenlimit erfüllt. Mit vier Schulstunden ist das abgeleistet. Es ist noch kein Unterricht geplant, es sind Unmengen zu korrigieren. Am Montag will ich die Kinder einen Mathetest schreiben lassen. Wo nehme ich die Zeit her?
Mein Arbeitszeitsystem beginnt zu knirschen. Und niemand, der mir im Gespräch hierüber beisteht. 
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Grüße aus dem Maschinenraum

Ich frage mich, ob "Grüße aus dem Maschinenraum" nicht besser ist als "Schulgarten"... Die Schulgarten-Metaphorik passt nicht gerade so gut zu der etwas angestrengten Art, mit der ich hier schreibe. Sie spiegelt die Anstrengung ab, das kleine Klassenschiff auf Kurs zu halten.
Manchmal frage ich mich, wenn ich andere Lehrerblogs so lese, sie sind viel amüsanter, nicht so schwerlastig, aber vielleicht hat jedes Blog auch seine eigene spezifische Funktion. 
Meines ist eher, dass ich mich mit mir selbst unterhalte, also spiegele, was gut lief und wo mich etwas stört und dann versuche, dahinterzukommen, was alles so passiert ist und ob diese Eindrücke berechtigt sind oder nicht.
Ich unterhalte mich aus selbstreflexiven Gründen also mit mir selbst. Sicher wäre es schöner, auch "andere" Gesprächspartner zu haben, aber dies ist schon mal besser als gar nichts. Wenn ich abends meinen Schulgarten-Artikel beendet habe, habe ich das Gefühl, JETZT habe ich die Schule wirklich hinter mir gelassen und kann zu privaten Ufern aufbrechen.
Das Blog ist mir mittlerweile sehr wichtig geworden. Aber die Grabe- und Pflegemetaphorik scheint mir doch die Anstrengung und die vielen Aktionen eines Tages, die mich eher an das Nachziehen und Justieren von Stellschrauben erinnert, nicht gut nachzuvollziehen.
Die Stellschraubenmetaphorik ist mir andererseits zu technisch. Vieles ist auch nicht beherrschbar, denn der Umgang mit Menschen ist technisch auch nicht fassbar. Zum Glück.
(Geschrieben in der 2. Pause in der Schule)

Mittwoch, 22. August 2012

Das Nein des Vaters und das BrreBrre

Ein Vier-Schulstunden-Tag war es heute. Wie ich mir das gewünscht habe. Die ersten beiden Stunden waren frei. Ich war um kurz nach 7 Uhr da, weil ich heute Nacht nicht schlafen konnte, wohl ein innerer Nach-Tumult der gestrigen Dienstbesprechung. 
Ich sprach nur mit einer Kollegin heute, wir trafen uns kurz vor dem Waschbecken der Lehrerinnentoilette, ihr ging's genauso.
Keine gute Startbedingung. Ruhig bleiben, Minna, MantraMantraMantra.
Vor 8 Uhr lüftete ich den Klassenraum, fütterte die Fische, prüfte die Temperatur im Aquarium und wollte die jetzt trockenen Drucke von gestern abhängen, aber sie hängen immer noch. Schrieb den Tagesplan an, dann kamen die Kinder. 
Zu Beginn der Englischstunde ging ich hinunter in mein Wollkabuff, das nun auch mein Arbeitszimmer geworden ist.


 Ich muss noch die Briefkopien von gestern unter die Leute bringen. Das dauert seine Zeit. Erzieherin, Schulleitungskollegin, Jugendamtsbetreuerin, mit der ich guten Kontakt in den letzten Monaten hatte, als wir Alis Integrative Lese-und Rechtschreibtherapie in die Wege leiteten. Sie soll das auch wissen. Und, verdammt, ich hänge es in den Schülerbogen rein. Niemand hindert mich, es, wenn alles besser wird, herauszunehmen, aber wenn es nicht besser wird, erspare ich der neuen Schule Monate des Herumstocherns in unbekanntem Gelände. Verhalten muss auch Folgen haben. Weil dies zu wenig so ist, nehmen uns die Schüler so gerne mal hoch.
Ich würde das gern anders machen. Doch finde ich, das Sprichwort "Auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil" hat auch seine Wahrheit. Wenn die Schüler also als grober Klotz in meinen Wald hineinrufen, dann schallt es als grober Keil zu ihnen heraus. Eine schmerzvoll verdrehte Metaphorik, ich weiß, aber es ist DIE schmerzvolle Erkenntnis der letzten 15 Jahre. Ich kann das aber. 



Ich weiß, dass Kollegen verzweifeln, weil sie sich von den mittelschichtorientierten Verhaltensstereotypen nicht gern lösen möchten, aber wenn es denn sein muss, dann gebe ich auch gern mal das harte "Non du Père" gegen das butterweiche Jein der alleinerziehenden Mütter.
Unsere Sekretärin forschte bei der Schule von Alis Bruder nach, ob der Bruder am Montag zur Schule gekommen war. So viel zum Thema Glaubwürdigkeit und Bauchweh. Ein Ergebnis haben wir noch nicht.
In den ersten beiden Stunden schaffte ich die Korrektur der Matheblätter und vermerkte bei meinen Fortschrittslisten positiv, wer selbst kontrolliert hatte. Das Material lässt das ja zu, das ist sehr gut.

Beim Korrigieren kommen mir meist die besten Unterrichts- und Förderideen für die unterschiedlichen Lernstände und je mehr das Bild vollständig wird, desto sicherer fühle ich mich, nicht im Dunklen zu stochern. So ist der Rückkopplungsprozess mit den Schülern auch fundierter. Man will die Kinder  ja aktivieren, zum Selbergehen bringen, was geistige Tätigkeiten angeht. Da müssen sie schon das Gefühl haben, dass etwas von ihnen erkannt wird. Sonst können sie es nicht mit ihren Eindrücken von sich selbst verknüpfen und halten es für pädagogisches Gelaber.
Es ist im Grunde alles dialogisch. Also mache ich mir die Arbeit. Es lohnt sich.
Mario hat als einziger ALLES selbst kontrolliert, und zwar richtig. Als ich das der Klasse vortrage, applaudieren sie aus eigenem Antrieb.
Andere erhalten auch eine Antwort auf ihre Arbeiten und sie sehen, dass ich das akribisch notiere. Es ergibt sich auch, wo verbessert, nachgefasst, gefördert werden muss. Ein gutes Gefühl.


Ich stehe vor der Tafel und blicke zufällig in die Mülleimer und was tut sich da? Im gelben Eimer liegen zwei Papiertüten und eine angebissene Stulle!
Die Klasse bekommt meine Unausgeschlafenheit ab. Zwei Stufen geduldiger und sanfter käme ich zum gleichen Ergebnis und die Stimmung wäre nicht so angekratzt. Mein Fehler. Die Übeltäter sind Mesut und Tobi und sie kriegen ziemlich was zu hören. Als Mesut dann noch sagt, er möchte vor Schulschluss gehen, weil er zum Arzt müsse, reißt der nicht gut gedrehte Geduldsfaden. Ich herrsche ihn an, warum er nicht Termine macht, die außerhalb der Unterrichtszeit liegen....Es stellt sich dann heraus, dass er sich vertan hat, auf dem Zettel steht ganz brav der Wunsch nach Beurlaubung nach der Unterrichtszeit. Wir sind eine Ganztagsschule, es ist Anwesenheitspflicht bis 16 Uhr. Ich will das nicht verteidigen, aber es ist so beschlossen. Ich hatte im übrigen dagegen gestimmt.
Wir bemerken den Fehler und entschuldigen uns wortreich und wechselseitig beieinander, er bei mir, ich bei ihm und sind uns kein bisschen böse, zum Glück. Nun suche ich eine Strafe für die beiden und sage, sie sollten vielleicht mit den Eimern und den Greifern den Hof säubern, damit sie die Wirkungen falsch platzierten Mülls als Wiedergutmachung beseitigen helfen.
Da interveniert lautstark Messi, er WILL das UNBEDINGT machen, das ist soo schön, er macht eine Show, er macht mir meine Strafe kaputt, er macht sich lustig. Da schneide ich ihm das Wort ab und sage, er soll still sein, wenn ich mit den beiden etwas regele. Höre, wie er halblaut zischt:"Deutsche!"
Er steht nicht dazu. Ich habe es aber gehört. Vor seinen Augen reagiert niemand, alle sind gespannt. 

Selena würde niemals etwas gegen Messie sagen, selbst, als er draußen ist, hat sie nichts gehört, obwohl sie ganz nah dabei sitzt. Ich bin mir so sicher. Etwas unsicher bestätigen links und rechts zwei Kinder, dass sie dieses auch gehört haben.
Der Unterricht geht weiter. Messi ist draußen. "Messi, wir müssen reden." "Ich hab das nicht gesagt, ich hab gesagt Ahh!" ----- "Na guuut, dann haaaab ich's gesaaagt." Das klingt jetzt so: Du hast mich gezwungen zu sagen, was Du willst, das ich gesagt haben soll. Noch zehn Minuten, dann gibt er es richtig zu. Angst hat er, riesengroße Angst.
Ich weiß nicht, was ich machen soll. Sage ihm, dass ich verletzt bin, was er denken würde, falls ich sagte: Türke!! Dann würde er sich rassistisch beleidigt fühlen, nicht wahr? Mit Recht. Er hatte vor drei Jahren am ersten Tag ein Kind als "Kartoffel" beschimpft. Ich lass es mal so stehen. Wir gehen beide wieder hinein.
Das war die kleine Pause gewesen. Danach basteln alle ein Bundesländer-Hauptstädte-Memory zum Üben und spielen später damit und miteinander.


Cherii hatte schon ein Memory selbst zu Hause angefertigt, mit bunten Wappen, sie spielt mit Selena damit, beide arbeiten dann an ihrem Seehundereferat weiter.
Wir schauen einen Film über Marathon, die Griechen und die Perser und den armen Läufer, man bekommt eine Menge über das antike Griechenland mit. Wer mit Memory-Basteln noch nicht fertig ist, geht zu Gabriele in den Freizeitraum und beendet die Arbeit, wir anderen schauen uns den Film an. Nach und nach kommen die anderen Kinder dazu, bis alle fertig sind.  Ali hat ganz hingebungsvoll sein Memory gebastelt, sein Verhalten ist aktiv, umsichtig, unterrichtsbezogen und vollkommen störungsfrei und das über vier Stunden und während der 40 Minuten des Films!!! Um ihm zu zeigen, dass es bemerkt worden ist, gebe ich allen Kindern am Ende des Schultages eine kleine Meinung, wie ihre Beteiligung, ihr Arbeiten auf mich gewirkt hat.
Wir spielen noch mit dem Memory, die Kinder schauen dabei oft in den Atlas, wollen sehen, wo die Bundesländer und Hauptstädte auf der Karte liegen. Ich spiele mit Pablo. Es macht Freude. Er gewinnt. Er schenkt mir ein Bonbon und ich nehme es sehr gern an.
Zum Ende des Schultages sprechen wir noch über den Inhalt des Films, die Welt der antiken Griechen, auch über Zeitrechnungen. 500 vor Christus - welches Jahr ist das im islamischen Kalender? Müsste es nicht vor 1900 Jahren sein? Oder bin ich schon zu müde, um richtig rechnen zu können? Wie auch immer, die geisteswissenschaftlich wichtige Erkenntnis ist, dass Zeitrechnungen "gemacht" sind, indem sie sich an einen kulturell/religiös bedeutsamen Ankerpunkt anketten. Der ist in jeder Kultur natürlich anders. Was an diesen Erwägungen wichtig ist? Gesellschaftliche Verhältnisse sind nicht vom Himmel gefallen, sie sind historisch bedeutsam von Menschen "gemacht", (und deshalb können Menschen sie auch ändern.)

Im übrigen spielten sich griechische Eroberungen und Kolonisierung weitgehend im Raum der heutigen Türkei ab. (Milet, Bergama, Troja) Dazu werden wir noch viel sehen, zum Beispiel beim Besuch des Pergamon-Altars. 

Die Bewohner Kleinasiens, deren Sprachen die Griechen abwertend mit Brr-Brr bezeichneten, wurden hierdurch zu "den BrreBrre, den Barbaren". Was heißt also "barbarisch"? Unzivilisiert, mit minderem Kulturstatus. Gewalttätig. Das ist immer eine Sichtweise, wo sich der Sprecher weiter oben ansiedelt. Dieses Herrenmenschendenken nach außen - nach innen war es die Sklavenhalter-Gesellschaft und die Abwertung des Weiblichen - muss doch auf die türkischen und arabischen Schüler Wirkungen haben. 

So wie ich als weibliches Wesen Abwertungen und Nichtanerkennung in unserer Männergesellschaft sofort erspüre, wird es ihnen auch so gehen, dass für sie die hoch geschätzten Errungenschaften, die ihnen so nolensvolens dargestellt werden, etwas Vergiftetes haben, weil es ihre Perspektive nicht widerspiegelt. 

So spiegelt sich eines am anderen und das ist unser Bildungskaleidoskop.-- Oder: Was heißt "spartanisch"? (Athen, Sparta, Mykene). 

Solche Puzzlestückchen setzen sich dann eins zum anderen immer differenzierter zusammen, so dass bei jedem der Kinder ein eigener Bildungsteppich mit besonderem Muster und besonderer Färbung entsteht. Wie spannend dieser Prozess des Sich-Bildens doch ist...!!!!

Ich hab auch noch einen Film über Nofretete. 

Dank der Amerika-Gedenkbibliothek, zu der wir am Freitag alle hingehen. Alle, außer Ali. Der muss in eine andere Klasse. Einige Anmeldezettel für Bibliotheksausweise bekam ich heute unterschrieben zurück, morgen bringe ich sie hin, am Freitag sind dann die Bibliotheksausweise fertiggestellt zum ersten Ausleihen.

Ali weiß das nicht zu schätzen. Daher geht er in dieser Zeit in die Parallelklasse. Le Non (Nom) du Père (Lacan). Vaternein ist anders als Mutternein.