Donnerstag, 13. September 2012

Zur Erziehung berechtigt - wie schön!

So schöne Wolken heute am blauen Himmel. Bildschönes Septemberwetter, nicht mehr so heiß und ganz klar alles. So ist es schön, denke ich mir, als ich in der ersten Pause auf dem Hof stehe und Aufsicht halte. Klar bin ich zusätzlich eingesetzt worden. Mache ich gerne. Andere mussten für mich auch mitarbeiten.

Die Mädchen aus dem Wollkurs kommen und sagen: "Wir hätten am Dienstag gern weiter genäht. Nähen ist soo schön."
Echt, das haben sie so gesagt.
In der vierten Stunde Vertretung, eine A-Klasse, kleine Kinder. Wir falten. Mein altes Hobby: What enhances the hands, enhances mind. Für eine Stunde ist Papierfalten wunderbar. Es trainiert die Koordination von Auge und Hand und das räumliche Vorstellungsvermögen. Ein paar Begriffe kommen noch dazu - was will man mehr. 

Später lässt die Kollegin, die ich wegen eines Gesprächs vertrat, mich wissen, die Kinder hätten es schön gefunden. Toll, ich auch. War lustig. Schön war auch, dass eine frühere, jetzt pensionierte Kollegin als Helferin dabei war. So konnten wir mal wieder etwas zusammen machen. Hinten saß eine Studentin, sie schrieb eifrig mit.
Als ich den Raum betrat, war die Kollegin vor mir gerade dabei, ihre Vertretungsstunde zu beenden. Zwanzig Kinder saßen kerzengerade vor ihren Matheheften, es war sehr still, sehr konzentriert. Man spürte, dass sich alle sehr angestrengt hatten. 

Nun ich. Hatte mein Märchenbuch dabei. Ein Mädchen kam vorbeigeschlendert und sagte: "Vorgelesen haben wir schon bekommen." Aha. Gut zu wissen. So frage ich die Studentin, sie sitzt immerhin schon vermutlich seit drei Stunden dabei. Ja, sie meint auch, die Kinder haben sich über eine längere Zeit schon rechnend und schreibend betätigt..
Nun kommt meine Ex-Kollegin mit einer Kindergruppe herein, sie hält mir einen Stapel Papiere hin, das soll gemacht werden. Aber....diese Kinder sind noch so klein. Sie sind müde. Methodenwechsel! Wir beschreiben kein Papier, wir basteln ein schönes Körbchen.
Bald bin ich mit meinem Körbchen durch alle Klassen durch. Sollte mir in der AGB einmal ein paar Tipps und neue Ideen holen.
Als Mario hört: "Heute "machen" wir beide die Breitengrade!", freut er sich. Lars ist da, also werden wir die Zeit zusammen haben. Doch halt - "Kann ich Dich mal sprechen?", fragt Lars, "draußen." 

Am Freitag. Hat. X aus unserer Klasse. Einer seiner Schülerinnen ein  pornografisches Bild aufs Handy geschickt. Freitag? Da war ich doch noch da? Hätte ich etwas mitbekommen müssen? Nein, es war am Nachmittag.

Es hatte viele Gespräche gegeben: Lars mit Schülerin, Lars mit Schulleiterin, Erzieherin mit X, Erzieherin mit Schulleiterin, Schulleiterin mit X und seinen Eltern, Schulleiterin telefoniert zwei Mal mit Mutter der Schülerin. Diese spricht mit den Eltern des Schülers. Heute: Lars mit mir, Erzieherin mit mir, wir beide zusammen mit der Schulleiterin, sie mit Schulpsychologen, ich rechne die Zeiten zusammen. Nee! das will alles in meinen Kopf noch nicht rein. Da sollen andere Sachen drin sein.

Ich hatte mit X schon zwei Stunden Unterricht zusammen erlebt, die Klasse war super lerneifrig gewesen, die einen hatten in ihren Materialien sich weitergekämpft, die anderen rechneten schon im Mathebuch im Nebenraum, ich dazwischen hin und her und alles lief einvernehmlich und gut. 

Nur Pablo singsangte mit seiner hellen Stimme: "Muss ich das machen?" und ließ mehrfach den Kopf ganz auf der Bank liegen. Er stellte hin und wieder Fragen, die er sich leicht hätte selbst beantworten können. Ali setzte sich zu Pablo und gab den Schrittmacher. Er war an ganz anderer Stelle, aber er stellte sich als Antwortgeber und Berater zur Verfügung.

Wenn Dinge so gut funktionieren, dann....müsste man direkt misstrauisch werden, dann IST etwas im Busch.
Doch ich war naiv wie ein kleines Kind, freute mich über den Lerneifer und die gute Zusammenarbeit auf allen Ebenen.

Dann rief ich alle zusammen: Es musste für die "starke" Gruppe etwas eingeführt werden. Die anderen, obwohl sie noch nicht so weit waren, konnten das schon mit anhören.

Es ging um einen Leuchtturm, der ist 60 m hoch, 1/2 von ihm ragt aus dem Wasser, 1/3 steht im Wasser und 1/6 ist Betonfundament. Wieviele Meter ragt er aus dem Wasser, wieviele Meter sind im Wasser usw.

1/2 von 60 m sind 30 m. 60 m geteilt durch 2. Die Hälfte-
1/3 sind 20 m, 1/6 sind 10m.

Was ein Leuchtturm ist, wusste jeder - wir waren schließlich an der Nordsee gewesen.
Blöd, dass keiner wusste, was ein Fundament ist.
Dass man Häuser nicht auf Sand baut...
Aber wozu hat man Lehrer?

Dann noch ein paar Beispiele, um zu sehen, wie sehr Brüche und der Umgang mit ihnen aus dem leben gegriffen sind und dann die Rechnungen.  1/4 von 80 Euro = ?

Nun konnten die Gruppen wieder getrennt weiterarbeiten. Die einen hatten es verstanden, die anderen werden es später verstehen.

Lucy hatte toll mitgedacht! Sie hatte in der Lernkontrolle eine "4" geschrieben - dafür war ihr Verständnis von den Brüchen eigentlich viel zu gut!

Die Lernkontrolle, die die Schüler am Freitag kontrolliert hatten, bekamen sie als erstes zurück. Lucy war ein wenig entsetzt, als sie ihr Exemplar in Empfang nahm und steckte es etwas zerknitternd und verstört in ihre  Tasche. Damit hatte sie nicht gerechnet.

Hier müsste Sherlock Holmes noch mal ran und aufklären. Hier ist Bedarf. Vormerken: Gespräch Lucy. Ebenso: Luigi. der nahm die "4" wie ein Mann, doch man sah, wie er leicht die Farbe wechselte.

Das sind zwei sehr ruhige Kinder. Sie sollten mehr fragen.
Sie brauchen etwas mehr Unterstützung.

Auf die Förderstunde hatte ich mich sehr gefreut. Nun ging ein Teil der wertvollen Zeit durch die Erzählungen der Schandtaten des X "drauf", was mir nicht gefiel. 

Dann erzählte man mir, dass Y einen krass sexistischen Spruch gemacht hatte, der auf eine Schülerin gemünzt war...Man muss auf so etwas eingehen. Fazit von 15 Minuten Gespräch: Der Spruch passt nicht zu Y. Er spielt gerne mit Plastiksachen und am Computer und zeigt sonst kindliche Verhaltensweisen. Hat auch zu den Mädchen ein ganz entspanntes freundschaftliches Verhältnis. Dieses hier  wirkte fremd bei ihm. Er hatte sich mit dem Spruch an einen derer in der Klasse gewandt, die stetig andere nerven und auf dem Kieker haben und wieder war genau die Schülerin die Zielscheibe, die es auch in den vorigen Wochen gewesen war. Der, der sie geärgert hatte, war aber seit dem Gespräch mit den Eltern ein Musterknabe geworden...

Das hat ein Geschmäckle. War es eine Anbiederung gewesen? Um nicht selbst Opfer zu werden? Die Nachfrage ergibt: Ja. 

Y hat es in der Klasse sehr schwer. Er ist in der Rangfolge sozusagen der Letzte, und so fühlt er sich auch, "wie der letzte Arsch." Sagt er.

Wir brechen das Gespräch an diesem Punkt ab. Die Uhr läuft und die Breitengrade warten. Doch dieser Faden, der will noch einmal aufgenommen sein.

So, Mario, jetzt haben wir noch 15 Minuten, aber wir werden sie nutzen.  Ganz langsam, ganz klein die einzelnen Schritte. Zweiergespräch. Vorher Ali: "Ich hab die Breitengrade auch nicht verstanden!"  "Nee, Ali, lass gut sein, jetzt ist  Mario dran. Nicht wahr, Mario, wir machen das mal zu zweit." Er nickt erfreut.

Wir sind jetzt der Kapitän mit dem Schiff im Stillen Ozean. Jeden Tag schreibt er seine Position ins Schiffslogbuch, da läuft das Schiff auf einen Felsen auf, er will mit der Mannschaft gerettet werden, aber es nützt nichts, wenn er sagt, er ist im Stillen Ozean. Das muss er schon etwas genauer hinkriegen. Das Netz der Parallelen, die Koordinaten. Der Schnittpunkt der Gradlinien als genaue Angabe.

Wir gucken auf den Globus. Später in den Atlas.
Der Äquator. Die Parallelen zum Äquator. Nord/Süd. Der Nullmeridian. Ost/West. Zunächst gucken, in welchem Erdviertel liegt: Nord/West, Nord/Ost,Süd/West etc.

Dann: "Zeig mir mal, wo Du geboren bist, Mario! - Quatsch, Du bist ja in Berlin geboren. Deine Mama?" "Die ist auch in Berlin geboren." "Deine Oma?" "Die lebt in Malatya."

Wir gucken Malatya. Oahhh! Sind das tolle Berge, der Taurus, das ist eine hohe Gebirgslandschaft dort, da kann Berchtesgaden nicht dagegen anstinken.

Also Malatya, Türkei. Zurück auf die Weltkarte. Norden/Süden? Norden. Osten/Westen? Osten. Zurück zur genaueren Türkeikarte. Zwischen welchen Breitengraden liegt Malatya? Ziemlich in der Mitte zwischen dem 36. und dem 40. Nun die Längengrade. Ziemlich genau auch da. Eine Quadratlage.

So ergibt sich für Malatya: 38 ° Nord / 38 ° Ost. Wir schauen noch die Koordinaten von Berlin nach: So ungefähr..53 ° Nord / 13° Ost. 

Dann ist die kurze Zeit leider vorbei. Aber Mario steht zuversichtlich auf. Er hat alles verstanden. Es war gar nicht schwer.  Nächstes Mal üben wir das und dann sitzt es. : )

Ich bekam heute einen SEHR schönen Gedanken zu lesen, er fand seinen Weg zu mir hin und ich habe ihn  mehrfach hin- und hergewendet. Er ging so:

Als Lehrerin bin ich zur Erziehung berechtigt. Ich bin berechtigt zu erziehen. Man hat mir das gegeben, das Recht, so in die Hand als Verantwortung. So habe ich das noch nie gesehen. Dieses Wort galt mir vorher nur für Eltern in formaler Hinsicht.

In Verbindung mit dem Lehrersein erhält das Berechtigtsein zur Erziehung etwas Inhaltliches, eine Dimension, die etwas von einer Gabe hat, etwas, das einem gegeben wurde,also anvertraut, etwas, das gar nicht kleinlich oder formal ist oder voller Zwänge und mit dem man wie mit einer Gabe, also verantwortlich,  umgehen sollte. So hatte ich das noch nie gesehen - vielen Dank für DIESEN schönen Gedanken!
Er hilft mir auf meinem Weg weiter.

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