Sonntag, 4. November 2012

Ruhe nach dem Sturm Teil 2


Das war ein tolles Mittagessen! Mann bekam Rosenkohl, ich eine Mischung aus Aubergine, Zwiebel, Paprika und Tomaten. Rosenkohl ist für mich unessbar, aber der war so gut, dass ich dann doch fast hätte mittun können.

Von den gekauften Errungenschaften war ich dann so begeistert, dass ich komplett die Bratstücke aus Tofu vergaß, die eigentlich das Ganze noch hätten abrunden sollen. Doch haben sie beim Essen nicht gefehlt. Ich bilde mir ein, man merkte, wie energiereich dieses Gemüse war, so, als hätten es die Verkäufer gerade vorher aus dem Garten gepflückt...

Es gibt neuerdings einen Samstagsmarkt am Südstern. Dort waren unter anderen drei Bauern und verkauften ihre Erzeugnisse. Ich ging weg mit einem halben Einkaufsrolli voller Gemüse und Salat und keinem Fitzelchen Plastik!!!

Was man beim Edeka an Plastik mitkauft, wenn man Bio-Gemüse ersteht, ist un-mög-lich! Und dieser Reichtum! Ich darf mit Ausrufezeichen nicht sparen. Mein Gott, dachte ich, was sind wir für ein reiches Land! Welche Auswahl an superguten Früchten es gibt!

Ja, sagte eine Stimme in mir - wenn Du das Geld hast! Stimmt. Aber wenn ich für 24 Teuro Gemüse kaufe und kein Fleisch, keinen Fisch, keine Milch und nix von dem Zeuch, dann habe ich tagelang zu essen für das Geld. Ist das denn teuer?

Ich schweife ab.

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Noch sind nicht alle Aspekte ausgelotet. Erst dann kommt es in mir zur Ruhe. Als ich meine Lehrerprüfung machte, wurde die eine Stunde von der Planung her mit "4" beurteilt, weil ich sie aber in Grund und Boden analysierte, bekam ich dann noch eine gute "2". Sie sagten, das hätten sie noch nicht erlebt, dass jemand alles von selber sagt, was sie sich notiert hatten.

Mir hat das gepasst. Ich hatte meine Zweien, und als sie sagten, sie wollten mich jetzt noch mündlich prüfen, die schriftliche Arbeit war "Sehr Gut" gewesen, so hätte ich noch eine Chance auf eine "1", da habe ich mich artig bedankt und gesagt, es reiche mir völlig aus, ich möchte jetzt gehen.

Draußen ging die Tür nochmal auf, wo sie alle drin saßen und einer kam raus und sagte: "Wo ist denn der Sekt?" "Welcher Sekt", fragte ich und verschwand. Ist ja klar, warum aus mir nichts geworden ist.  ; )

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Ach ja, das brennt mir noch auf der Seele: Schon wieder die Sache mit dem Personal. 

Die Schule hat sich ein Ritual gegeben, das sie Lesefest nennt. Sie hat die am meisten gelobteste Bücherei in der Stadt. Dem möchte ich meine Anerkennung nicht versagen.

Jetzt steht die Sache wieder an und die Frage:"Was machst Du?" Da ich, was Wagnisse angeht, eher ein gebranntes Kind bin, hätte ich gesagt: "O.K., gute Gelegenheit, den Klasseneltern Referate zur Klassenfahrt zu präsentieren und noch ein paar Highlights und wenn jemand Fremdes dazukommen möchte, draußen steht an der Tür: Ihr dürft auch reinkommen."

So etwas ist überschaubar und - sicher!  Man übt dort, wo auch der Rest der Klasse sich tummelt.

Hier war das anders. Die Höhle war im Keller. Die Hälfte bis drei Viertel der Klasse oben. Und ich ständig mit einem Bein im Gefängnis. Weil ich über die Gabe der Bilokation leider nicht verfüge...

Da lag der Hund begraben. Zwei Gruppen beaufsichtigen und von der einen vier Stockwerke getrennt sein. Meine Horrorvorstellung: Einer hat ein ausgelaufenes Auge, wenn ich wiederkomme. Das ist nicht lustig.

Vielleicht hält sich meine Freude über Horrorfilme als Unterhaltung für jung und alt deswegen in starken Grenzen, weil ich beruflich schon über so viel potenziellen Horror verfüge, wie es mir schon gar nicht mehr gut tut.

Erzieherin krank, kein Ersatz. Förderlehrerinnen in ihren eigenen Klassen, keine Chance. Das hätte ich alles vorher bedenken müssen.
So hatte ich ganz schön oft Nervenflattern.

Das ist auch ein Grund, warum ich schreibe: Es gibt Leute, die wünschen einem beim Abschied zur Klassenfahrt: "Guten Urlaub!" In echt. Ich könnte sie auf der Stelle ermorden.

Sichtbarkeit.

Für Interessierte soll sichtbar werden, wie fast unmöglich unter den vorhandenen Bedingungen, und dazu gehört auch unser generelles Alter, guter Unterricht ist. Wenn dann mal etwas gelingt, dann möchte ich zeigen, mit wieviel Wagnis, Einsatz  und Dienst oberhalb der Vorschrift das verbunden ist.

Hier war es der erhöhte Verletzungsaspekt. Wenn ich meinen eigenen Kriterien zur Sicherheit Genüge getan hätte, hätte ich oben bleiben müssen.

Auch habe ich lange mit den eigenen Kindern geprobt - dann sind weniger oben allein in der Klasse!  Da hat man nervlich ganz schön zugezahlt.

Das zweite: Es war Klassenlehrerunterricht, in den Klassen 5 und 6 von der 1. bis zur 5. einschließlich. Ich wollte aber nur noch pro Tag 4 Stunden unterrichten. Neese. Nada. Nix.

Wir hatten beim Lesefest eine ganze Menge Eltern da von denen, die wir uns wünschen. Ist das schon wieder rassistisch? Wenn ich das so sage?

Was wir zu dem Punkt anfangs des Schuljahres erlebten, getraute ich mich ja nicht zu berichten...Es stand ja auch in allen Zeitungen, und interessant war immer, dass die Leserkommentare dort vielfach versöhnlicher und anerkennender waren als die Artikel, die den Thrill mit uns als den Bösen hochschrieben.

Da war sogar das Wort "bildungsfern" als rassistisches Schimpfwort geführt...
Oho - wenn das Wort rassistisch ist, wie nennt man dann die Fakten, die davon benannt werden?

Die Zustände in unserer Stadt sind wirklich nicht mehr witzig.
Ich lese, was in der Stadt passiert. Die Gewalt, das Tottreten von harmlosen Menschen, die nachts unterwegs sind. Ich lese, die Täter sind ab dem Kindergarten schon aufgefallen.

Was mache ich mit A.? Der IMMER irgendwen am Wickel hat, den er beleidigt, kränkt, schlägt....Wieso denke ich mich jetzt sechs Jahre weiter und denke, ich lese Zeitung und ich lese von ihm und ich lese: Warum hat die Schule damals nichts getan????

Ich werde mich mit dem Jugendamt in Verbindung setzen. Es müssen mal alle an einen Tisch. Als ich den letzten Brief schrieb, als Einschreiben gesendet, da hatte Mutter ihn noch nicht einmal von der Post abgeholt.....Es war auch beim Lesefest von seiner Familie niemand da.

Auf der einen Seite sieht man das Kind. Es hat mehrere Seiten, auch sehr liebenswerte Seiten. Auf der anderen Seite denkt man an die Opfer. A. mit seinen Kumpels hat seit der Vorschulzeit immer seine Opfer gehabt. Zwei davon haben die Klasse verlassen, obwohl ich hinterher war wie ein Luchs. Irgendwann waren die Eltern so vergrätzt, dass sie mir auch die Vorwürfe machten.
Ich kann aber nicht zaubern. Das ist ein riesiger Misserfolg und sehr sehr traurig. Das waren sehr nette Kinder.

Als die beiden weg waren, suchte er sich Opfer Nr. 3 in der Klasse aus und verfolgte es bis nach Hause. Das habe ich unterbunden. Nun ist es schon der 2. Fall, dass er in anderen Klassen weiter macht. Gleichzeitig hat er monatelang in der Klasse viele Kinder  gehauen.
Man sieht die übergreifende Tendenz.

Für eine Grundschule ist es SEHR schwer, jemanden auszuschließen. Sehr schwer und fast unmöglich. Wir haben das einmal geschafft.

Im Grunde ist es das Richtige. Es geht nicht an, dass die Opfer weichen. Die Täter müssen der Schule verwiesen werden.

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Wieder wird es unglaublich viel Arbeit sein, etwas klar zu machen. Ich werde morgen als erstes mit dem Jungen, der das von A. erdulden musste, sprechen. Allein.

Uuuuuuuund .... was macht der Lehrplan so????

Frage ich mich selbst, wenn ich diese To-do-Liste lese. Fühle mich wie die Sozialarbeiterin, die ich nicht bin. Und vom Senat und vom Bezirk sehr, sehr alleingelassen.

Es ist, wie Adorno/Horkheimer in "Elemente des Antisemitismus" sagen: Der Antisemit/der mit den Ressentiments/der Quäler ist das Problem. Er hat eine psychische Struktur, die ihn sich nur spüren lässt, wenn er jemand Anderen herabsetzen, ihm Leid zufügen und ihm seine Macht und dem anderen die Ohnmacht andemonstrieren kann. Es ist nicht das Opfer. Das Opfer fragt sich: "Warum ich?" Doch: Die Auswahl des Opfers geschieht zufällig. Das Problem ist die psychische Verfasstheit der Täter - die sich selbst sehr gern und oft als Opfer gerieren! Das kennen wir auch alle.

"Haltet den Dieb!" schreit der Dieb. Das funktioniert sehr gut.

Wie, wenn das weiße iPhone auch eine Machtdemonstration ist? So wie der dicke BMW, wenn man größer ist?

Wofür im Leben soll er sich noch anstrengen, wenn er jetzt schon, mit elf Jahren, ein iPhone hinten reingeschoben bekommt?

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Ist es nicht furchtbar, dass mit die häufigsten Schimpfwörter in der Schule "Du Opfer!" und "Du Jude!" sind???? Neben "Schlampe", "Hure", "Hurensohn" "Ich fick Deine Mutter!" Höre ich leider TÄGLICH - ohne dass mir einer Schmerzensgeld zahlte. Nein, ich bin nicht gemeint. ich höre es ständg und gehe immer dazwischen.

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Ach, und M. Er hat es am Freitag nicht ins Robert-Koch-Gymnasium geschafft zu 7 Uhr 45, um dort ein paar Stunden zu hospitieren! Ich wollte es nicht glauben. Nein, ich habe keinen Stadtplan mit genauer Beschreibung mitgeschickt, ich habe gewollt, dass sie sich den Weg selbst suchen und dass er es aus eigener Kraft dorthin schafft.

Wenn es um irgendetwas geht, was den Familien wichtig ist, sind sie sooo schlau. Das hier hätte man schaffen müssen.

Ich sagte schon vorher zu ihm: "Ich will am Montag keinen Zettel von der Mama haben, dass Du Bauchweh hattest." Das hatten wir schon mal, nach dem ***fest. "Dass Du nicht zu Robert-Koch gegangen bist und aber auch nicht zu uns. Klar?" Klar.

Am Morgen wollte mich die Mama sprechen. Sie würden dorthin zum Tag der Offenen Tür gehen. Er hat die Mama vorgeschickt.

Als ob das das Selbe wäre. Sie wissen nicht, dass es nicht dasselbe ist. Das hier wäre ein intensiver Inneneindruck gewesen. Ich hatte drei Kinder vorbereitet, Brief mit nach Hause, Fax an Robert-Koch, und dann geht der da nicht hin...

Hey, dann reiße ich mir auch kein Bein mehr aus. Innerhalb Kreuzbergs kann man ja wohl eine Schule finden, wenn da die Adresse steht. Und pünktlich hinkommen. Wenn einer Familie das nicht gelingt, was soll man dazu sagen?

M. sagt: "Mein Freund hat gesagt, es ist Wandertag. Alle sind weg."  Er bekommt einen offiziellen Zettel in Kopie von der Schule und sein Freund hat gesagt. Na, der muss es ja wissen.

Oder - hat er sich nicht hingetraut???? Wäre DAS auch möglich?? Er hätte doch mit den anderen beiden sich verabreden können. (Die beiden hatten aber auch schon sehr viel unter ihm zu leiden, also geht das auch nicht.)

Ich bin gespannt, was sie morgen von ihrem Besuch bei Robert-Koch erzählen.

In der Schule liegt noch ein Zettel, da konnte man sich eintragen, wenn man die Höhle besuchen will und am Freitag nicht "rankam". Da werden wir noch einige Führungen haben. Ich freu mich drauf!

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Jetzt hat die liebe Seele Ruh' (sagte meine Mutter oft).


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