Dienstag, 6. November 2012

Überwiegend heiter

Heute ging alles ganz leicht. Muss an dem seelischen Abstand gelegen haben. Wenn man immer einen Tag gehen könnte und den nächsten dann dazu benutzen, die Millionen Eindrücke von Vortag zu verarbeiten, dann wäre das supertoll!

Geht aber irgendwie nicht. Die Schüler sind da, wenn man nicht da ist und wollen beschäftigt sein. 

Las auf dem Plan, dass Lars nicht da ist. So können wir unsere Liste mit den Interessierten, die die Höhlenführung noch sehen möchten, nicht abarbeiten. Es geht nur, wenn wir beide da sind und einer von uns noch jemanden in der Klasse drin hat.

Die Geschichte mit dem Wuseln im Keller, während die Kinder im 3. Stock Gottwerweißwasdiedajetztso machen, nicht mehr mit mir!

Darf aber nicht vergessen werden. Ein paar arme Kolleginnen mussten für mich einspringen. Eine hatte sich von Basti zur Weißglut bringen lassen. Das kann er aber auch wirklich richtig gut.....

  



Schön, wie Hülya sich zu Peter wandte: "Peter, setz' doch mal Deine Brille auf!"
Er versucht immer wieder, ohne seine neue Brille zu sein, dabei braucht er sie  ....Das klang richtig mütterlich und sorgend und Widerstand war zwecklos.


Die ersten beiden Stunden schwebte ich wie im Himmel. Wir hatten Wahlpflichtunterricht Wolle, ein Mädchen fehlte, Basti, Rana und Pablo nähten noch ihre Jonglierballsäckchen fertig oder bestickten die Jonglierbälle. Sie benötigten wenig Hilfe, und wenn, warteten sie sooo geduldig. Ich war ihnen dankbar!


"Keine Sorge, die wird noch viel kleiner."


Tobi, Peter Ayline und Hülya versuchten sich am Filzen einer Handyhülle. Das machten sie wirklich sehr gut. Es war eine Orgie mit Seife, Hülya fühlte sich ständig schmutzig, obwohl ihre Hände vor Seifenschaum nur so tropften...

Pablo stellte sein Jongliersäckchen fertig und wollte dann nur noch Bällchen in Eimer werfen. Mit wachsender Begeisterung machte er das über eine Stunde lang...Zielwerfen unter verschiedenen Bedingungen. Er war sooo konzentriert.

Bastian fragte vor Tagen, ob es das Fragment seiner Pantoffeln von der vorigen Projektwoche noch gäbe...und wie zufällig fand ich es , brachte es heute mit und er nähte geduldig daran weiter.





Ayline hatte unseren Schafeblog angeschaut und sich über das, was da über die Wolle stand, informiert. Hat mich gefreut. Die Kinder  rieben und massierten ihre Filzstücke, ich sprang immer zwischen ihnen hin und her und es machte einen Riesenspaß zusammen. Die Zeit bis um halb 10 Uhr verging wie im Flug.

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Dann Mathe, zuerst den Kreis, Matti war da, zusammen mit Sevda, sie gingen anschließend mit einigen Kindern in die Bücherei zum Lesen. Später kam Kerstin. Das Setzen und Drucken dauert immer so lange, da besprachen wir erst einmal im Kreis unser weiteres Vorgehen.

Danach begannen Lucy und Ronaldo mit dem Drucken, und es ging jetzt schon viel zügiger als zuvor.

Auch Thekla ist gekommen und zieht sich mit Peter zur Erarbeitung einer Bildgeschichte zurück. Danach sehe ich unglaublich viel Text, den Peter geschrieben hat und an dem sie beide intensiv gearbeitet haben. <3 

Peter ist gut in Mathe. Er verträgt es, jetzt nicht zu rechnen.


Das hier sieht nach einem Text von Ronaldo über Messi aus...




Und hier kann man die Druckerei sehen. Der Text liegt in der Presse und wird mit Farbe eingerollt. Dann legt man ein Blatt Papier drauf und drückt (!!) zu. So drückt/druckt sich der Text aufs Papier, man kann ihn zum Trocknen auf die Leine hängen.




Jedes Kind hat einen Text und eine Linolschnittarbeit. Die Auflage ist 22. Es werden also 22 Bücher mit je einem Text und einem Bild von jedem Kind entstehen. Bis zum Ende der 6. Klasse haben wir es dann wohl geschafft....

Das Drucken ist eine Handwerkstechnik, in der man sich einmal geübt haben sollte, finde ich. Es ist so solide und war, um 1500, eine Revolution, die alles veränderte, das Lesen demokratisierte und das Zeitalter der Aufklärung beförderte...Eine zentrale Kulturtechnik für die Entwicklung der Menschheit.

Die letzte derartig alles stark veränderte Revolution im Bereich des Schreibens ist der Computer.

Was können wir (jede/r) in der Klasse schon alles (ansatzweise) , was haben wir an handwerklichen Techniken schon geübt?

Weben, filzen, mit beweglichen Lettern drucken, marmorieren, Linolschnitte herstellen, nähen, sticken, mit Ton Figuren herstellen, Gefäße aus Ton in Rolltechnik herstellen, laubsägen.

Das sind immerhin schon zehn Handwerkstechniken. Einige Kinder spinnen, ein Mädchen strickt.

Das Korbflechten fehlt noch. Das sollte man auch einmal gemacht haben. 
Und Papier schöpfen. Das ist auch schön und wertvoll. Das werden wir während der Einheit über nachhaltiges Leben und Recycling ("Ich rette die Welt.") machen.

In der Mathestunde übten wir die Definitionen des Erweiterns und Kürzens von Brüchen, die Klärung der Frage: Was ist ein Bruch, wie hoch ist sein Wert?

Was passiert, wenn man die Zahl im Zähler mit einer Zahl malnimmt?

Der Wert wird größer.

Was passiert, wenn man die Zahl im Nenner mit einer Zahl multipliziert? 

Die Zahl im Nenner wird größer, die Stückchen werden kleiner, da der Zähler gleich bleibt, verringert sich der Wert. 1/100 ist weniger als 1/2

Wenn man Zähler und Nenner mit der gleichen Zahl malnimmt, bleibt der Wert gleich....

Das gleiche Denkbeispiel mit dem Teilen. 

Vielleicht bleibt eine Einsicht zurück, warum es so ist, dass sich beim Erweitern und Kürzen der Wert nicht ändert, nur die Anzahl der Teile zu- oder abnimmt. 

Wir haben auch immer zeichnerische Beispiele dazu gehabt.

Fereba soll es verstehen und Bastian und Hans, Messi und Ali sollen sich nicht langweilen..... Na ja, ich hampele also vor der Tafel herum, wiederhole das ewige Mantra: Mathe ist verstehbar, für JEDEN! und versuche, es ANSCHAUlich zu machen.

Auch die Definitionen üben wir ein. Mit dem, was sie aussagen, Wort für Wort. Dann rechnen wir ein paar Aufgaben dazu. Schon ist die Doppelstunde, husch! - vorbei.

Pablo kommt, er hat eine Englisch- und Matheförderung gehabt, er wirkt entspannt. Frau Herrstadt lobt ihn über den grünen Klee, wie gut er englisch spricht, wie fleißig er gerechnet hat, es macht ihn sehr froh.

In der fünften Stunde geht er zu Frau Heise, in dem Ich-Buch lesen, das Kerstin mitgebracht hat. Es ist ein Buch über Philosophie mit Kindern, und es soll ihn stärken. Er scheint innerlich gut mitzumachen und anscheinend verstehen sich die beiden gut. : ) Pablo kann sich nämlich auch gut entziehen, wenn er das möchte.

Es könnte ja sein, dass hier jemand aufmerksam mitliest. Könnte. Der/Die würde sich dann fragen, warum die ganze Förderung immer zu Pablo geht. Das hat diesen Grund: Pablo zeigt in der Klasse keine spürbaren Fortschritte. Er ist derzeit unser - wie könnte man es nennen? - Sorgenkind.

In den letzten drei Jahren hatten wir Marie auf dem "Schirm". Jeder hat mit Marie garbeitet und sie betrommelt, ohne Erfolg. Plötzlich dann fing sie an zu lesen, selbst an ihrem Lernen zu arbeiten, Ehrgeiz zu entwickeln und alles das. Sie hatte sich auf ihre Füße gestellt. GLÜCK!!!! Von da an ging's voran.

Seitdem arbeitet sie auf ihrem Niveau in der Klasse mit. Sie will IN der Klasse jetzt arbeiten, will nicht mehr beiseitegenommen werden. Sie darf das, weil sie selbst Verantwortung für ihr Lernen übernommen hat. Da ist etwas in Gang gekommen. Es dauerte wirklich drei Jahre. Wir haben drei Jahre alles probiert, sie nicht in Ruhe gelassen. Ich dachte, sie ist das erste Kind, das ich kenne, das als Analphabetin von der Schule geht. Und dann...kam bei ihr doch noch alles in Fahrt.

Ronaldo macht auch prima mit. An seinem Lernwillen liegt es nicht. Ihn muss man nicht extra bespielen. Es reicht, die Aufgaben auf seine Kenntnisse und Fähigkeiten hin abzustimmen.

Luigi wird ab nächstem Jahr ohne Förderstatus arbeiten. Er bleibt jetzt immer in der Klasse und arbeitet dort. Hat ein unglaubliches Leistungsbewusstsein entwickelt und wird sich "durchbeißen". Ganz wunderbar, wie er das macht.

Unser wirklicheswirkliches Sorgenkind ist Pablo. Deshalb.


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In der fünften Stunde kann ich nicht in der Klasse sein. Es muss ohne mich gehen. Schade. Klar, dass Emmely dann nichts arbeitet...

Udo, mein Kollege aus der Parallelklasse, spricht mich an: Sein Schüler, Niklas, wurde von Ali geschlagen. Die wütende Mutter vom Fest. Da müssen wir jetzt ran.

Wir sprechen zuerst mit Niklas. Dann mit Ali. Es wird klar: Ali hat den Übergriff gemacht, hat Niklas sehr weh getan. Manches passt noch nicht zusammen, das müssen wir im Gespräch noch klären. Vielleicht mit den anderen Jungen. Dauer: Eine Schulstunde.

Die Mädchen sagten vorhin: Können wir ein Mädchengespräch haben? Es ist dringend. Doch nach der Stunde ist Sport, da müssen sie weg. Und ich will heute nicht mehr ewig auf sie warten. 

Ali hat so doll geschlagen, "Nackenklatscher" (Wieso immer dieses??), dass Niklas später den ganzen Tag im Nacken puterrot war.
Es geht mir richtig schlecht. Aber es geht nicht um mich. Professionell bleiben. Und trotzdem. 

Ali hat heute in Mathe so intelligent, konzentriert und effektiv mündlich mitgearbeitet, das war mehr als lobenswert. Er zeigte, was er kann. Er wollte zeigen, was er kann. Das war so schön!
Sein wunderbares Engagement bei der Höhle. Das Lesen. Die Führung. ER!!! Der Buchstabenhasser!!

Und jetzt - holt uns das wieder ein. Echternacher Springprozession, aber so: Zwei Schritte vor und zwei zurück. Wir kommen nicht voran.

Wenn ich jetzt nicht hätte schreiben können, über diesem Ärger und dieser Verzweiflung (Vorsicht: unprofessionell!) hätte ich all das Schöne vorher glatt vergessen............

Aber Ali ist der Junge mit den zwei Gesichtern. Vom theoretischen Potenzial her KÖNNTE er Abitur machen. Könnte, würde, hätte. Im Konjunktiv hoch Drei.

SO schade. Man könnte heulen, auch, wenn es unprofessionell ist. Wirklich.
Ich will aber nicht heulen. 
Er ist nicht mein Kind. Es ist 16 Uhr 30. Jetzt habe ich frei. Schluss mit Schule!


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