15.2.2012

Mesut kommt heute früh und sagt ganz aufgeregt: "Du, Emmely war doch gestern nicht da, oder? Stell' Dir vor, sie hat den ganzen Tag gefacebooked!" Die Mutter hatte ihr eine Entschuldigung für das gestrige Fehlen geschrieben, schrieb, sie habe Fieber gehabt. Wenn ein Kind Fieber hat, sagt man, soll es erst zwei Tage nach Abklingen wieder zur Schule gehen.  Durch die häufigen kurzzeitigen Fehlzeiten haben die Kinder wenig Erfolge, obwohl sie ziemlich klug sind.

Ali kann heute gar nicht still sitzen. Er bringt uns noch alle um den Verstand. Er wirkt,als habe  er gestern bis zwei Uhr nachts Computerspiele gespielt. Als ich ihn darauf anspreche, leistet er kaum argumentative Gegenwehr.

Zuerst biete ich ihm an, auf dem Schulhof eine Runde zu joggen. Das macht er gerne. Danach ist aber nichts besser. Er stöhnt bei jedem Arbeitsauftrag, als sei er eine Zumutung. Kriegt nichts hin. Andauernd klappert er mit einem Anspitzer auf dem Tisch herum, aber nicht aus Absicht, er merkt das nicht. Ich habe in einer tiefen Ecke hinten in einer Schublade Reissäckchen, frage ihn, ob er den Spitzer weglegen könne und ein Reissäckchen nähme, das könne man gut kneten und das stört die anderen nicht. Ja.

Das geht eine Weile gut. Viele andere Jungen rufen:"Ich will auch eins usw.!"
Als meine Säckchen alle sind, will ich weitermachen, da steht der erste auf und geht in der Klasse umher mit dem Säckchen auf dem Kopf. Eine gute Übung für gute Haltung. Da wir nicht genug Säckchen für alle haben, schlage ich vor, ein Buch nehmen und kann noch gerade verhindern, dass Tobi mein schöner Lehrerduden vom Kopf kracht.

"Nehmt die ollen Wörterbücher aus der dritten Klasse", empfehle ich, und schon bewegt sich die Klasse mit Buch auf dem Kopf umher.
Inzwischen hat Ali mit Bastian auf dem Gang einen Säckchenweitwurf organisiert.
Ein Glück, dass ich heute nacht ausgiebig geschlafen habe. Meine Nerven sind heute un ver wüst lich.

Was hatten wir eigentlich noch für ein Thema? Anna schreit:"Die Neonlampe blendet mich, die flackert so!" "Dann schreibe einen Zettel für die Hausmeisterei, dass sie sie reparieren kommen! Und schreibe dazu, dass ein Teil der Jalousie bei dem Wind heute so gegen die Scheibe
kracht, dass man total abgelenkt ist." Sie macht das und gibt es ab.
Cherry sucht im seit Montag wieder funktionierenden Computer Bilder von Akrobaten, die mit ihren Körpern Pyramiden bauen. Sie findet auch eines, aber unser Drucker funzt noch nicht. Ich kopiere ihr Bild auf meinen USB-Stick, damit geht sie in den Computerraum und lässt sich das Bild ausdrucken. Sie will es dem Sportlehrer zeigen als Modell für etwas, das man ausprobieren wolle. Sally, unsere Neue, geht mit und lernt so den Computerraum kennen.

Derweilen sitzt Mario vor dem Computer und hat sich in seinen neuen Blog eingeloggt. Er hat ihn bei myblog angelegt, da haben wir ja auch unseren Klassenblog. Toll! Das hat er nachmittags ganz allein hinbekommen. Er schreibt. 

Eine Riesengruppe beugt sich über seine Schultern, fachsimpelt und plötzlich ist ein langer Text, den er vorher eingegeben hatte, weg. Er weint fast vor Wut, auf jeden Fall wütet er herum, schade um den Text! Nun müssen wir eine Regel festlegen: Wer am Compi arbeitet, kann sich jemanden dazubitten, für alle anderen ist dieser Arbeitsplatz zu der Zeit tabu.

Wir haben heute im "Friedrich" weitergelesen, die Gerichtsverhandlung. Über die NSDAP gesprochen, über Neonazis und ihre klammheimlichen Zeichen, "Lonsdale", "18", "88" , weiße Schnürsenkel in schwarzen Springerstiefeln etc.
Wir haben in Naturwissenschaft, Biologie, Sexualkunde, die primären und sekundären Geschlechtsorgane des Mannes behandelt, unwillkürlichen Samenerguss, Onanie früher und heute, Beschneidung besprochen.
Ronaldo ruft: "Ich hatte das ein paar Tage nach meiner Geburt!" Ich weiß besser, wann das war: es war im letzten Jahr gewesen und ich für ihn lügen müssen, weil er sich damals so geschämt hat. Es durfte nicht über den wahren Grund seines Fehlens gesprochen werden.
Wir haben Rechtschreiben geübt und hatten eine halbe Stunde Freiarbeit. Selena und Cherry sägten mindestens zwanzig Klötzchen von dem Vierkantholz ab. Sie sollen später im Rechtschreiben eingesetzt werden: B eck en Fl eck be zw eck en usw. Man kann durch Drehen der Anlaute; Vor- und Endsilben und durch Stehenlassen der Signalgruppen, z.B. eck Wörter bilden und so Regelmäßigkeiten im Wortaufbau erkennen. Na, so sechzig Klötzchen werden sie noch sägen müssen. Bastian arbeitet weiter an seinem Länder/Hauptstädte-Memory aus Holz, das er für unsere Klassenfahrt verkaufen will.
Die Antragsformulare für die Kostenerstattung der Klassenfahrt brachten einige Kinder zurück - ich hatte den Schulstempel vergessen. Die Bürokratie und ich: Wir werden nie ein Paar.