Samstag, 8. September 2012

Stacheldraht im Hals und Meinungsfreiheit

Gestern wachte ich mit grauenhaften Halsschmerzen auf. Das heißt, sie hatten mich schon die halbe Nacht begleitet. So gegen vier Uhr dachte ich daran, um sieben Uhr anzurufen und mich "krankzumelden", weil es mir sehr schlecht ging. Die Fische würden auch mit drei Tagen ohne Futter klarkommen. Unsere Hausmeisterin ist krank, sie macht das sonst für mich, wenn ich mal verhindert bin.
Eigentlich müsste es doch gehen....Ich würde mich nach dem Anruf entspannt in die Kissen zurücklegen können und mich meinen Halsschmerzen widmen können....Vanessa? Vanessa kommt heute - na, dann muss sie eben mal Vertretung erleben. Ist nicht schön, aber nicht zu ändern. War da nicht noch was??? NEIIIIN! Heute kommt ja Frau Hüter, die Diagnostikerin, sie wollte mit Pablo noch einen Test zu Ende führen. Ihre Unterlagen hat sie in der Wollwerkstatt gelagert, da kommt sie dann nicht hinein, weil niemand in der Hausmeisterei ist...Ohhhh, ich wusste es, krank sein geht gar nicht...Jedenfalls nicht heute, wenn nicht alles daneben gehen soll. 

Also hoch mit dem Hintern,  und ab ins Bad! Der Schule erspare ich damit vier Vertretungsstunden. 

Was ich in dem Moment noch nicht wusste, war, dass ich mich telefonisch nicht hätte krank melden können, weil unser Konrektor und Vertretungsplanmacher selbst krank war und somit das Telefon um sieben Uhr nicht abheben konnte...

Vor längerem hatte ich ihn einmal gefragt:"Was machst Du, wenn Du selbst krank wirst?" Er meinte, dann kommt er trotzdem, macht den Plan  und geht danach nach Hause. "Das sind junge Leute," dachte ich mir, "die haben das alles noch im Griff."

Vor Jahren hatten wir an der Schule eine Gruppe Kolleginnen und Kollegen, die morgens den Vertretungsplan erstellten, jeder hatte einen Tag und wusste auch, wen er oder sie schnell anrufen kann, wenn man mal selber nicht kommen kann. Aber muss ich mich in alles einmischen? Solche Besserwisser, die immer Ratschläge erteilen, wo man sie vorher gar nicht gefragt hat, die mag ich auch nicht und wollte auch nicht so jemand sein.

Er war sich eben seiner Kräfte und Verfügbarkeit sehr sicher. Jeden Morgen ist er schon vor sieben Uhr da, bewundernswert, einer allein die ganze Woche...

Das Vertretungsplanerstellen ist manchmal sehr anstrengend, weil zu wenig Leute da sind, und wer nimmt schon gern allen Kollegen die Förderstunden weg??? Da ist man vor acht Uhr schon manchmal richtig vorgeglüht. Ich habe es damals gelassen, weil ich nicht die sein wollte, die alle Teilungsstunden zerreißt und Förderstunden in Vertretungsstunden umwidmet. Ich fand es interessant zu wissen, wie es geht und dass ich es auch konnte.

Aber wenn man ein Kollegium mit Durchschnittsalter 55 hat, wenn, HA: INKLUSION!!!, damals, als sie die sog. "Integration" von Sonderschülern an der Grundschule einführten, sie je Schüler mit 5 (FÜNF!!!) Förderstunden pro Woche BEGANNEN, wo sie wollten, dass wir noch mitziehen, wenn man bedenkt, dass wir jetzt HA: INKLUSION!!! bei nominell 1,8 Förderstunden pro Kind sind, von diesen 1,8 wird viel heruntergekürzt und ein großer Teil des Rests als Vertretungsstundenmasse verbraten, dann geht einem schon der Hut hoch, weil es SEHR unangenehm ist, mit Aufgaben befasst zu werden, die man nicht lösen KANN = Bürokratischer Sadismus: Blöd genug, wenn man zu doof ist, nicht Schulrat zu werden, nicht wahr? Ihr doofen kleinen Indianer?? Ätschbätschi, Ihr da unten....

Dass es Menschen gibt, die gerne Lehrer sind, die für diesen Beruf brennen, die nicht an irgendeinem Schreibtisch sitzen wollen und, weil das finanzielle und personelle Hemd hinten und vorn nicht passt, andere nicht verarschen wollen, das geht ihnen nicht ins Hirn hinein. 

Wenn dem nämlich nicht so wäre und wenn ich jetzt ungerecht wäre, dann würde es auf dieser Ebene  Protest geben. 

Es gibt aber keinen, eher findet man Leute, die vorher jahrzehntelang in der Gewerkschaft laue Proteste anführten, für ihre letzten Jahre in der Senatsverwaltung wieder und erhält von ihnen Papiere, die sie eigentlich nicht hätten unterschreiben dürfen, wenn das, was sie vorher sagten, ihre wirkliche Meinung gewesen wäre...

Ja, hallo, Ihr Bürokraten da oben, auch ein beamteter Lohnsklave darf eine Meinung haben, auch, wenn Ihr da vollkommen anderer Ansicht seid. : )

Aus diesen Gründen habe ich damals meine Kooperation am Vertretungsplan zurückgezogen. Die Zahlen stimmen nicht. Mit einem total überalterten Kollegium, mit einem Lehrerstundenstand von 95% KANN man nicht mehr human Vertretungspläne erstellen.

Im Grunde müsste die Lehrerstundenzahl an einer Schule sagen wir mal, 110 % betragen. Denn es ist immer jemand krank. Dann würden die Förderstunden unangetastet bleiben. Ach ja, das kostet ja Geld, und das Geld haben wir nicht und das Geld, das wir nicht haben, das werfen wir ja gerade in den märkischen Problem-BER-Sand.

Manchmal hat man das Gefühl: Sind wir ein "Schwellenland"? Oder ein sog. "Entwicklungsland" Es fühlt sich wie wirtschaftliche Armuts-Nachkriegsverhältnisse an, oder ist das  schon Vorkrieg??? Normalzustand ist so etwas jedenfalls nicht.
Aber wir haben das schon seit etwa fünfzehn Jahren und es wird immer schlimmer.

Alle Pensionierten sagen: "Ein Glück, dass ich  gehen konnte, als es noch Spaß gemacht hat!" - "Wie lange hast Du  noch?"

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Also, ich hebe meinen Hintern aus dem Bett, wackele ins Bad und bin um halb acht in der Schule, wie es sich gehört.
Ich weiß, ich kann heute nicht richtig Dampf machen, der Hals tut weh, habe so Kreislaufschwächen, sage das den Kindern und gebe ihnen mehrere Aufgaben, deren Reihenfolge des Bearbeitens sie selbst bestimmen können - bitte immer gemeinsam die Dinge lösen und untereinander um Rat fragen!
So geht es dann los.

 Zuerst die Frage, wie es gestern war, ob es noch etwas zu besprechen gibt oder ob wir gleich loslegen.
Marie wurde in dieser Woche nicht mehr geärgert. Aufatmen. Also hat die harte Linie etwas gebracht! :) Ich hatte sie allein gefragt, nicht vor der Klasse. 
Selena freut sich sehr auf das Schwimmen nachher:
Sie geht am Nachmittag mit einer Gruppe des Jugendzentrums Wasserturm ins Spreewaldbad schwimmen. 
Die Kinder entziffern die Aufschrift auf meinem Hemd. "There are 10 types of people...those who understand binary and those who don't."
Those, diese da - Uhh, ich muss jetzt systematisch Pronomen üben, aber bald!
Manche Grammatikthemen lasse ich lange liegen, sie lernen sich leicht und mit weniger Zeitaufwand oder Versagensgefühlen, wenn man später rangeht, wenn das abstrakte und formale Denken (nach Piaget) schon im Ansatz entwickelt ist. Aber jetzt ist's wirklich höchste Zeit, dass die Schüler die anderen Pronomen neben den Personalpronomen kennen lernen. Diese fehlen ja auch im Englischunterricht. 

Die Kinder wissen, dass die "10" Types binary gelesen werden, also "2" bedeuten. Es gibt 2 Arten von Leuten, solche, die den Binärcode verstehen und solche, die nicht...

Gleich schließen wir ein paar Zahlenaufgaben an, so wird das Hirn beweglich, das sind gut angewendete fünf Minuten. Einigen macht es Spaß, sie finden es nicht schwer, anderen ist es wohl zu weit weg vom Gewohnten. Ali ist brilliant bei dem Sujet, er, Bastian, Peter und Hans sind Feuer und Flamme - wo sind die Mädchen bei der Sache? Lucy macht das ganz gut, Selena ebenfalls. Nun geht es aber doch ein wenig zu sehr durcheinander. Ein paar Jungen rufen Zahlen in die Klasse und nehmen das Ergebnis vorweg, das geht so nicht.

Ich sage ihnen, dass ich mir jetzt einen negativen Strich an die Tafel gebe für jedes Hineinrufen, auf das ich reagiert habe. Einmal haue ich noch daneben und habe einen Strich an der Tafel, aber danach ist die Antwortdisziplin wieder hergestellt.

Wir haben eine Geste, die signalisiert, dass ich es auch wusste, wenn ich nicht drankam, das ist ein leichtes Klopfen auf die eigene Schulter: Prima, das wusste ich auch! Das ist besser als "Oooohhh" zu rufen, wenn ich nicht aufgerufen wurde.

Wir legen gleich los. Vanessa ist heute ebenfalls gekommen und hilft tatkräftig mit. Zuerst hilft sie Mario. Dann geht sie mit Selena und Scherii in den Nebenraum, die beiden tragen ihr ihr Referat vor. Das ist ihre Generalprobe. Mathe, Erdkunde oder Naturwissenschaft (Referate vorbereiten), jeder beginnt mit etwas. Frau Hüter erscheint und nimmt Pablo mit. Wenn sie wüsste, dass ich mich wegen ihr hierhergequält habe..

Ich setze mich hin und korrigiere diesen fiesen Mathetest, der kein Ende nehmen will. Irgendwann fragt Ali:"Kann ich auch korrigieren? Ich mache es auch richtig, auch wenn es mein Freund ist..." und in meiner Not denke ich:"Warum nicht?"  

Ali nimmt sich einen roten Stift, ich gebe ihm Peters Arbeit als Vorlage für die Kontrolle. Dann geht es schneller. Nun wollen auch Messi und Mesut kontrollieren und am Ende des Schultages sind alle Arbeiten kontrolliert!!!! Das ist nun keine Klassenarbeit, sondern eine Lernkontrolle. Außerdem schaue ich das auch noch einmal nach, aber es hilft!!

Es hat mich so motiviert, dass ich mit Stacheldraht im Hals und Schnupfnase am Nachmittag im Bett sitze und ALLE Arbeiten überprüfe, die Notenbereiche festlege und die Noten gebe. HURRA! Das war echtes Teamwork!!
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Wir haben drei Schwierigkeitsgrade beim Lernen, die "Bäumchen", das sind die einfachen und nicht so umfänglichen Aufgaben. Die "Sonnen" sind mittelschwer und die "Monde" müssen mehr an Umfang und eine größere Schwierigkeit bearbeiten. Dabei können die "Sonnen" auch mehr arbeiten und sich in den Mondbereich hineinbegeben. Manchmal muss oder möchte man auch wechseln. Dass es nach oben offen ist, erbringt sehr viel Lerneifer und Ausdauer.
So sieht eine Testauswertung in drei Stufen aus:
Es ist ein bisschen wackelig, weil es im Bett liegend erstellt wurde:

Bäumchen: 110 Punkte, Sonnen 168, Monde 180

Man sieht, es ist sehr gut ausgefallen. Das Thema waren verschiedene Aufgaben, die ein Grundverständnis von Brüchen und einfachste Rechnungen mit Legen der Bruchstücke unterstützt, aufzeigen oder, wo es noch hapert und gefördert werden muss, damit das Rechnen mit den Brüchen, das jetzt beginnt, auch vom Verständnis her begleitet werden kann.
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Vor der ersten Pause baten Scherii und Selena alle in den Erzieherraum und brachten ihr Referat. Es war sehr gut, informativ und die Lernenden gut aufbereitet. Ich hätte eine 2+ gegeben, weil ich mit der "1" sehr sparsam bin, aber Vanessa meinte, das ist eine "1". Vanessa ist in Freiburg zur Schule gegangen und studiert Gymnasiallehrerin, wenn so jemand sagt, das ist eine 1, das ist das eine 1. Prima! Pause.
Nach der Pause sprach Frau Hüter mit mir über die Förderkinder. Sie wollte noch in der Klasse weiter Beobachtungen sammeln. Ja, was soll man da sagen? Klar, machen Sie das!
Das Arbeiten ging so weiter, war sehr harmonisch und konfliktlos. In solchen Momenten muss ich immer an ein Buch von Peter Ramsauer denken, der Titel heißt "Durch Unterricht erziehen".
Ich glaube, wenn Kinder in Situationen Handlungsspielräume haben und nicht immer am Gängelband laufen müssen, nimmt auch die Aggressivität ab und die Sozialität zu. Das verknüpfe ich mit einem solchen Titel.
Vanessa sagt mir Schönes über den Unterricht, das, was ihr gefällt, das tut gut. Die Firma lobt ja nicht. Die Firma nervt nur. Mit Firma meine ich nicht unsere Schulleitung. Die gibt sich verdammt viel Mühe und macht das gut.
Jetzt ist die Erkältung im Kopf angekommen, nach der Schnupfenflut setzt es sich jetzt oben drinne fest. Gut, dann die Bronchitisphase, und dann ist es überstanden. Bloß, es wird mindestens das ganze Wochenende lang dauern. Mist. Kein Lesen, keine Schafe besuchen, Megamist.
Hallo Markus, Dir auch gute Besserung! Hoffentlich bist Du am Montag wieder um 7 Uhr da, falls ich anrufen muss.... ; ) 

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