Sonntag, 24. Februar 2013

Wenn Mitschüler zum Albtraum werden

So jeden Tag über die Schule zu bloggen, das habe ich wieder nicht geschafft, finde es aber nicht bedauerlich. Was wichtig ist, müsste auch nach ein paar Tagen noch hängengeblieben bzw. wieder hervorzukramen sein. Das andere darf ruhig vergessen bleiben.

Als dieser US-Dokumentarfilm "Bully" in meinem Briefkasten lag, habe ich ihn mir sofort angesehen. Die Personen ließen mich nicht mehr los. Das ist das Berührende an Dokumentarfilmen: Sie nutzen die suggestive und gefühlsbetonte Kraft der Bilder, dieses Mediums, um Dinge einem nahe zu bringen, die durch eine einfache Textübermittlung viel schwieriger wären.

Normal finde ich immer tausend Argumente für den Text und gegen die Bilder, aber hier dürfte es umgekehrt sein. Der Film ist richtig gut.

Wir selbst als Klasse haben Erfahrungen mit "Mobbing". Obwohl ich aufpasse wie ein Luchs, muss ich als Lehrerin irgendetwas falsch gemacht haben, es gingen zwei Kinder weg, die systematisch geärgert wurden. Die Eltern waren nicht mehr bereit, mit mir zusammenzuarbeiten. Das war für mich eine Art berufliches Waterloo. Hatte mir vorher eingebildet, sehr aufmerksam zu sein und das Richtige zu tun. Viel aufmerksamer und dezidierter als viele Kollegen und Kolleginnen meiner Schule, meinte ich. Doch: Es war nicht genug oder nicht das Richtige gewesen.

Wenn Kinder systematisch gedemütigt werden, müssen diejenigen gehen, die das tun, nicht die, die es erleiden. Ich hörte auch , bei dem einen Jungen ging es an der neuen Schule weiter.... Ist das traurig!

Eine gute Worterklärung muss am Anfang stehen, denn ich höre andauernd das Wort "Mobbing" bei jeder kleinen Sache. Also zum Begriff: "Mob" ist die wütende, aufgebrachte Wenge, die Gewalt ausübt und nicht mehr steuerbar ist, weil sie vorrational agiert und über alles hinwegrast, was sich ihr entgegenstellt.

Also hat "Mobbing" mit dem Handeln Mehrerer zu tun, und, so sagt man, über einen langen Zeitraum. Das Handeln selbst kommt immer vom Einzelnen, aber sie agieren als eine Art Hetzmeute. Jeder setzt den kleinen Biss, das Ganze steigert sich in einer Art innerer Choreografie und macht systematisch Einzelne (!) zu ihren Opfern. Den Betroffenen wird das Leben zur Hölle gemacht. Buchstäblich. Sie wehren sich oft nicht, glauben, dass es schlimmer würde, wenn sie sich wehren. Das Gegenteil wäre wohl der Fall, bekämen sie sachgerechte Hilfe. 

Doch: Haben sie sich an ihre Eltern gewandt, reagieren Eltern oft hilflos. Wenden sich Eltern an die Schulen, werden sie oft mit Sprüchen abgespeist und gehen unverrichteter Dinge nach Hause. 

Schulen sagen: "Das sind Kinder. Kinder sind so." 

Lehrer sagen: "Er hat eine schlimme Kindheit gehabt, niemand hat sich um ihn gekümmert." Eine Mutter in der Elternversammlung nach dem Tod eines Kindes: "Ich will nicht hören, ob einer eine schwere Kindheit hat. Ich will, dass mein Kind nicht angegriffen wird, egal ob einer eine schwere Kindheit hatte oder nicht!" 

Schulen sagen: "Die machen das unter sich aus." 

Lehrer sagen: "Ich bin oft mit ihnen zusammen gewesen, sie sind wie die Lämmchen gewesen. Da war nichts." 

Lehrer sagen: "Nun gib ihm die Hand, er entschuldigt sich. Was? Du nimmst seine Hand nicht? Dann bist Du wie er!" Kind, weinend: "Ich bin nicht wie er. Ich ärgere keinen. Jetzt hält er mir die Hand hin, und nachher macht er weiter." 

(Falsch verstandene Mediation: Es gibt Sachen, die kann und darf  man nicht mediieren, weil sie nicht verhandelbar sind, z.B. fortgesetzte Angriffe auf die Menschenwürde.)

Schulen sind und bleiben Orte der Gewalt, Schulen verschließen die Augen vor dem Problem, weil sie nicht möchten, dass man öffentlich feststellt, sie seien Orte der Gewalt...

Bis sich vielleicht ein Kind das Leben nimmt!

Hier  setzt der Film an.



Er zeigt Eltern in ihrer Trauer. Er zeigt die Kinder in Videos, Bildern und aus Erzählungen der Eltern. Er zeigt den Schmerz und den Verlust. Er zeigt den Vater, der weinend sagt: "Mein Sohn wird immer dreizehn Jahre alt bleiben..."

Es wird ganz klar, dass die Schulen versagen, weil sie sich versagen. Weil sie dem Problem in seiner Schwere und Dramatik die Anerkennung versagen. Deshalb habe ich meiner Schulleiterin die DVD zum Angucken gegeben, nachdem wir sie in der Klasse angeschaut haben.

Wir haben erst kurz darüber gesprochen. Ich habe kein Rezept, wie ich das Gespräch weiter führen möchte. Das muss sich auch erst finden.

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