Dienstag, 27. März 2012

Ein ganz normaler Schultag Montag, 26.3.12

 
Sommerzeit-Umstellung, trotzdem gut ausgeschlafen. War um MEZ 20 h im Bett gewesen, musste ja MEZ 4 Uhr wieder aufstehen. Macht acht Stunden, was ausreichen dürfte. Auch, wenn es nicht gelingt, gleich einzuschlafen, hilft die Ruhe doch.
Meine Kollegin ist nach drei Wochen wieder da. Sie fühlt sich gesund, Erleichterung. Es gibt wieder Förderunterricht! Die kleine Gruppe, heute drei Kinder, gehen mit mir in den Wollraum, habe Rechenaufgaben vorbereitet. Doch, wie es kommt, kommt es anders. Wir unterhalten uns zum Einstieg über das Wochenende und es stellt sich heraus – wie, weiß ich nicht mehr -, dass sie ihre Adresse nicht wissen, nicht schreiben können. Postleitzahlen sind völlig unbekannt, auch, wie man eine Adresse auf dem Briefumschlag anordnet.
Dabei haben wir dies in der dritten Klasse ausführlich und praktisch gelernt.
Gar nichts ist mehr da.
Es dauert, bis alles wieder hervorgeholt wurde. Wir haben damals Briefe geschrieben und weggeschickt. Ich habe den Kindern auch schon Briefe geschickt. Darüber hinaus gab es keine Post, die sie weggeschickt oder erhalten hatten. Schade. Auch die Postkästen waren ihnen völlig unbekannt. Sie bekamen als Hausaufgabe, einmal daraufzuschauen.

Vor einem halben Jahr hatten wir uns Bäume angeschaut, die Rinde, die Blätter, die Früchte. Die, die auf dem Schulhof und in der Schulumgebung stehen. Wir kannten damals sechs Bäume. Nunmehr war es keiner mehr.

Ich komme vom Hölzchen aufs Stöckchen, von der Rinde aufs Blättchen. In Punkto Umweltwissen ist NICHTS da, es lässt sich leider nicht anders sagen.

Je mehr ich weiß, desto mehr sehe ich“, sagte Goethe. Der Umkehrsatz gilt auch. Doch insofern laufen unsere drei Kinder blind durch die Gegend. Sie wissen fast nichts. Sicher kann Pablo alle Automarken vorwärts und rückwärts aufsagen, aber die hundert Sperlinge in der Hecke vor dem Haus, die immer in die Jalousiekästen fliegen, sie hat er noch nicht bemerkt, geschweige denn benennen können.

Man erinnert sich? „Wie heißt dieser Vogel?“ „Spast!“

In diesen Gesprächen komme ich mir manchmal wie die Mutter vor, die ich einmal war, wenn wir spazierengingen, wenn wir zu Hause waren, wenn wir die Gespräche führten, die wir führten. Wenn uns etwas auffiel, wenn ich im Gespräch Linien zog zu Anderem, so dass über die Jahre eine Art zusammenhängender Kosmos gedanklich entstehen konnte.

Dann führe ich diese Gespräche, wissend, dass sie wie ein Tropfen sind, der gleich wieder verdunstet, hoffend, dass da doch mehr bliebe..

Dann nehme ich diese Rolle an.

Schrieb einer Mutter ins Heft, sie möge ihrem Sohn einmal die Vögel zeigen, die sie kennt. Wie viele kennt sie wohl? Oder der Vater, den er am Wochenende sieht? Wieviele er? Worüber sprechen sie, wenn sie zusammen sind?

Zwei Stunden sind um. Wir gehen nach oben in den neu verlegten Vorraum. Die großen Pflanzen stehen wild und wirr herum.

Pflanzen neigen ihre Blätter nach dem Licht. Woher kam das Licht, fragen wir bei jeder Pflanze. Wir spielen das Licht. Woher kommt jetzt das Licht? Wie muss die Pflanze also stehen, gedreht werden, damit das Licht für sie „richtig“ kommt.

Sie bewältigen das sehr gut! Schließlich stehen alle Pflanzen richtig und es klingelt zur ersten Hofpause.

In der Pause halte ich Wache am Fußballfeld, beschütze die Kleinen vor der Rohheit der Großen, die immer in ihren Bereich laufen, ihnen den Ball abnehmen, mitspielen, ihnen keine Wahl lassen. Daher bin ich bei den „Großen“, die sich kindsköpfiger benehmen als die „Kleinen“, sehr unbeliebt. Im großen und Ganzen halten sie sich an die Regeln, während ich da stehe. Entern aber einmal mit Geschrei als Sechsergruppe den Platz, halten sich kurz darauf auf und gehen quer hinüber zum jenseitigen Rand, wo sie sich anrempeln.

Dann, als dies nichts nützte, laufen sie korrekt an der Platzlinie wieder nach vorne, fünfe nehmen einen in die Mitte, ich sehe Fäuste und Knie, die sich ins Zentrum bewegen, das ein Junge ist, sie spielen „jemanden verkloppen“ und denken, ich merke nicht, dass das gestellt ist. Ich bleibe auf meinem Platz. Da vergeht ihnen die Lust, es klingelt.

Noch schnell auf Toilette, hoffentlich hat oben jemand aufgeschlossen.
Auf dem Weg nach oben drückt mir eine Kollegin einen Fußball in die Hand. Mesut und Messi haben vorne am Schulhaus Fußball gespielt. Da ist es nicht erlaubt. Zusätzlich haben sie kleine Kinder mit dem Ball abgeschossen. Mesut hat auch seine Hausschuhe (wieder) nicht an.

Ach nein, das sind zwei von den vieren, die aus Gründen letzte Woche nicht zum Ausflug durften. Wie war das eigentlich noch mit der Brille der Erzieherin, die er ihr am 16. vom Kopf gekickt hatte, fällt mir jetzt ein...Ja, sollte auch einmal wieder ein gespräch geführt werden. Muss mich um einen Terminvorschlag kümmern. Nicht vergessen! Er scheint nicht dazuzulernen, das sollte man mal festhalten.
Wieder Mitteilungshefte vollschreiben, bitte unterschreiben für die Eltern, aber später, der Unterricht beginnt. Während dieser zwei Stunden zeigt Bastian ein extremes Störverhalten, vorher hatte er hingebungsvoll die Tafel gewischt und alles sensibel erfragt...Ich trage es auch ins Elternheft und ins Klassenbuch ein.
Natürlich komme ich mir bescheuert vor. Aber wie markiert man die Grenzen?
Wie macht man deutlich, dass angemessenes Verhalten die Hauptsache ist und nicht Querschüsse, die immer liebevoll und ermunternd von den Mitschülern belacht werden.

Die Elternhefte vollzuschreiben, war meine Tätigkeit in der 2. Hofpause. Diese hätte ich eigentlich zum Ausspannen gebraucht...Kaum bin ich fertig und habe es kopiert, klingelt es zur fünften Stunde.

Noch ein Elternheft hatte ich: Ein Konflikt vom Freitag. Emmely und Manuel hatten sich wohl mit Worten gegenseitig nichts geschenkt, aber Emmely hatte Manuel mit Tinte vollgespritzt. Dies hatte ich den Eltern eingetragen. Die Mutter schreibt einen langen Kommentar, der mir vorhält, ich sähe weg, wenn es um ihre Tochter ginge...Nee, das verletzt mich. Ich bin doch die, die hinschaut. ;-)

Ich habe nur keine Zeit, die Seelenregungen der Störer im einzelnen zu erforschen und auch keine Lust. Emmely verhält sich, gelinde gesagt, wie eine Kratzbürste, ich setzte sie schon von Mario weg, weil es nur Streit zwischen beiden gab, jetzt setzt sich das gleiche mit Manuel fort.

Ich will nicht immer dasselbe sagen. Ich bin kein Papagei. Wer dem anderen das Gesicht und die Klamotten vollspritzt, bekommt einen Eintrag. Punktum. Der Mutter schreibe ich einen Terminvorschlag ein, kommentarlos. Es muss ohnehin gesprochen werden.

In den Naturwissenschaften sahen wir einen Lehrfilm über das Klima und sprachen darüber. Sehr gut im Gespräch Peter und Hans, auch Anna macht mit, Sally sowieso, Cherry und Selena auch.

In der fünften Stunde deklinieren wir, erst mündlich, dann schriftlich. Schriftlich soll es jeder einmal für sich machen. Die Blätter schaue ich am Nachmittag an, sehr aufschlussreich. Der Dativ scheint schwieriger zu sein als der Genitiv, besonders im Plural. Ich gebe mal Noten auf die kleinen Arbeiten, damit sich jeder verorten kann.

Es müssen auch einmal Vieren dabei sein. Damit die Einschätzungen realistisch werden. Bei zwei Schülern hatte ich  bemerkt, wie die Eltern sich zu meiner Bestürzung offensichtlich in dem Bewusstsein befanden, ihr Sohn sei ein Aspirant fürs Gymnasium und das wird dann , wenn nicht gegengesteuert wird, bei den Gesprächen zum Übergang explosiv werden...

Ich würde mich freuen, wenn jeder aufs Gymnasium gehen könnte. Doch denke ich, jeder muss dann auch das Zeug haben, dort bleiben zu können und den Anforderungen gerecht zu werden. Sonst produzieren wir Scheitern, und das soll nicht sein.

Die sechste Stunde ist Fördern. Gabriele geht mit drei Kindern, die Geburtstag hatten, Bücher kaufen. Wir haben einen Buchladen in der Nähe, der ein breites Sortiment von Kinderbüchern führt und wo die Buchhändlerinnen die Bücher gelesen haben!


Man kann sie nach einer Thematik fragen und sie erzählen und legen einem die Bücher vor. So machen die Kinder eine Annäherungserfahrung, wie man zu passenden Büchern kommen kann. Das nutzen wir für die Geburtstagsbücher. Natürlich verschenken wir BÜCHER! :))

Ich bitte einige Kinder, dazubleiben, von denen ich das Gefühl hatte, sie haben beim Klimafilm vielleicht nicht viel mitbekommen. Kinder, die im Unterrichtsgespräch eher still bleiben. Wir sprechen also noch einmal eingehend über das, was gezeigt  wurde und das, was sie behalten haben, wobei die Aufmerksamkeit auf den korrekten Sprachgebrauch niemals müde werden darf.

Am anderen Tisch sitzt Peter und liest in seinem ausgeliehenen Buch. Ali muss auch kommen, weil er Mario in der Freizeitgruppe beim Spielen ausgelacht hat. Die anderen Kinder erhalten ein Plakat über Vögel und sollen sich die heraussuchen, die sie schon einmal gesehen haben. Währenddessen kann ich mit Peter und mit Ali jeweils lautes und sinnentnehmendes Lesen üben. Ali hatte nämlich seine Lesehausaufgaben nicht gemacht.
Dann wieder zu den Kindern und über die Vögel gesprochen, während die beiden Anderen weiterlesen.
Nun ist auch diese Stunde vorbei.
Sechs Stunden. Viel Konflikt. Ein ganz normaler Schultag.

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