Mittwoch, 17. Oktober 2012

Das Leben und das Arbeiten

Vor einiger Zeit habe ich mir ein neues Zeitregime gegeben - oder überhaupt eines. Eine Struktur. Ich hatte Sachen über Zeitmanagement gelesen. Über Lebenszufriedenheit. Zufrieden war ich nicht, stets ausgepowert, fühlte mich leer, ideenlos, und in den Ferien konnte man drauf wetten, dass ich krank wurde, weil es ja vorher nicht ging, über längere Zeit zu fehlen.

Ich glaube, so machen es Freiberufler. Sie gehen einfach weiter zur Arbeit oder fehlen mal kurz, um sie dann fortzusetzen. Ich habe immer viel Ehrgeiz darangesetzt, höchstens drei Tage zu fehlen, wenn ich krank wurde. Gut ist immer, anfangs zu fehlen und die Sache aufzufangen, viel Ruhe oder Spaziergänge, viele Vitamine - und dann bleibt es wenigstens in seinem Verlauf unter Kontrolle.

Doch der Preis ist hoch. Man spannt nie gänzlich aus. Das störte mich. Ich habe noch den alten Spruch im Ohr: "Arbeitest Du, um zu leben oder lebst Du, um zu arbeiten?"

Na, ich arbeite, um zu leben, aber es fühlte sich nicht so an. Das mit dem Leben kam immer zu kurz. Was ist "Leben" für mich? In privaten Dingen alles in großer Ruhe zu tun, sich ab und zu mit Freunden und Familie treffen und Gespräche haben über das, was uns betrifft und widerfährt. Lesen. Ab und zu ein Buch auch beenden. Regelmäßig lesen, geistige Nahrung aufnehmen. Musik hören. Mal in die Oper? Spaziergänge draußen, Schafe besuchen, Museen. Kochen. Auf jeden Fall selbst kochen und gemeinsam essen. Auch mal Zeit verplempern, Dinge auf sich zukommen lassen. Den Moment empfinden. Das wäre so ungefähr, was ich mir unter "Leben" jenseits der Arbeit vorstelle. 

Nun die Struktur. Wir Lehrer haben eine große Zeitfreiheit. Das ist etwas, aus dem man etwas machen kann. Nach der Schule ist man erst einmal entspannungsbedürftig. Gut arbeiten kann man dann nicht mehr so sehr. Aber wenn man sich dann erholt hat, dann sitzt man am frühen Abend oder sonntags und dann gibt man die besten Stunden weg.

Ich bin immer für die Anwesenheitspflicht der Lehrer in der Schule gewesen. Dann kann man nicht  Aufgabe um Aufgabe aufs Vorhandene häufen, ohne zu fragen, ob das noch machbar ist, sondern der Arbeitgeber muss die materiellen und zeitlichen Vorgaben selbst stellen, es wird überprüfbar, ob alles in der vorgesehenen Zeit zu schaffen ist oder nicht. In der Schule ist auch alles vorhanden(oder sollte): Arbeitszimmer, Kollegen für die Gespräche, Materialien.
  
Natürlich schätze ich die 12 Wochen Ferien. Wer hätte die nicht gern! Doch - wer glaubt mir das? - Ich brauche sie auch. In der gewohnten Weise und Beanspruchung könnte es sonst nicht weitergehen.

Die Struktur.  Soviel Stunden runter wie irgend geht. Neumodisch heißt das "Downshifting". "Was kannst Du leisten, ohne hinter der Situation herzuhecheln," fragte ich mich, "und wieviel Geld brauchst Du zum Leben?"

Bei Lehrern kommt man mit solchen Überlegungen nicht gut an. Sie wehren das ab. Viele haben Häuser und Grundstücke und müssen Dächer ausbauen oder dämmen oder was es sonst noch auszubauen gibt. Dafür braucht man viel Geld.

Mein Leben hat was Nomadisches. Ich empfinde das als Freiheit. In einer Mietwohnung habe ich blöde Nachbarn? Ärgerlich. Doch kann man umziehen. In einem Haus?? Oder die Beziehung geht zu Ende und man hat ein Haus? Bloß keine ökonomischen Zwänge, dachte ich mir immer. In der allergrößten Not nimmst Du einen Koffer und bist fort...

Unser Gehalt ist das höchste in ganz Europa. Wir haben auch die höchsten Stundenzahlen. 28 für die Grundschule derzeit. Ist es nicht ein Privileg, wählen zu dürfen, wieviel man arbeiten will? Nein? Ich empfinde das so, aber in meiner Zunft kann ich da bei niemandem landen. "Ich schenk' doch dem Staat kein Geld," höre ich dann, "ich muss alle Konferenzen trotzdem besuchen, ich mache eine viel wertvollere Arbeit in den wenigen Stunden und bekomme weniger Geld dafür." Hmm. Dass die Arbeit wertvoller, intensiver und besser ist, wenn man nicht überlastet ist, wirkt aber auch auf einen selbst wieder positiv zurück....

Die Menschen, die ich kenne - privat treffe ich seltsamerweise keine Lehrer - die haben entweder gar keine Arbeit oder zu viel davon. Sie haben nicht die Möglichkeit, einmal kürzer zu treten. Dass wir Lehrer das können, ist für mich wie ein Geschenk. Also wieviel Stunden pro Woche?

Vier am Tag. Das kann ich. Das kann ich vorbereiten, nachbereiten, korrigieren, mit Freude halten. Vier. Nicht mehr. An keinem Tag. Niemals mehr sechs Stunden. Nie-mals-mehr!

Ich bin im 37. Berufsjahr. Werde im nächsten Jahr 60. Da macht sich schon etwas bemerkbar, was mit 48 oder auch mit 52 noch undenkbar war...

So habe ich damals auf meinen Wunschzettel geschrieben: "Liebe Schulleitung! Ich möchte im nächsten Schuljahr nur noch am Tag vier Stunden unterrichten. Es dürfen gerne unterrichtsfreie Stunden dazwischenliegen. Ich bleibe von 7 Uhr 30 bis 14 Uhr 30 in der Schule. Das entspricht meiner Anwesenheits- und Arbeitszeit mit einberechnetem Ferienausgleich. Es kann früh liegen oder spät. Ich will auch keinen freien Tag. Fünf Tage und nur je vier Stunden Unterricht. Drei Stunden habe ich dann noch für Gespräche, Vorbereitung, Nachbereitung etc. Danke!"

So kam es dann. Das war eine gute Entscheidung. Anschließend darf ich nämlich gehen, den Kopf ausschütteln und unbelastet nach Hause oder wohin immer gehen.

Das hat mir gut getan. In den ersten Ferien nach dieser Regelung war ich nicht krank. Prima!!! Und unglaublich erholt und entspannt.

Doch, als ich heute auf den Gehaltszettel schaute, waren etwa achtzig Euro weniger drauf als sonst. Ich verstehe es nicht. Muss ich wieder nach Reinickendorf und es mir erklären lassen. Denn eigentlich brauche ich jeden Euro jetzt. Das ist die andere Seite. So entsteht dann Druck von da. 

Doch. Ich darf mich nicht beschweren. Wirklich nicht. Ich gehöre zu denen, die am 30. etwas aufs Konto geschoben bekommen, wovon anfangs des Monats die Miete bezahlt werden kann.

Es gibt viele Menschen, die müssen so sehr kämpfen, um ihre Kosten zu decken, sie leben nicht exzessiv oder aufwendig und trotzdem leben sie in großer Unsicherheit. Sie haben meine ganze Sympathie.

 

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