Freitag, 24. Februar 2012

Das Rechtschreibproblem

Peter ist ein kluger Schüler. Das zeigt er mehr und mehr in den Naturwissenschaften und in Geschichte und Erdkunde, auch in den Gesprächen. Er spricht jetzt mehr und kann sich schon viel besser ausdrücken als noch vor einem Jahr.Er zeigt bei den Gesprächen ein gutes Einfühlungsvermögen und große Fähigkeiten, disparat erscheinende Fakten logisch angemessen zu verknüpfen. Hier hat er große Fortschritte gemacht. Vor zwei Jahren oder noch vor einem Jahr sprach er kaum, er zeigte wenig von sich, war recht unnahbar. Heute sieht man ihn schon auch lächeln und sich an den Unterrichtsgesprächen, aber auch an den informellen Gesprächen wunderbar beteiligen.
Nur beim Lesen und in der Rechtschreibung hapert es. Im Zeugnis hatte er ein "Ausreichend" in Rechtschreiben mit der Tendenz zum "Mangelhaft". Eigentlich hätte es umgekehrt sein müssen, aber man sollte zusehen, dass er nicht resigniert. Seine Mutter war wohl alarmiert gewesen und hat um ein Gespräch gebeten, in Anwesenheit mit unserer arabischen Sozialarbeiterin Meryem. 
Mir geht dieses Gespräch schon seit ein paar Tagen im Kopf herum. Ich würde die Mutter gern fragen: "Haben Sie Bücher zu Hause? Leihen Sie mit Peter welche aus? Wie oft haben Sie Peter in seiner Kindheit vorgelesen? Sprechen Sie mit ihm über das, was in den Büchern steht oder das, was Ihnen und ihm so täglich auffällt?" Ich meine natürlich, auch in deutsch. Deutsch beherrscht Peters Mutter nicht.
Was ich in dem Gespräch möchte, ist zu vermitteln, dass der Erfolg im Lesen und Schreiben in der deutschen Sprache wesentlich davon abhängt, wie stark dies in der Familie unterstützt wird. Es gibt Dinge, die müssen in der Familie grundgelegt sein. Dann kann die Schule daran anschließen. Wenn die Familie dies vollkommen ausklammert, wird die Schule nicht erfolgreich sein können.
Genau dies wird sie, die Mutter, vermutlich aber von mir erwarten, dass ich das richte, dass wir, wenn die Schule das nicht schafft, Nachhilfe organisieren.
Will sagen: Der Blick der Mutter richtet sich auf uns als die, die es zu leisten haben. Nicht auf sich selbst mit der Frage: Wie unterstütze ich, wie fördere ich schulischen Erfolg im Gebrauch der deutschen Sprache.
Im Misserfolgsfall wird sie therapeutisches Personal rekrutieren wollen, damit ihrem Sohn geholfen werden kann. 
Wer gibt ihr den Impuls, dass es entscheidend darauf ankommt, dass sie nach so vielen Jahren in Deutschland sich bemüht, deutsch zu lernen? Sich mit ihrem Sohn über Sprache und Inhalte in deutsch schriftlich durch lesen und mündlih durch Gespräche zu verständigen, damit die Welten nicht völlig unverbunden nebeneinander stehen? Dass davon auch der sprachliche Schulerfolg ihres Sohnes abhängt? 
Peter hat viel Förderunterricht erhalten. Er ist gut in der Lage, die Lautabfolge im Wort zu verschriftlichen. Doch fehlt es ihm immer noch trotz vieler Übungen an angemessenen Lösungsstrategien im Rechtschreiben und an kolossal viel Übung im lauten und leisen Lesen. 
Das hat die Prüfung auf Lese-Rechtschreibschwäche ergeben, die meine Kollegin mit Peter durchführte. Lese-Rechtschreibschwäche hat er nicht, sagt sie. Man sieht es auch: Peter kann die Lautfolge eines Wortes ganz klar identifizieren und in Grapheme umsetzen, nur nicht in die richtigen.
Was mich im Vorblick auf das Gespräch umtreibt, ist die Tatsache, dass ich mich von der mütterlichen und wahrscheinlich familiären Seite (den Vater kenne ich nach gut zwei Jahren noch nicht) einem Anspruch gegenübersehe, der darauf abzielt, Helfer zu organisieren, ohne dass die Familie selbst ihre Möglichkeiten, ihr Kind angemessen schulisch zu begleiten, wahrgenommen hat.
Sicher werden wir etwas in dieser Richtung organisieren. 
Doch ich finde,die Haltung, die in dem berühmten Ausspruch John F. Kennedys steckt, hat auch Bedeutung in Situationen wie dieser:
"Bevor Du fragst, was können Andere für den Schulerfolg Deines Kindes tun, frage zunächst, was kannst Du für den Schulerfolg Deines Kindes tun."
Ich habe ein bisschen Bauchweh, das anzusprechen, weil ich nicht will, dass es in ein falsches Licht gerät. Aber ich will auch sehen, dass Menschen aktiv etwas tun, damit Situationen besser werden, ich will sehen, dass sie die Möglichkeiten eigenen Handelns ausgeschöpft haben, bevor wir zu Helfern greifen. 

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