Freitag, 26. Oktober 2012

Ich rette die Welt

Die Höhle von Lenaux kam bei den Kindern schwer gut an. Wir gingen in kleinen Gruppen hin, nur mit einer Taschenlampe und sie waren sehr angetan von der Höhle. Sie ist aber noch im rudimentären Zustand. Die Objekte müssen noch angehängt werden, die Arbeit der nächsten Woche wird sein, den Text der Führung auszuarbeiten und die Führung (en) zu proben.

Es war so schön schaurig dunkel, dass die Idee kam, dass wir nächstes Mal auf der Klassenfahrt unbedingt, unbedingt eine tolle Nachtwanderung machen müssen!

Wir haben schon unsere Parallelklasse zur Generalprobe der Führung am Donnerstag angeheuert. Am Freitag auf dem Lesefest ist dann die "Aufführung".

Viel Zeit haben wir damit verbracht, in den aus der AGB mitgebrachten Büchern Themen und Informationen zum Naturwissenschafts-Thema "Naturschutz, Klimawandel und Recycling" herauszusuchen. Besser und griffiger wäre aber der Titel:

Ich rette die Welt.


So soll die Unterrichtseinheit also heißen. Als ich mit der ersten Gruppe in den Keller ging, machte ich doch noch eine Probe, ob der große "Rest" der Klasse wirklich mit den Materialien arbeitet...Taten sie nicht. Also nochmal vorne aufgebaut und angekündigt, dass...am Ende gefragt wird, wer mit wem welches Thema bearbeiten wird und wenn jemand das dann nicht weiß, gibt's dafür eine "5". Die blödesten Mittel sind immer die effektivsten, ab da ging es oben wunderbar zur Sache.
Einige Gruppen, die sich gebildet hatten, wollten anschließend weitermachen, und sie durften das, sie gingen dann in den Nachbarraum und arbeiteten lange Zeit ganz selbständig an ihren Themen.
Wir anderen machten Mathe, wir haben nochmal das Wichtigste wiederholt und dann erweitert und gekürzt. Es machte Spaß, ich glaube, nicht nur mir...


Gestern hatten wir in der Klasse aufgeräumt und es machte sich heute angenehm bemerkbar.



Dann ist noch etwas ganz Tolles passiert: Wir haben eine Kollegin, die für eine erkrankte Kollegin einspringt, sie ist schon Pensionärin, macht aber diese Vertretung. Sie kam heute bei uns vorbei und sagte: "Betreust Du die grüne Ecke da draußen? Es sieht schön aus!" Ich hab mich so gefreut! Die "Grüne Ecke", wie sie es nennt, macht wirklich ganz schön Arbeit, aber es lohnt sich. Man hat einen Ort, der etwas beruhigt und halbwegs angenehm ist, z.B., wenn einzelne Kinder etwas gemeinsam arbeiten wollen oder wenn man mit jemandem kurz etwas besprechen möchte. Und überhaupt.
Zu der "Grünen Ecke" hat noch nie jemand etwas gesagt. Deshalb war das heute so schön, etwas Anerkennung zu erhalten. : )


Ich würde sagen, es sieht einfach weniger hässlich aus mit den Pflanzen. Etwas erträglicher. Schulen, Krankenhäuser, alle diese Art von Häusern haben etwas Menschen-Abweisendes, sollten sie aber nicht haben. Menschen verbringen dort ein Drittel der Stunden eines Tages, zum Beispiel bei uns in der Ganztagsschule. Das muss man doch bedenken, dass das Auge auch nicht ständig beleidigt werden will.

Also, Peter las heute seine zwei Witze vor. Er hatte geübt und sie waren lustig. An einen erinnere ich mich:

Marcel sagt:"Oh, meine Füße sind eingeschlafen." Luisa meint:"Ich dachte, sie seien abgestorben, bei dem Geruch...." Er und drei andere Schüler, die noch zu holprig lesen, müssen ab jetzt jeden Tag zwei Witze aus ihren Geburtstagsbüchern zum Besten geben, vorher natürlich üben. Mesut meinte:"Ich lese doch auch nicht gut, kann ich mitmachen?" Wahnsinn! Na klar!!!

Ali und Ronaldo hatten ihre Bücher zu Hause, wie sie sagten, Ali sehr cool, so Arm auf der Lehne des Nachbarstuhls und so, und er reizte mich mit seiner Haltung, da gab ich ihm den Konter und sagte: "Du hast das zu bringen, sonst sammelst Du Dir Fünfen ein. Die erste hast Du gerade bekommen."

Er wird lesen. "Ihr lest richtig schlecht. Das lassen wir nicht zu. Wenn Ihr hier weggeht, dann könnt Ihr einigermaßen flüssig fremde Texte lesen. Da Ihr zu Hause nicht freiwillig übt, müsst Ihr eine Dauerhausaufgabe bekommen und Ihr müsst es uns täglich beweisen, dass Ihr geübt habt. " Damit ich das Abfragen nicht verpeile, werde ich mir jeden Tag "Witze" frühmorgens auf die Hand schreiben müssen...



Möchte nochmal drauf hinweisen. Ich finde Peters Handytasche wirklich sehr schön. Hier ist Scheriis kleine ss - und ß - Geschichte:


Sie hat noch eine längere, etwas krasse Geschichte geschrieben, in der viel Gewalt und ein Paradox vorkommt, nämlich, dass jemand, der stirbt, gleichwohl die Geschichte aufschreibend zu Ende bringen kann... Das ist mir in meinen mehr als fünfzig Lesejahren in der Literatur nur ein Mal vorgekommen: Bei Edgar Allen Poe, wo er mit dem Schiff innen den Maelstrom langfährt und das Schiff dem Zerbrechen immer näher kommt, die Erzählung dann abbricht. Trotzdem hat man das Erzählte in der Hand und liest...Ich habe mich immer damit getröstet, wenn es mir in einer Geschichte zu wüst zuging, dass der Erzähler doch alles überlebt haben muss, sonst könnte er ja nicht darüber berichten und ich könnte es nicht lesen. Das Paradoxe dieser Situation war Scherii und den anderen nicht klar, dehalb sprachen wir darüber.
 


Das ist eine unglaubliche Leistung!! Sie hat es zu Hause sich auf dem Computer ausgedacht! Also, sie hat Initiative, Ausdauer, Ideen und überhaupt, SUPERTOLL!  Dass die Geschichte nicht ganz so brav ist, ist gar nicht schlimm.

Also Scherii, Du liest das hier ja sowieso - manchmal bewundere ich Dich wirklich. Danke nochmal für die tollen Süßigkeiten vom Bayram-Fest! Und sei mir nicht böse, dass ich es ziemlich schlecht heute aufgenommen habe, als Du morgens in der Klasse Kartoffelchips an alle verteiltest... Du bist eine ganz wunderbare Schülerin, mach weiter so - also nicht mit den Kartoffelchips, Du weißt schon! : )))

Unser weiteres tägliches Griechisch waren die beiden Wörter Rhythmus und Labyrinth. Sie kamen heute in den Lernsituationen vor. In der Höhle sollte jemand meditativ trommeln, einen leisen Rhythmus, der ein guter Hintergrund für die Führung ist. Ein Schüler sagte: "Das ist hier wie in einem Labyrinth, als er durch die Höhle ging." Wir schrieben die Wörter  auf griechisch an die Tafel, lasen und übersetzten sie. Wozu haben wir einen kleinen Sprachkurs gemacht? Griechisch im Deutschen ist wirklich omnipräsent. 

Selena und Hans haben zugesagt, ein Plakat mit den griechischen Buchstaben für die Klasse in groß zu malen. Dann haben wir es in Zukunft leichter.

Im Stuhlkreis achtete ich genau beim Erzählen darauf, dass die Sätze korrekt gebildet werden: Stopp, wie heißt es richtig?? Und sie KÖNNEN es!!! Die richtigen Fälle, meist die richtigen Präpositionen, bei den Artikeln muss man öfter helfen. Wörter mit "das" werden oft als grammatisch männlich gebraucht.

Nicht berichten konnte ich über Folgendes, das auch sehr wichtig ist: Es gab in dieser Woche drei sehr gute Übergangsgespräche mit Eltern und zum Teil auch mit den Kindern.

Habe mich entschlossen, den schöneren Weg zu gehen beim Lernen: Naturschutzeinheit in NaWi und nicht nur Noten sammeln! Wenn die Freude fehlt, geht gar nichts. Das wird sehr schön werden!

Die Zusammenarbeit mit Lars ist belebend. Er hat das, was Musil "Möglichkeitssinn" nannte. Ich verfüg darüber nicht mehr so ganz....Da ist diese Zusammenarbeit ein Glücksfall für mich. Freu mich drüber.
 


 Und zum Schluss und draußen: Thank God, it's Friday!

Ein wunderschönes Wochenende wünsche ich jedem, der / die sich bis hierhin lesend durchgearbeitet hat!

Donnerstag, 25. Oktober 2012

Die Höhle von Lenaux

Heute waren nur vier Kinder da, vier von neunzehn. Die anderen feierten Kurban Bayram, das muslimische Opferfest. So richteten wir für das Lesefest am 2. November in den Kellerkatakomben der Schule  die "Höhle von Lenaux" ein.


 Wir bespannten die Wände mit höhlenkompatiblem Stoff, bauten ein paar Sperren ein, damit der Weg abenteuerlicher wird und hingen unsere 30.000 Jahre alten Höhlenmalereien an.


 Pablo war begeistert und mit Feuereifer bei der Sache, Marie ebenfalls. Pablo: "Hurra, heute keine Schule!" Lars (Kollege) :" Das IST Schule, Pablo." Pablo:"Na gut, aber ohne Lernen..." Lernen muss etwas ganz Schreckliches für ihn sein.


 Lars platziert die Sandkästen mit den Gipsabdrücken der vorzeitlichen Echsen, die man auch gern anfassen darf.


Marie und Rivas. 
Emmely saß oben in der Klasse und baute aus Knetmasse viele  braune Spinnen. Man besucht die Höhle mit einer Taschenlampe in der Hand.


 Pablo.


Marie.

Nun müssen wir die Höhlenführung konzipieren. Das ist die Aufgabe der nächsten Tage. Ein paar Tipps haben wir uns aus dem Film von Werner Herzog: "Die Höhle der vergessenen Träume" abgeguckt. Das wird bestimmt sehr schön und war heute eine schöne Zusammenarbeit mit Lars und den Kindern.

Mittwoch, 24. Oktober 2012

Lassen wir mal...

...Cherry zu Wort kommen, sie hatte heute ein recht großes Missgeschick zu bewältigen, das auf dem Rückweg von der AGB passierte. Wir gingen in der Gruppe, zwei und zwei, ziemlich dicht hintereinander, plötzlich tauchte eine Berliner Tretmine auf, wir sprangen alle drüber weg...---und Cherry hat's dann derwischt. Nee, keiner lacht. Messi hat es auch mal erwischt, er schmiss dann sofort seine Schuhe weg...

---Liebes Tagebuch,
heut' morgen haben wir Englisch gemacht, es hat sehr viel Spaß gemacht.Dann sind wir zur AGB gegangen.Wir hatten wieder Gruppenrennen gemacht,alsojeder kriegt ne Aufgabe,wir müssen sie lösen,zum Beispiel,wir müssen was suchen wie gehen wir vor?
So was eben,auf den Rückweg,bin ich auf Hundekot getretten,oha...ich hasse es wenn die Leute nicht eine Tüte mitnehmen und es wegenstenz weg machen,das wäre wirklich nett,ich muss jetzt meine Schuhe so lange sauber machen,bis keine Kacke mehr drauf ist und es nicht mehr Müffelt,ich wollte eigentlich mir heut' ein Vollbad gönnen,aber dank der Kacke,muss ich es verschieben,also "Vielen Dank" das  der jenige es nicht mit ne Tüte weg gemacht hat,ich meine,ihr habt ein Hund,aber macht den Kot nicht von ihm weg,es ist euer Hund und nicht unserer,ihr müsst auf passen,das ihr das auch weg macht wenn euer Hund mal sein Geschäft machen will,außerdem muss ich jetzt noch meine Schuhe sauber machen nochmals "Vielen Dank" .---


http://www.cherrystagebuch.blogspot.de/2012/10/liebes-tagebuch_24.html


Amerika-Gedenkbibliothek Teil 3

Heute war ein toller Tag! Zunächst einmal war ich ausgeruht, hatte wunderbar geschlafen und freute mich auf den AGB-Besuch (Amerika-Gedenkbibliothek), Besuch der größten Kinder- und Jugendbibliothek Deutschlands. Das beste: Sie liegt zehn Fußminuten von unserer Schule entfernt!

Es war unser drittes Mal. Das erste Mal bekamen wir von Frau Lenz eine grundlegende Einführung in die Bibliothek und die Bücher- oder Mediensuche.

Beim zweiten Mal erhielten wir die Gelegenheit, einen klitzekleinen Griechisch-Sprachkurs zu besuchen.

Nun sollten wir die Bücher- und Mediensuche zu einem bestimmten Thema üben. Wir hatten das Thema "Höhlenmalerei" und "Natur- und Klimaschutz, Recycling" ausgewählt.

Zunächst einmal klärte uns Frau Lenz über die Signatur jedes Buches auf, wie sie funktioniert und dass sie sozusagen die Adresse des Buches in der Bibliothek ist. 



Die Bibliothek besteht aus mehreren Teilbereichen. Wir befanden uns im LZ, im Lernzentrum. Die erste Zahl unterhalb des LZ bezeichnet den Themenbereich. Er wird auch noch einmal mit einem Wort erwähnt. Die Zahl ganz unten bezeichnet die Stelle, wo das Buch zu finden ist.



Als erstes mussten wir die Bücher nach ihren Signaturen ordnen. Das ist die tägliche Aufgabe der Bibliotheksmitarbeiter, wenn sie die zurückgebrachten Bücher wieder einsortieren.



Dann suchte Frau Lenz mit uns gemeinsam nach mehreren Büchern und zeigte uns, wie man die Kataloge am besten durchsucht und worauf man dabei achten sollte. Weil wir alles am Beamer genau sehen konnten, war das sehr informativ.



 Wir müssen die Computer benutzen, auf denen "Katalog" steht...




 Frau Lenz teilte uns in Gruppen ein und jede Gruppe bekam eine Suchaufgabe für ein bestimmtes Buch. Darin sollten Fragen beantwortet werden.
Manchmal musste man im Register suchen, um die Stelle zu finden.



Dann ging die gemeinsame Suche los:

 
 

 ...und hier...


 ...und so...


 


Gemeinsam suchen alle und schreiben die Antworten auf das Blatt.



Zum Schluss trägt jede Gruppe ihre Ergebnisse allen vor.


Gut gemacht! Applaus! Das war eine sehr konzentrierte Arbeit und eine sehr konzentrierte Klasse gewesen. Frau Lenz bestätigte uns das. Aber sie hatte uns auch so toll eingeführt!!! Vielen Dank dafür! Wir kommen gern wieder, wenn wir mal wieder Bücher für ein Unterrichtsprojekt suchen. Man kann vorher anfragen, dann bekommt man einen Termin und eine Einführung, ganz speziell auf das gesuchte Gebiet hin! Toll! Beim nächsten Mal, das stellte uns Frau Lenz in Aussicht, dürfen wir das Magazin einmal besuchen, die Räume, wo die Bücher gelagert werden, die man oben in der Bibliothek nicht sieht. Da kommen wir gern wieder!

Einige Kinder erhielten noch ihre Ausleihkarten und jetzt hat fast jeder eine.
Die letzten zehn Minuten liehen wir uns Bücher und Medien aus.

Ich habe für unsere Unterrichtseinheit "Umweltschutz und Recycling" viele Medien ausgeliehen. Sie liegen jetzt in der Klasse.



Und jetzt zu Peter: Hat er nicht einen guten Geschmack und ein gutes ästhetisches Händchen? Diese Handytasche hat er gestaltet und angefertigt.


Montag, 22. Oktober 2012

So traulich und so hold

...als eine stille Kammer, wo ihr des Tages Jammer verschlafen und vergessen sollt...............

Nachdenken muss erlaubt sein. Immer. Nachdenken kann heilsam sein, wenn es die richtigen Punkte trifft, wenn es sich die verworrenen und auf den ersten Blick undurchschaubaren und noch undurchschauten Verhältnisse offenlegt, betrachtet und Schlüsse daraus zieht, mit denen es dann wieder ins Leben geht.

Die Dr.Jiggle-und-Mr.-Hyde-Episode gestern hat mich verstört zurückgelassen. Ich kann mich abwenden, brüsk werden, die Kommunikation abbrechen. Doch jedes Tier, das in die Hände eines solchen verwilderten, sadistischen Wesens kommt, kann einem nur Leid tun!

Auch in meiner Kindheit gab es die, die im Schwimmbad die Frösche aufbliesen und dann wieder aufs Wasser setzten. Mein letzter Spaziergang am Schlachtensee endete in einem Fiasko mit Fischquälern, die man heute Sportangler nennt. Seitdem meide ich Gewässer, wenn ich mich entspannen möchte.

Jeder Anblick einer Fleischtheke im Supermarkt ist mir mittlerweile mehr als widerlich, bei Milch und Joghurts geht es mir genauso.

Ich habe eine Bio-Freiland-Hühnerfarm in Mecklenburg besucht. Immerhin haben sie mich hineingelassen. Es war die 25. Woche von 55, die diese Hühner leben dürfen. BIO!!! FREILAND!!! Danach werden sie geschlachtet, der Stall ERSTmals ausgemistet, neue hineingesetzt. Noch drei Tage später hatte ich das stechende Ammoniak in der Lunge. Alle Hühner waren IM Stall. Das Freiland war Asphalt, es gab keinen Kot darauf zu sehen. Alles war vollautomatisch, eine Person genügte, um die elektronischen Anlagen für 18.000 Hühner in sechs Großställen zu überwachen. Die Eier kamen automatisch angerollt. Alles war vollelektronisch, nur die Vorrichtung zum Hinauslassen ins Freie bestand aus mechanischen Handkurbeln....Seitdem habe ich AUCH ein großes Problem mit dem Essen von Eiern.

Ich gehe durch die Stadt. Sehe Schilder, auf denen Restaurants ihre Speisen anpreisen und sehe nur Mord und Totschlag.

In der SZ ein Artikel, wo Starköche fleischfrei kochen, angeblich. Ich sehe hinein und - man hat dort Zander, Jakobsmuscheln, Crevetten auf dem Teller. Gehts noch???

Was soll man noch sagen? Unsere Welt, die wir und in der wir uns für so zivilisiert halten, ist voller GewaltGewaltGewalt. Und jetzt gehe ich hin und zeige diesen Jungen bei der Klassenlehrerin wegen seiner sadistischen Rede an? Es wird im übrigen niemanden interessieren, falls ich es täte.

Fragen über Fragen.

Warum habe ich die Tür auch offen gehabt? Ich arbeite gern bei offener Tür. Aber wenn das, was an Gedanken dann bei mir vorbeischaut, so ist, dann bedauere ich das.

"Sei nicht so empfindlich," sagt jetzt die Front der unnachdenklichen  Selbstbehauptungsexperten. Als würde es mir besser gehen, wenn ich die drei Affen gebe: Nichts sehen, nichts hören, nichts sagen.

Nicht bin ich auf dieser Welt, um nichts zu sehen, nichts zu hören und nichts zu sagen. 

Ich versuche, dahinterzukommen, warum ich in dieser Nacht kein Auge zutun konnte. Demzufolge bin ich nun "gerädert", ein Wort, das aus  aus mittelalterlicher Folterpraxis stammt.

Ein Grund für den Gedankenkreisel, der sich nicht abstellen ließ, war dieser merkwürdige Junge von gestern.

Hatte am Nachmittag das Gefühl, mich entspannen zu müssen, sah mir in der ZDF-Mediathek einen unsäglichen Fjordschmonzfilm an, aber wenigstens keine Leichen drin hatte. Manchmal brauche ich so etwas.
Dort gab es eine Erzieherin und so schöne nette, liebe Kinder.

"Meine" sind nicht so. Sie haben viel Liebenswertes, aber auch viel Ungezügeltes, Distanzloses, manchmal auch Gemeines und Hinterhältiges. Sie wissen nicht, was Ruß ist oder wo der Ärmelkanal oder Griechenland liegt. Manchmal hab ich damit Probleme, dass quasi alles, was sie wissen, von einem selbst kommt. Ich habe ihnen tausendmal erklärt, gezeigt, wie die Bäume und die Blätter aussehen und wie sie heißen, und sie wissen es immer noch nicht. Aber durch die Bank weg. Ich bin nicht ihre Mutter oder ihr Vater. Ich bin bloß die Lehrerin. Die sollte aufgreifen und ordnen, was die Kinder schon wissen und ihnen Neues "beibringen", aber, wenn sie ihnen fast alles selbst beibringen muss, das ist doch eine Katastrophe.

"Wo ist Dein Witzebuch zum Vorlesen-Üben, Peter?", fragte ich ihn gestern. "Zu Hause, vergessen." Die Antwort. Drei Tage lang lag seine angefangene Handyhülle in der Klasse, alle Materialien, alles, was er brauchte, lag daneben. Er hätte nur weitermachen müssen. Er kann filzen und walken. Er wusste, dass das Zeug da lag. Er rührte es nicht an.

"Also, wir müssen bald die Gutachten für den Übergang zur Sekundarstufe fertigstellen. Vorher machen wir noch viele Gespräche miteinander. Ich weiß aber jetzt schon, dass mehr von Euch aufs Gymnasium wollen als sie die Fähigkeiten haben, auch dort bleiben zu können. - Was braucht man, um erfolgreich dort arbeiten zu können? Fleiß. Nochmal Fleiß. Wer, wenn er in die Disco möchte und noch Hausarbeiten für drei Fächer von je zwei Stunden am Wochenende hat und sich dann für die Disco entscheidet, der sollte besser eine andere Art Schule wählen. Zweitens: Initiative." "Initiative? Was ist das", fragt Ali. "Dass Du von selbst etwas anpackst, Ideen hast und probierst, ob sie funktionieren. Dass Du nicht wartest, bis alles zu Dir herangerollt kommt, am besten noch mit einer Helfertante, die Dich am Händchen nimmt und Dir genau erklärt, wie Du alles machen sollst. Selber denken macht schlau. Mal was von selber anfangen. Und sehen, wie es geht, dann was verändern, dass es besser geht, das ist Initiative. Die brauchst Du, um Erfolg zu haben."

Ich rede, wie eine Mutter mit ihrem Kind redet. Wie eine Mutter, die ihrem Kind die Welt erklärt, damit es einen Begriff davon bekommt, wie das da draußen alles so funktioniert  und damit es Orientierung entwickeln kann, wie es mit seinen Fähigkeiten und Eigenschaften sich am besten weiterbringt. Ich rede mir den Mund fusselig. Ständig in der letzten Zeit.

Niemand muss mit zwölf Jahren das Wort Initiative kennen.
Man sollte aber über etwas von dem verfügen, was das Wort ausdrücken möchte.

"Ich erzähle Euch das vorher, damit Ihr das einschätzen könnt, sonst erzählt Ihr später, diese Lehrer, diese Rassisten, die haben Euch einfach keine Gymmiempfehlung geben WOLLEN. Und ich gebe nur eine Gymnasiumsempfehlung, wenn ich mir sicher bin, dass derjenige da auch BLEIBEN kann. Aber wir sind in Berlin. Ihr könnt ja Gott sei dank machen, was Ihr wollt. Nur, Ihr müsst dann auch die Verantwortung für die Folgen tragen. Die Kinder, die ich bisher empfohlen habe, die haben es auch geschafft, dort erfolgreich zu arbeiten und zu bleiben. Und wie gesagt, hier in Berlin führen viele Wege zum Abitur. Man kann es so oder so oder so machen. Um Fleißigsein kommt keiner herum. So oder so. Und 90% des Erfolgs sind immer --- Fleiß! (Mantra)"

Die ss-undß-Blätter. Wir haben es erklärt, nun macht mal. "Alles?". fragt Ali. "Mach mal," sage ich. Es sind vier Blätter mit Lückentexten. Es sind 122 Entscheidungen, Buchstaben einzusetzen. Ist das viel? Nach den ersten beiden Blättern fragt Ali: "Kann ich aufhören?" "Mach weiter." "Das ist zu viel." "Das ist nicht viel." "Ich bin müde." "Dann geh früher ins Bett und spiele weniger Games bis in die Nacht." Mäkelnd schreibt er weiter.

Es nützt nichts, Ali zu fragen, was er werden möchte. Die Schattenwirtschaft in der Familie funktioniert vermutlich wunderbar als Ergänzung zum Hartz 4. Das will er später genauso weiter machen. Hat er schon genau so einmal gesagt. Wozu sich anstrengen? Ich mach Hartz 4. Wahrscheinlich kennt er keinen Mann, der sich ständig richtig doll anstrengt, da fehlt ihm ein Vorbild, und ich gehe davon aus, dass um ihn herum ein ordentliches Helferballett zugange ist. Es funzt also alles. Für ihn ist das alles im grünen Bereich.

Wozu sich anstrengen? Ich rede schon wie Buschkowsky. Aber das ist Alis subjektive  Wirklichkeit und unser Alltag in der Schule. Er ist nicht so, wie sich deutsche Sentimentalfilmer das beschauliche Leben am norwegischen Fjord vorstellen. 

Nach drei Blättern: "Ich hör auf, ich kann nicht mehr." "Du machst weiter." Er macht weiter. Wer hat jetzt die Anstrengung gehabt? Er? Ich? Wir beide?

Jetzt komme ich wahrscheinlich zu den Schichten, die mein  tatsächliches Elend ausmachen. Ich bin nämlich derzeit und auf absehbare Zeit die Notensammlerin.

Mein Unterricht ist zu einem Notensammelunterricht geworden. Andauernd schaue ich, dass ich auch genügend Noten zusammenkriege. Wozu? Für die Gutachten. Klassenarbeiten. Nicht jeder Stoff eignet sich, um abgeprüft zu werden. Die interessanten Themen eher weniger... Alle wollen zum Gymnasium. Ich gebe dann die Dreien und dann geht der Ärger los, wenn ich nicht BEWEISEN kann, dass das dann tatsächlich rechnerisch keine Zwei ist. Es reicht nicht, wenn ich das weiß. Auseinandersetzungen, möglicherweise juristische, liegen in der Luft.

Hier liegt "der Hund begraben". Genau hier. DAS MACHT MICH KRANK.

Ich bin die Eier legende Wollmilch-Pädagogik-Sau. Alles soll ich schaffen. SPANNENDEN, interessanten Unterricht geben, gerne, aber dann hab ich den Blick nicht so auf den Noten.
Hab ich den Blick aufs Abfragbare, dann fällt mir nichts Spannendes dazu ein. Interessante Dinge sind projekthafte Dinge, das benötigt Freiheit. Da kann ich auch Noten geben, das passt aber nicht so dazu. 

Zur Zeit mache ich mehr das so bulimisch: Fressen und Kotzen. Lernen lassen und auf Abfragbögen auskotzen lassen, die dann so ausgewertet werden, dass am Ende eine Zahl steht.

DAS macht mich fertig, und das ist der tiefere Grund für mein Nicht-Schlafen-Können in der Nacht.
 
Es kotzt mich nämlich selber an. Ich trau mich aus Zeitnöten nicht mehr, die schönen Sachen zu machen oder die Dinge sinnvoll zu machen, d.h., mir Zeit dazu zu nehmen. Habe die schöne Steinzeit-Lektüre abgebrochen, mündlich zu Ende erzählt, muss noch viele Textsorten vermitteln, Grammatik, mir wirbelt es im Kopf, wenn ich nur daran denke, was die Schüler alles wissen sollen, wenn sie diese Schule verlassen.

Schule Skolé Muße, alles nix damit.

Gestern war das erste Übergangsgespräch mit einer Mutter. Auch das ging mir nachher noch  durch den Kopf. Welche Schule, wo M. nicht untergeht? Da gibt es nicht viele Möglichkeiten. Die kleinen Hauptschulen sind verschwunden. Es gibt nur noch diese großen Sekundarschultanker, wo ich auf einen solchen drauf blicke, wenn es nachher hell wird. Zwölfhundert Schüler in der Mehrzahl von 13 bis 17 Jahren. Da geht die Post ab. Und dazwischen unsere kleine Marie? Nee, das geht gar nicht. Aber was geht? Das ist schon mal die schwierigere Frage.

Nachdenken muss erlaubt sein. Auch am Ausgang einer Nacht, an deren Ende man sich "krank melden" wird, weil man nicht schlafen konnte und alles weh tut.
Das gibt sich wieder.  ; )   Aber ALLES braucht SEINE Zeit.

Bin Selenas Mutter dankbar, dass sie, die sich heute extra freigenommen hatte und mit ihrem Mann zusammen zum Gespräch kommen wollte, am Telefon Verständnis für mich hatte. Danke!!  : )

Hoffe, dass mir diese Gedanken jetzt helfen, das alles in eine Ordnung zu bringen und meine Perspektive dazu zu finden. Das ist auch ein Stück Arbeit, die im Sinne eines einigermaßen akzeptablen Unterrichts getan werden muss. Dann kann es weiter gehen.
                                            
1. Der Mond ist aufgegangen,
Die goldnen Sternlein prangen
Am Himmel hell und klar;
Der Wald steht schwarz und schweiget,
Und aus den Wiesen steiget
Der weiße Nebel wunderbar.

2. Wie ist die Welt so stille,
Und in der Dämmrung Hülle
So traulich und so hold!
Als eine stille Kammer,
Wo ihr des Tages Jammer
Verschlafen und vergessen sollt.

3. Seht ihr den Mond dort stehen?
Er ist nur halb zu sehen,
Und ist doch rund und schön!
So sind wohl manche Sachen,
Die wir getrost belachen,
Weil unsre Augen sie nicht sehn.
.....
7. So legt euch denn, ihr Brüder,
In Gottes Namen nieder;
Kalt ist der Abendhauch.
Verschon uns, Gott! mit Strafen,
Und laß uns ruhig schlafen!
Und unsern kranken Nachbarn auch!

Matthias Claudius 

Nicht so meins

Ööhm, das war heute nicht so mein pädagogischer Sternstundentag. Luigi hat kürzlich eine ordentlich heisere und sehr laute Stimme vom lieben Gott geschenkt bekommen, er genoss das ohrenscheinlich sehr und bekam von mir einen Brüller zum Schluss...Danach war a Ruh. Aber ich hatte eine leise Schlechtes-Gewissen-Stimme in mir, die sagte so, dass das jetzt wirklich das Allerletzte von mir gewesen sei.

Nur vorher, wirklich VORHER hatte ich bestimmt schon zweihundertmal angemessen, gesittet, handwerklich richtig und korrekt Störaktionen pariert und jetzt REICHTE es, klar??

Dann wussten sie nicht, was Ruß ist. Keiner. Nicht zu fassen. Wir machten "ss" oder "ß", und es kam das Wort Ruß vor. Ich schaute in leere Gesichter und fragte. Keine Antwort.


Also musste später ein wenig Ruß produziert werden. Mit Kerze und Spiegel, einmal herumgehen, vom Glas reiben, man hat das schwarze ölige Zeug auf der Hand und dann weiß man das.

Eigentlich ging es um Masse, Gewicht und das Wiegen. Die Kerze stand auf einer Waage, wog 69 Gramm, später hatte sie ein Gramm verloren. Das sollte helfen, ein paar Fragen um die Kerze aufzuklären.

Nachdem ich die Kerze gegen Ende der Stunde ausgepustet hatte, bekam ich entfernt noch mit, dass Bastian das ganze nasse Wachszeuch mit den Händen weggepopelt und damit unseren Versuch wieder auf Null gebracht hatte. Grrrh!





Haare/Wolle als Eiweißfasern - Ihr kennt den Geruch beim Verbrennen? Kannte auch niemand. Daraufhin habe ich dafür gesorgt, dass sie ihn nicht mehr vergessen. Alle hingen am Fenster und wollten nur noch an die frische Luft.

Ja, es war etwas unsystematisch und ich hatte nicht soo einen guten Tag.. Das Thema hieß: "Stoffe und ihre Eigenschaften" und wie man sie erkennt, durch Anschauen, Riechen, Tasten, Gewicht, Masse und so weiter.

Bastian fragte zwischendurch: "Warum vertragen sich Mehl und Essig nicht?" Eine gute Frage, ich konnte sie nicht beantworten. Wahrscheinlich hatte er einen Vulkan gebaut und das Gebräu dann oben herausschäumen lassen.

In den beiden unterrichtsfreien Stunden saß ich in meinem Räumchen und korrigierte die ss/ß-Bögen. Zwei Kinder aus einer anderen Klasse kamen und erzählten dies und das. Fragten, warum es hier keine Tiere mehr gäbe und wo der Fisch sei und wo die Farbmäuse. Sie erzählten über Fische und Vögel, die sie hielten und ich dachte so: "Die sind doch sehr nett, diese beiden", und war sehr entspannt und der Junge erzählte so weiter: "Ich kaufe mir eine Katze, und wenn sie fünf Jahre alt ist, dann schneide ich ihr den Kopf ab!" --- Mir stellten sich die Nackenhaare hoch.

Das habe ich mir nicht erfunden, das war so, das war so, als wenn Dr. Jiggle sich plötzlich in Mr. Hyde verwandelt, und ich sagte zu ihnen,  sie möchten jetzt gehen. Ich hätte zu tun.

Es gibt Sachen, die verkrafte ich nicht so gut. Wie muss man seelisch  gebaut sein, um so etwas zu sagen? Zu einer relativ fremden Person.

Wie gesagt, das war heute nicht so mein Tag.

Freitag, 19. Oktober 2012

Dann ist er vollkommen wach

Hey, ich will mich nicht großtun, und es ist ja auch nicht so etwas Besonderes, aber P und ich, wir haben diese Förderstunde zusammen gemacht. Er wollte lieber Mathefördern machen als im Englischunterricht dabeisein.
Wir haben in dem schönen Matheheftchen weitergerechnet, das ich hier schon einmal vorgestellt habe. Damit ist er nämlich noch nicht zu Ende.

Vorher hatte er schon zwei Förderstunden, eine in Mathe, eine in Deutsch, alleine mit der Kollegin. Immer, wenn er allein mit jemandem ist, scheint es ihm unglaublich gut zu gehen. Er macht keine Faxen, ist außerordentlich lernbereit, will immer noch mehr und mehr tun. Als böte ihm die Situation - Schutz?

Da er schon zwei Förderstunden hatte, fragte ich ihn, ob er lieber Englisch machen wolle - ich hätte mich dann verdrücken können, hatte doch schon frei....   : )  Doch nein: Er strahlte und sagte: Ich will Mathe machen.

Er brauchte eine Weile, bis er im "Stream" war, vom Denken her, dann floatete es weiter, er konnte die Aufgaben lösen und kontrollierte begeistert selbst. Nicht der geringste Widerstand, keine Müdigkeit, keine Abwehr, einfaches Mitgehen, selbständiges Fortschreiten in den kleinen anschaulichen Schritten dieses Lehrgangs.

Abschließend fragte ich P, ob er eine Idee hätte, warum ihm das hier lieber gewesen sei. Ja, sagte er, bei Englisch muss ich immer so plötzlich was sagen..---  Das erschreckt Dich? fragte ich. Ja. Er lächelt.

Was hatte ihm so gut getan?, fragten sich meine Kollegin und ich anschließend. Ihr schien es auch einleuchtend, dass das plötzliche Antworten, das von ihm verlangt wurde, weil man wieder bemerkt hatte, dass er mit der Aufmerksamkeit abgedriftet war, ihn schreckte und erschreckte. Und aufschreckte und abschreckte. 

Jedenfalls heute hatte ihm das Lernen in der Schule sicher Freude gemacht, mehr als sonst. Was ihm auch gut tut, ist, wenn er ohne Konkurrenz arbeiten kann. Die anderen sind immer schneller als er, sagt meine Kollegin. Das frustet.
Ebenso tut es ihm gut, wenn er einmal die volle Aufmerksamkeit eines Erwachsenen hat. Dann ist er vollkommen wach. Und lernbereit. Dann ist "Lernen" keine Qual.

Wir hatten es gut. Die anderen drei Kinder, die auch noch Förderanspruch gehabt hätten, wollten partout während des Matheunterrichts mit der Gruppe lernen. Sie hatten Zugang zu dem, was alle machten und wollten UNBEDINGT mithalten!
Deshalb war niemandem etwas weggenommen, als P allein mit der Kollegin zusammen arbeitete. Er genoss es, dass da kein Druck war.

Er stellt auch nie Ansprüche. Er fühlt sich nicht gemeint. Er läuft bei allem so mit. Man kann ihn leicht übersehen. Wenn man sich an ihn wendet, so erfährt er Kritik. Das ist die übergreifende Erfahrung, die er macht. Er fordert nie etwas. Fällt niemals durch lautes, störendes Verhalten auf, träumt einfach vor sich hin und wir stören ihn ständig und reißen ihn aus seiner Gedankenwelt heraus.

Im ersten Jahr, das war sein drittes Schuljahr, stand er oft am Fenster und schaute hinaus. Er hätte den ganzen Tag dort stehen können. Wandte uns den Rücken zu und langweilte sich bestimmt kein bisschen.

Das Übliche wäre: Diagnose: Ein ADS-ler. Gebt ihm Ritalin! 

Er hat selbst wohl das Gefühl, nicht ganz richtig zu sein. Das ist das, was uns Sorgen macht. Er fühlt sich irgendwie verkehrt und nicht stark genug, die Dinge anzupacken. Glaube ich jedenfalls. "Warum muss ich diese Therapie machen?", fragte er. Und es ist für ihn ein weiterer Beleg, dass mit ihm etwas nicht ganz richtig sei. Das schafft kein Vertrauen.

Doch er versteckt sich nicht. Er antwortet, wenn man fragt. Er gibt Auskunft über sich. Er arbeitet, wenn die Situation ihm entgegenkommt, mit Freude, ausdauernd und - konzentriert!!! Es ist nicht so, dass er es grundsätzlich nicht kann. Er kann es, wenn er allein mit jemandem ist. 

Manchmal machte er auch in der kleinen Gruppe mit, so für 15 Minuten. Dann nahm er Neues auf. Oft hatte er es beim nächsten Mal komplett wieder vergessen.

Wie Marie. Sie vergaß immer alles, was sie mit uns mühsamst gelernt hatte. Bis bei ihr der Groschen fiel. Bis sie es selbst WOLLTE. Ab da vergaß sie es nicht mehr. Immer noch ist sie etwa 3 bis 4 Schuljahre zurück. Aber sie holt auf. Seit etwa einem halben Jahr beißt sie sich durch. Ich sagte es schon: Sie will Tierpflegerin werden, und da muss man lesen und schreiben können, und rechnen, sagt sie. Deshalb will sie es ab JETZT lernen, so etwa vier Jahre später...

Ich finde, es hat sich gelohnt, der Versuch, P ernst zu nehmen. Sich mehr auf sein Gebiet, auf sein Terrain zu begeben, mehr Fühlung zu bekommen zu dem Menschen, der er ist.
Eigentlich versteckt er sich nicht wirklich.

Vielleicht sollte die nächste Woche eine Pablo-und-Marie-Woche werden. Von der Lehreraufmerksamkeit her.
 

Donnerstag, 18. Oktober 2012

Es sollte keine Schule geben

Man muss das nicht lesen. Niemand muss das lesen. Es macht Freude, es aufzuschreiben. Vieles geschieht, das man nicht aufschreiben kann, nicht in einem öffentlich gemachten Text. Davon gab es dieser Tage nicht gerade wenig.

Doch auch Anderes, das passiert, da frage ich mich manchmal: DARF ich das eigentlich sagen? Es wäre ein Vorteil, nur angestellt zu sein. Dann dürfte man es. Manchmal kommen sie mit der Verschwiegenheitspflicht des Beamten. Als ob GESCHWIEGEN werden müsste, um dem, wofür wir arbeiten, gerecht zu werden.

Ich denke, es müsste eher gesprochen werden. Über faulige Stellen im Behördenapfel. Sollte ich es subjektiv formulieren?? Oder wenn es sich um Dinge handelt, die jeder erfahren kann, kann es sich ja auch nicht um eine Art Geheimnisverrat handeln, oder?

Habe schon ein paar Konflikte durchgestanden, bin nicht ganz unmutig oder total feige. Aber, sollte ich meine Rente/Pension tatsächlich physisch erreichen, dann wäre es schon schau, sie wirklich materiell aufzehren zu dürfen.....

Die Inklusion. Die Inklusion heißt, dass jeder, egal, wie er auch sei, im normalen Schulsystem lernen kann. Das ist ein guter Gedanke. Sonderschulen werden aufgelöst, im Bezirk Kreuzberg - Förderzentrum nennt man das heute - gibt es keine mehr.

Das erfuhr ich heute. Gestern sprach ich mit Ps Therapeutin. Wir beide machen uns Sorgen. Wo, auf welche Schule könnte der Junge hingehen?

P ist ein kleiner, zarter, verspielter Junge mit einem Hang, nur seinen inneren Stimmen zu lauschen und, obwohl physisch, nicht in jeder Hinsicht anwesend zu erscheinen. Dabei ist er schon 12 Jahre alt, gehört also nicht zu den Jüngsten in der Klasse.

Situationen, wo er gefordert ist, dreht er mit seinem besonderen Charme so, dass alle lachen, freundlich lachen. Das bringt ihn aber nicht weiter. Gestern sagte ich ihm, er dürfe nur in die Hofpause, wenn er sich gemeldet und zweimal etwas gesagt habe.

Das tat er dann. Man muss ihm also quasi das Messer auf die Brust setzen. Es gab mal eine Hauptschule im Bezirk, die hatte etwa 200 Schüler, war also sehr übersichtlich. Sie hatte ein sehr gutes Konzept, prima Lehrer und eine tolle Schulleitung. Dort ging ein sehr zarter, förderungsbedürftiger Junge einmal hin, vor Jahren. Er war dort erfolgreich. Ich las später einmal in einem ZEIT-Artikel über ihn... Dort könnte P überleben und vielleicht aufwachen aus seinem Dornröschenschlaf? Gibt es diese Schule noch? Gibt es nicht nur noch Sekundarschulen? Mal nachschauen...

Die Schule steht auf berlin.de , aber nicht auf der Schulseite des Senats. Sie scheint keine Website zu haben. Das Förderzentrum Paul-Dohrmann-Schule erscheint auf der Senatsseite, hat aber anscheinend auch keine Webseite. Etwas widersprüchliche Informationen also. Zwei Telefonnummern stehen da.

Wovor ich für P Angst habe, ist, dass er in diese großen, unübersichtlichen Sekundarschulen gerät. Auf eine kann ich aus meinem Fenster gerade blicken. Was da immer abgeht....Da geht so ein kleiner, zarter, einzelner, vereinzelter Junge gnadenlos unter! Dort kann man ihn sehenden Auges nicht hinschicken. Ein Tanker mit 1200 pubertierenden Schülern!

Ich muss nachforschen, was mit der Friedrich-Carl-Zelter-Schule los ist und mit dem Förderzentrum Paul Dohrmann in der Forster Straße. Unbedingt.

Zwei Kinder hatte ich schon einmal in der Freiliggrathschule in der Bergmannstraße unterbringen können. War zu der sehr engagierten Schulleiterin hingegangen, hatte vorher einen Termin gemacht, meine Gründe genannt und sie einfach gebeten, das jeweilige Kind zu nehmen. Es hatte geklappt, und ich war SO dankbar gewesen. Diese Schule hat ein tolles Konzept. Sie arbeitet mit Künstlern, Firmen und anderen Fachleuten für ihr Gebiet zusammen und bietet theoretisch-praktische Projekte an, die wirkliche Ergebnisse zum Ziel haben. Die Schüler können sich nach ihrer Neigung entscheiden und in ihrem Gebiet Kenntnisse und Fähigkeiten erwerben. Sie nennen es "Arenen". Ich bewundere diese Schule ein wenig. Weil sie so praktisch ist in ihrem Ansatz.

(Was die Hände bewegt, bewegt auch den Geist...)  Hier ist ein Link zu dieser Schule:


Warum ich dieses Mal zögere, ich kann es nicht so genau in Worte fassen. Das Klima scheint mir noch von der Schülerschaft um einiges zu ruppig zu sein für P.
Die anderen beiden hatten im einen Fall innere Durchsetzungskraft, im anderen wenigstens eine stattliche Statur...

Es wird sich zeigen. Gut, wenn ich schon früh anfange, mir Gedanken zu machen....

Zu meinem eigentlichen Gedanken war ich noch nicht gekommen. Ich will ihn grob umreißen: 

Man schafft den Inklusionsgedanken und gibt vor, Strukturen zu schaffen, die helfen, ihn zu verwirklichen. In echt und in Wirklichkeit ist es aber ganz anders. Stichwort Förderstunden. In dieser Woche fielen von 8 Förderstunden 5 weg. Wenn die beiden morgen gehalten werden. Als wir damals die Sonderschulkinder bekamen, hatte jedes 5 (FÜNF!!!!) JEDES!!! Förderstunden pro Woche!!!!! So kann man das schaffen. Dann war es eingeführt und die Zahl verringerte sich zusehends. Wir sind heute auf 1,8 pro Kind und Woche. Da aus diesem "Pool" auch die Vertretungsstunden kommen, sind, die popeligen 1,8 noch nicht einmal sicher. Vielleicht bleibt eine übrig? Da kannst Du nichts mit machen, keine Kontinuität, keine Intensität, nothing. Das heißt, wir verwahren diese Kinder, ohne wirklich efffektiv und nachhaltig helfen und fördern zu können. Und wir sollen darüber schweigen.

Deshalb sage ich: Es ist so, in dieser Weise, ein lügenhaftes Konstrukt. Es ist kein wirklicher Wille vorhanden, das einzulösen, was man verbal vorgibt zu leisten. Es liegt auch nicht daran, dass wir ein paar Schulungen mehr besuchen könnten. Es liegt am mangelnden Willen, für das Projekt Inklusion "Geld in die Hand zu nehmen", wie man heute so sagt. Uns fehlt die Zeit für den einzelnen Schüler und seine spezifische Lernsituation.

Heute habe ich eine Stunde mit P zusammen gehabt. Er hat seine Mathearbeit nachgeschrieben. P ist ein sehr rätselhaftes und unzugängliches Kind. Man kommt schwer an ihn heran. Er ist freundlich und lustig, aber man bekommt wenig zu fassen von ihm. Morgen möchte ich wieder eine Stunde mit ihm zusammen machen, ich muss mehr von ihm wissen und erfahren.

Seine Denkstrukturen sind sehr, sehr versponnen, sehr eigen. Nein, und er hat auch nicht nur Schwächen. Niemand hat nur Schwächen. Doch man bekommt nicht leicht einen Begriff davon, was in ihm vorgeht. Dabei "kenne" ich ihn schon drei Jahre. Ist das nicht furchtbar? Drei Jahre kenne ich ihn und neben mir sitzt ein unbekanntes Wesen, das an superleichten Aufgaben scheitert und schwierigere, wenn man ihn sachte begleitet, ohne Umschweife löst...

Ich frage ihn, wie es ihm so geht. Prima, alles paletti. "Wenn Du einen Wunsch erfüllt bekämst, was würdest Du Dir dann wünschen?", frage ich ihn.  "Es sollte keine Schule geben", sagt er, ohne zu zögern. "Warum sollte es keine Schule geben?" - "Dann muss man nichts lernen." Er lächelt dabei.

Danke, P, immerhin hast Du eine Antwort für mich. 

 

Mittwoch, 17. Oktober 2012

Das Leben und das Arbeiten

Vor einiger Zeit habe ich mir ein neues Zeitregime gegeben - oder überhaupt eines. Eine Struktur. Ich hatte Sachen über Zeitmanagement gelesen. Über Lebenszufriedenheit. Zufrieden war ich nicht, stets ausgepowert, fühlte mich leer, ideenlos, und in den Ferien konnte man drauf wetten, dass ich krank wurde, weil es ja vorher nicht ging, über längere Zeit zu fehlen.

Ich glaube, so machen es Freiberufler. Sie gehen einfach weiter zur Arbeit oder fehlen mal kurz, um sie dann fortzusetzen. Ich habe immer viel Ehrgeiz darangesetzt, höchstens drei Tage zu fehlen, wenn ich krank wurde. Gut ist immer, anfangs zu fehlen und die Sache aufzufangen, viel Ruhe oder Spaziergänge, viele Vitamine - und dann bleibt es wenigstens in seinem Verlauf unter Kontrolle.

Doch der Preis ist hoch. Man spannt nie gänzlich aus. Das störte mich. Ich habe noch den alten Spruch im Ohr: "Arbeitest Du, um zu leben oder lebst Du, um zu arbeiten?"

Na, ich arbeite, um zu leben, aber es fühlte sich nicht so an. Das mit dem Leben kam immer zu kurz. Was ist "Leben" für mich? In privaten Dingen alles in großer Ruhe zu tun, sich ab und zu mit Freunden und Familie treffen und Gespräche haben über das, was uns betrifft und widerfährt. Lesen. Ab und zu ein Buch auch beenden. Regelmäßig lesen, geistige Nahrung aufnehmen. Musik hören. Mal in die Oper? Spaziergänge draußen, Schafe besuchen, Museen. Kochen. Auf jeden Fall selbst kochen und gemeinsam essen. Auch mal Zeit verplempern, Dinge auf sich zukommen lassen. Den Moment empfinden. Das wäre so ungefähr, was ich mir unter "Leben" jenseits der Arbeit vorstelle. 

Nun die Struktur. Wir Lehrer haben eine große Zeitfreiheit. Das ist etwas, aus dem man etwas machen kann. Nach der Schule ist man erst einmal entspannungsbedürftig. Gut arbeiten kann man dann nicht mehr so sehr. Aber wenn man sich dann erholt hat, dann sitzt man am frühen Abend oder sonntags und dann gibt man die besten Stunden weg.

Ich bin immer für die Anwesenheitspflicht der Lehrer in der Schule gewesen. Dann kann man nicht  Aufgabe um Aufgabe aufs Vorhandene häufen, ohne zu fragen, ob das noch machbar ist, sondern der Arbeitgeber muss die materiellen und zeitlichen Vorgaben selbst stellen, es wird überprüfbar, ob alles in der vorgesehenen Zeit zu schaffen ist oder nicht. In der Schule ist auch alles vorhanden(oder sollte): Arbeitszimmer, Kollegen für die Gespräche, Materialien.
  
Natürlich schätze ich die 12 Wochen Ferien. Wer hätte die nicht gern! Doch - wer glaubt mir das? - Ich brauche sie auch. In der gewohnten Weise und Beanspruchung könnte es sonst nicht weitergehen.

Die Struktur.  Soviel Stunden runter wie irgend geht. Neumodisch heißt das "Downshifting". "Was kannst Du leisten, ohne hinter der Situation herzuhecheln," fragte ich mich, "und wieviel Geld brauchst Du zum Leben?"

Bei Lehrern kommt man mit solchen Überlegungen nicht gut an. Sie wehren das ab. Viele haben Häuser und Grundstücke und müssen Dächer ausbauen oder dämmen oder was es sonst noch auszubauen gibt. Dafür braucht man viel Geld.

Mein Leben hat was Nomadisches. Ich empfinde das als Freiheit. In einer Mietwohnung habe ich blöde Nachbarn? Ärgerlich. Doch kann man umziehen. In einem Haus?? Oder die Beziehung geht zu Ende und man hat ein Haus? Bloß keine ökonomischen Zwänge, dachte ich mir immer. In der allergrößten Not nimmst Du einen Koffer und bist fort...

Unser Gehalt ist das höchste in ganz Europa. Wir haben auch die höchsten Stundenzahlen. 28 für die Grundschule derzeit. Ist es nicht ein Privileg, wählen zu dürfen, wieviel man arbeiten will? Nein? Ich empfinde das so, aber in meiner Zunft kann ich da bei niemandem landen. "Ich schenk' doch dem Staat kein Geld," höre ich dann, "ich muss alle Konferenzen trotzdem besuchen, ich mache eine viel wertvollere Arbeit in den wenigen Stunden und bekomme weniger Geld dafür." Hmm. Dass die Arbeit wertvoller, intensiver und besser ist, wenn man nicht überlastet ist, wirkt aber auch auf einen selbst wieder positiv zurück....

Die Menschen, die ich kenne - privat treffe ich seltsamerweise keine Lehrer - die haben entweder gar keine Arbeit oder zu viel davon. Sie haben nicht die Möglichkeit, einmal kürzer zu treten. Dass wir Lehrer das können, ist für mich wie ein Geschenk. Also wieviel Stunden pro Woche?

Vier am Tag. Das kann ich. Das kann ich vorbereiten, nachbereiten, korrigieren, mit Freude halten. Vier. Nicht mehr. An keinem Tag. Niemals mehr sechs Stunden. Nie-mals-mehr!

Ich bin im 37. Berufsjahr. Werde im nächsten Jahr 60. Da macht sich schon etwas bemerkbar, was mit 48 oder auch mit 52 noch undenkbar war...

So habe ich damals auf meinen Wunschzettel geschrieben: "Liebe Schulleitung! Ich möchte im nächsten Schuljahr nur noch am Tag vier Stunden unterrichten. Es dürfen gerne unterrichtsfreie Stunden dazwischenliegen. Ich bleibe von 7 Uhr 30 bis 14 Uhr 30 in der Schule. Das entspricht meiner Anwesenheits- und Arbeitszeit mit einberechnetem Ferienausgleich. Es kann früh liegen oder spät. Ich will auch keinen freien Tag. Fünf Tage und nur je vier Stunden Unterricht. Drei Stunden habe ich dann noch für Gespräche, Vorbereitung, Nachbereitung etc. Danke!"

So kam es dann. Das war eine gute Entscheidung. Anschließend darf ich nämlich gehen, den Kopf ausschütteln und unbelastet nach Hause oder wohin immer gehen.

Das hat mir gut getan. In den ersten Ferien nach dieser Regelung war ich nicht krank. Prima!!! Und unglaublich erholt und entspannt.

Doch, als ich heute auf den Gehaltszettel schaute, waren etwa achtzig Euro weniger drauf als sonst. Ich verstehe es nicht. Muss ich wieder nach Reinickendorf und es mir erklären lassen. Denn eigentlich brauche ich jeden Euro jetzt. Das ist die andere Seite. So entsteht dann Druck von da. 

Doch. Ich darf mich nicht beschweren. Wirklich nicht. Ich gehöre zu denen, die am 30. etwas aufs Konto geschoben bekommen, wovon anfangs des Monats die Miete bezahlt werden kann.

Es gibt viele Menschen, die müssen so sehr kämpfen, um ihre Kosten zu decken, sie leben nicht exzessiv oder aufwendig und trotzdem leben sie in großer Unsicherheit. Sie haben meine ganze Sympathie.