Mittwoch, 29. Februar 2012

Bildung ist etwas Furchtbares, fast so schlimm wie Folter

Heute haben wir das Zuckermuseum besucht. Es liegt in der Amrumer Straße, kurz vor der Seestraße, in Richtung Norden gesehen.
Der Eintritt ist frei. Für 20 Euro gab es eine Führung von ca. einer Stunde Dauer. Frau Schaffert hat sehr kurzweilig und informativ erzählt und auch für Kinder genau den richtigen Ton und die richtige Wortwahl getroffen.
An ihr kann es nicht gelegen haben, dass einige Jungen sich ständig absonderten und Desinteresse demonstrierten. Wenn man sie zur Gruppe rief und von ihnen wollte, dass sie etwas zuhören, drehten sie sich weg und zeigten eine Mimik, als ob man sie in einen Folterkeller gebeten hätte.
Hmm. Kulturelle Sozialisation ist keine leichte Sache, wie es scheint. Es ist ja nicht nur so, dass manche Kinder kulturell sehr unbeleckt sind. Sie sind es wirklich. Nein, sie zeigen Missachtung und- könnte man es so formulieren?-fast: Verachtung für die anspruchsvolle Tätigkeit, Informationen aus einem kurzweiligen und anschaulichen Vortrag aufzunehmen. Widerstand eben.
Das ist doch mal einen Gedanken wert. Diese Kinder sind nicht nur ungeschult, sie lehnen die Segnungen der Bildung, die man ihnen zuteil werden lassen will, offensiv ab. Erklären sie für sich als irrelevant. All dieses zeigte die Mimik und Gestik dieser Kinder. Es waren vier Kinder. Drei Jungen, ein Mädchen.
Was ist so Schreckliches daran, vor jemandem zu stehen, der inmitten von Anschauungsmaterial einen Vortrag hält und ihm zuzuhören? Ich meine, es kann ja sein, dass ein Kind nach zwanzig Minuten "voll" ist, dass es nicht mehr zuhören kann und seine Gedanken abschweifen. Es kann auch sein, dass dieses Kind sich für das Zuckermuseum überhaupt nicht interessiert.
Aber muss man sein Desinteresse so demonstrativ zeigen? So, als sei man besser, weil man es ablehnt und die anderen die Doofen, die zuhören?
Der eine Junge, den das betrifft, der hätte eigentlich das Zeug, auf einer Gesamtschule sein Abitur versuchen zu können. Er ist klug, aber mordsmäßig ungeschult. Kein Bock, macht kein Spaß, ist blöd etc. Sein Bruder ist in einem Kreuzberger Gymnasium mit mäßigem Erfolg. Den Grund hierfür sieht unser Junge im Rassismus der Lehrer. Als er mir das sagte, meinte ich:"Meinst Du nicht, er ist einfach nur zu faul?"
Es ist so leicht, zu sagen, das sind alles Rassisten. Dass in der Bildung vor dem Erfolg die Anstrengung steht und die Bereitschaft dazu, das so genannte "Sitzfleisch", das muss doch in diese Köpfe auch hineinzukriegen sein...Nein? Dann kann jemand doch nur unglücklich werden, wenn er in seinem Leben systematisch so weit unterhalb seiner Möglichkeiten navigiert.
Es ist zum Heulen. Ich höre immer von Migrantenverbänden, die Grundschullehrer würden Migrantenkinder systematisch ausschließen, ihnen zu wenig Gymnasialempfehlungen geben, sie müssten ihnen mehr zutrauen.
Verdammte Axt! Wenn einer bei der kleinsten Schwierigkeit die Flügel hängen lässt, dann kann ich ihm keine Gymmiempfehlung geben. Er muss ja nicht nur da hinkommen. Er muss auch da bleiben können.
Wir haben noch ein Jahr Zeit.
Das Problem ist, dass es eine Riesen-Werte-Kluft gibt zwischen dem bildungsorientierten Teil der Gesellschaft, dem, der weiterkommen will und dem, der sofort resigniert, wenn die kleinste Schwierigkeit oder Abweichung vom Gewohnten auftritt.
Da hingen elfjährige Jungen schlapp an der Wand, waren nicht in der Lage und/oder nicht willens, auf einem Fleck Boden zu stehen ohne Wanddeckung zu haben. Anlehnungsbedürftig. Sogar einer, der die große Fußballhoffnung ist und austrainiert sein müsste bis zum Gehtnichtmehr.
Was machte sie so depressiv, frage ich mich.
Ich habe mich gerächt. Ich habe, als wir zurück waren und draußen Pause gemacht hatten, jeden gezwungen, aufs Papier zu spucken, was er meinte, behalten zu haben. Und das schaue ich mir jetzt an.
Unser Freund, über den ich eben sprach, bekam nichts auf sein Blatt. Er wollte auch nicht. Saß nur da. So gab ich ihm den Schlüssel zum Nachbarraum, damit er dort in Ruhe zu sich kommen könnte. Eigentlich wollte ich ihn nur nicht mehr sehen. Nach zwanzig Minuten hatte er ein ganzes Blatt vollgeschrieben.

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