Der Vormittag begann heute mit einem Gespräch über den gestrigen Pancake- und Schneetag und den Nachmittag. Ein Junge aus der Parallelklasse hatte ein Mädchen schwer beleidigt, darüber war aber gesprochen worden. Leider war der schöne Schnee von gestern schon wieder geschmolzen.


Wir sprachen auch darüber, dass wir bald das Zuckermuseum besuchen wollen und wie wir es schaffen, noch einmal mit Muße die Ausstellung im Naturkunde-Museum zu besuchen.
Dann legten wir die neuen Ämterinhaber fest und beurteilten, wie die vorigen das gemacht hatten. Ich halte das immer auf Kärtchen fest, dann sieht man gleich, wieviel jemand für die Allgemeinheit getan hat und wie sorgsam er dabei war.
Ich sprach mit der Klasse noch über Messi. Gestern sollte jeder den Pancake-Rhyme einmal aufsagen. Messi hatte behauptet, er sei schon drangewesen. Wir Erwachsenen erinnerten uns daran nicht. Ich führte die Liste, er stand nicht drauf. Trotzdem behauptete er, er sei schon dran gewesen. Meine Kollegin fragte die Klasse, ob jemand das bestätigen könne und es hoben sich etwa sechs bis acht Arme. Das ist doch komisch. Er hatte es nicht aufgesagt, hatte gelogen. Wie kann man sich erklären, dass dann einige ihm zustimmen, obwohl sie wissen müssen, dass das nicht stimmt. Ist er der Boss?? (Er fehlte heute.) Wieso lügt er? Er sagte das gedicht dann auf, und zwar sehr gut. Wieso findet er es gut, uns wiederholt anzulügen und wieso findet er ein Drittel der Klasse, die das bestätigen, was er fälschlich sagt?
Also, das war ein Punkt, der mir auch, nachdem ich es angesprochen hatte, ein unwohles Gefühl machte.

Wir haben ein Kind, dessen Vorname der einer der Musen ist. Da ritt mich ein kleiner teufel und ich improvisierte etwas über die griechischen Musen und die Muße und somit Wörter, die es nur im Deutschen gibt wie "Muße", "Sehnsucht", "Heimat" und so weiter. Gleichzeitig betonte ich, dass es in jeder Sprache Wörter gibt, die es nur dort gibt, weil jede Sprache mit ihren Wörtern eine Art Bild von der Welt gibt und jede hat ihr besonderes Bild von der Welt.





Da mir das Wort "Muße" außerordentlich nah ist, musste ich unbedingt versuchen, es zu erklären, auch, dass das griechische Wort für Schule, skolé, gleichfalls "Muße" bedeutet - ja, und das haben heute alle Leute vergessen, diese ganzen Optimierer und Quantifizierer und Kategorienverfälscher und Quantitätsfetischisten und--halt!

Ob da etwas hängen blieb, weiß ich nicht, allein, der Versuch war gemacht.
Die ersten beiden Stunden war Kunst.


In den letzten Stunden hatten wir vulkanische Bilder in Rot, Orange gemalt, nun dachte ich, könnten kalte Farben dran sein und gab vor, jeder solle eine "Blaue Stadt" -Silhouette malen. Die möglichen Elemente genannt, Ideen gesammelt, einen Tafelentwurf gemacht und wir waren bereit. Blau könnte auch die Farbe eines Traumes sein, dann dürfen auch geflügelte Dinos oder Einhörner drin vorkommen. 
 
Alle begannen gleich, nur nicht einer. Ali.
"Müssen wir das machen? Das macht keinen Spaß!" 

Er sagt das immer, wenn es ans Malen geht. Früher war dies sein Kommentar bei jedem Lesen, aber nun hören wir es stets, wenn es ein Kunstthema zu bearbeiten gibt.

Nun ist Ali sehr klug und intelligent, aber so was von antriebsarm, dass man es sich nicht vorstellen kann. Immer sieht er müde aus, müde und überreizt. Die Kunst ist nun nicht gerade das Feld, auf dem man drohen sollte, auch nicht mit Noten, so schlug ich ihm vor, er könne in diesen beiden Stunden etwas Anderes Sinnvolles tun und in der dritten Stunde mit Lesepate Robert zusammen das Bild malen. Ja, das fand er gut.


Ich holte die Webrahmen heraus und begann, sie zu bespannen. Da wollte er helfen. Während der nächsten Stunde bespannten wir in vollkommener Eintracht etliche Rahmen, dann ging es zur Pause.




In der Pause hatte ich Aufsicht und arbeitete mich an einer 6. Klasse Mädchengruppe ab, die im Haus herumstanden und nicht raus wollten. Als ich sie fast unten hatte, fiel der einen ein, dass sie unbedingt auf Toilette musste, aber sofort. Das war ihr beim Herumstehen vorher nicht aufgefallen. Sie hatte etwa acht Unterstützerinnen und ich fragte mich danach, warum ich 1500 Worte brauche, damit eine einfache Regel eingehalten wird.
Ich habe mich sehr unbeliebt gemacht.


Danach kaum Zeit, um Schuhe zu wechseln und zur Toilette zu gehen. Oben warteten schon alle, Robert war auch schon da. Wir hatten beschlossen, weiterzumalen, wer wollte, und im fliegenden Wechsel auf die Rechtschreibung umzusteigen.

Doch einige nutzten das schwer aus, um eine sehr ruhige Kugel zu schieben. Robert ging mit Ali in den Nebenraum. Ali ist immer sehr zugewandt, wenn er allein mit einem Erwachsenen ist. Sobald aber einer seiner Freunde dabei ist, holt er die Stacheln raus und es passiert nichts mehr.

Nun hatte ich gar nicht gemerkt, dass Bastian und Murat sich auch nach drüben verzogen hatten, und als die Stunde vorbei war, hatte Ali ein jämmerlich geisterhaftes Etwas gezaubert, das man nicht leicht als ein Bild bezeichnen konnte. Es war die in Farbe getauchte Unlust.


Ich war ein bisschen sauer, weil die beiden anderen sich so klammheimlich verflümt hatten und weil Ali dadurch bei dem massiven Unterstützungseinsatz von mir und später Robert nichts und wieder nichts hinbekommen hatte. Es nervte. ich hatte gut geschlafen, was um halb 10 im Bett gewesen, da sind viele meiner Schüler noch lange nicht im Bett, aber gute Nerven sind die Grundlage von allem in diesem Beruf. Bastian, Ali und Murat hatten dann noch mit halbflüssiger weißer Farbe schneeweiße Flecken in den Gang gezaubert, die sie anschließend sachkundig wegwischten. Leider versäumten sie dadurch etwa 15 Minuten unserer Lesestunde über die Shoah. Absicht?


Dann noch kurz mit Robert gesprochen, damit er es nicht falsch versteht. In seiner zweiten Stunde gingen Pablo und Ronaldo mit ihm in unsre phänomenal gute Bibliothek lesen.
Zur vierten Stunde zu wechseln, war sehr schwer "Och nö, nicht schon wieder Friedrich!"
Picassos blaue Phase, aufgefunden von Anna und Selena.
Ebenfalls: "Schöne blaue Muster" in den Computer eingegeben:



Ich hatte das Gefühl, meine Energien verschwinden im Nirgendwo und haben null Effekte. Da fing ich an zu drohen: "Ich warte jetzt schon 10 Minuten und manche von Euch haben immer noch die Malsachen vor sich, dann arbeite ich mit Euch diese 10 Minuten oder länger in der Pause. Ich zähle ab jetzt die Zeit!"Die blödesten Mittel funktionieren immer am besten. Leider. Ich war ein bisschen sauer, weil ich nicht gern zu diesen Mitteln greife, aber fürs Wohlfühlen werde ich leider nicht bezahlt.

Im "Friedrich" gab es das Kapitel "Der Lehrer". Der Lehrer sagt, alle haben jetzt Unterrichtsschluss, doch will er ihnen noch etwas sagen, aber, wer gehen will, kann gehen. Alle bleiben. Es folgt ein geschichtlicher Abriss der Judenverfolgung als Vorspann zur Mitteilung an die Klasse, dass Friedrich den Unterricht nicht mehr besuchen darf. Als der Lehrer ein bisschen geredet hat, frage ich die Klasse, was sie meint, ob der Lehrer für oder gegen Hitler sei. Peter sagt sofort: "Er ist gegen Hitler." Obwohl es so deutlich noch nicht geworden war. So eine Urteilssicherheit, klasse! Die schwierigen Stellen lese ich, später lesen Kinder einzelne Abschnitte, über Besprechenswertes sprechen wir.
Gegen Ende der Stunde ist das Kapitel zu Ende gelesen und wir verabschieden uns pünktlich in die Pause...Ich weiß nicht, wie schwierig es für ein arabisches, libanesisches und sich selbst als Palästinenser bezeichnendes Kind wie Ali ist, sich mit der Judenverfolgung der Hitlerzeit angemessen auseinanderzusetzen. Es könnte sein, dass das, was wir besprechen, sich  sehr von dem unterscheidet, was er in seinem Umfeld hört. Doch wir leben in Deutschland. Hier ist es Pflicht, sich mit dem Unrecht auseinanderzusetzen, das den Juden widerfahren ist. Eine menschliche und bürgerliche Pflicht und jeder, der hier Bürger sein oder werden will, hat sich hiermit auseinanderzusetzen.
Ich weiß, dass manche meiner Kollegen es nicht mehr machen, weil, es ist zunehmend schwieriger geworden.
Doch es muss sein. Es muss einfach sein. Man muss auch so viel wissen, um sich ein wenig auszukennen. Wer soll das vermitteln, wenn nicht wir? Und außerdem: Damals war es Friedrich. Wer könnte es heute werden oder morgen?
Gerade Ali ist einer, der sich gerne in der Gruppe andere vorknöpft und sie demütigt, oft ist das schon geschehen.
Die Gespräche, wenn wir sie führen, verlaufen prima. Doch weiß man nicht, wie das alles bei den palästinensischen Kindern wirklich ankommt.  Im arabischen Raum sind Hitlers "Mein Kampf" und "Die Weisen von Zion", beides unsägliche Hetzbücher gegen Juden, derzeit mit die meist verkauften Bücher...