Donnerstag, 14. Februar 2013

Übelst

Hab mich heute sehr früh vom Acker gemacht. Söhnchen ist krank, will mich aber dann doch nicht sehen. So sind die Kinder, wenn sie groß sind. Aber wir waren auch nicht anders als Twentysomethings...Glaub ich jedenfalls.

"Beyoncé ist übelst hübsch", sagt Selena, als wir die Futterkugeln draußen an der Hecke für unsere Spatzen anhängen. 

Y fehlt heute auch schon wieder. Ich geh rüber fragen, ob -, ja, Brüderchen fehlt ebenfalls. Na, was denken wir uns nun? Nach der Gymnasialempfehlung, die ich ihr gegeben habe,  nachdem ich mir  einen Ruck  gegeben hatte, fehlt sie andauernd.

Jedem fällt das auf und wir machen uns gemeinsam unsere Gedanken...Ich so: Wenn sie das auf dem Gym auch so macht, ist sie schnell weg vom Fenster. War ich zu vorschnell? Ich hab es nicht gern, wenn von mir empfohlene Kinder scheitern. Ist noch nie passiert. Nun war ich wohl übelst vorschnell, und es könnte zum ersten Mal geschehen. Mist.

Z wird von mir etwas getriezt, seit ich weiß, dass er sich auf dem Gymnasium anmelden will. Er muss noch trainiert werden. Wer hohe Ziele hat, muss auch schon mal schneller aus den Schlappen kommen als er. Ihn hab ich aber auch nicht empfohlen. Da bleibe ich ganz ruhig.

Bin heut wie dieser Tage überhaupt zu Fuß gegangen und empfinde das als ein Riesenprivileg, meine Arbeitsstelle in 20 Minuten zu Fuß erreichen zu können. Das kräftigt, gibt Muskeln, fördert die Durchblutung und senkt den Blutdruck. Das ist bei mir auch übelst nötig. Ich will  keine Medikamente nehmen!!! Also: Zu Fuß gegangen! Man darf dann nicht so viele Sachen mitnehmen, muss besser planen.

Ali war gestern bei Hugo und hatte ein Anmeldegespräch. Die müssen sich da ja fast ins Hemd gemacht haben, weil das Siegel an der falschen Stelle angebracht war!! Geht's noch? Wenn es nun gar nicht da wäre....Aber so? Man kann es auch übertreiben, finde ich. Aber: ich habe es ja auch gar nicht draufgeklebt, mir soll das egal sein.

"Die Schulleiterin fand es prima, dass ich immer pünktlich bin", sagte Ali. Darauf schauen sie also. Finde ich gut. "Ich bekomme ein Jahr keine Note in Rechtschreiben, sie geben mir Förderung und dann testen sie mich wieder. Und dass ich eine Eins in Mathe habe, das fand sie toll. Sie sagte, ich bin der erste mit einer "1" in Mathe, der sich anmeldet!" Stolz wie Bolle schaut er mich an.

Klar, eine "2" hätte es auch getan. Er stand so dazwischen. Doch "1", die gibt ihm tatsächlich Flügel. Er ist voll dabei und möchte anderen Kindern alles erklären. Die "1" wirkt als Turbo, sie erfüllt ihren Zweck. Er ist durch die "1" übelst motiviert.

Rimas soll sich ein Kind auswählen, das versuchen wird, ihm das Runden von Zahlen zu erklären. Ich kann heute nicht fördern. Mein Kollege Lars, der Kunstlehrer, ist mit seiner Klasse auf der Berlinale. Also für mich einmal ganze Klasse statt fördern, einmal Vertretungsstunde. Doch, es gibt Schlimmeres, als in der eigenen Klasse Vertretung zu halten...Man hat für alles mehr Zeit, das ist auch schön. Viele Jungen melden sich, und Cherry. Er nimmt Cherry. beide gehen in den Nebenraum. 

Vor dem Unterricht werde ich gefragt, ob ich am Montagmorgen ein paar Schüler entbehren könne. In Kreuzberg sei "Drumbo-Cup" (Warum haben die für alles so blöde Worte??) Es ist ein Fußball-Entscheid. "Morgens??", frage ich mit hochgezogenen Augenbrauen. "Wäre es nicht besser, so was ab 14 Uhr zu machen?" "Wenn Du es nicht erlaubst, dann nicht," sagt unser zweiter Schulleiter. "Was ist, wenn ich es nicht erlaube?" "Dann nimmt unsere Schule daran nicht teil," meint er.

Super. Die Arschkarte geht an mich. Ich bin dann dran schuld, weil es mir wichtig ist, dass paar Jungs mit ins Ägytische Museum mitgehen am Montag und nicht Fußball spielen dürfen? Echt. Das geht mir auf den...

"Entscheide das die weise Schulleitung," sage ich und denke an meine Blutdruckwerte, "ich werde den Eltern der Jungen dann schreiben, sie sollen mit ihren Kindern selbst  ins Ägyptische Museum gehen. Bildung ist auch Elternsache."

Aber ehrlich, echt jetzt: Fußball morgens, zur Unterrichtszeit??? Wer tickt denn da übelst nicht richtig?

In der ersten Stunde machen wir ein bisschen Geschichte. Ägypten. Die Flussoase des Nil, die Bewässerungssysteme, die beiden "Reiche", alle machen gut mit. Es ist ein Unterrichtsgespräch, so genannter Frontalunterricht. Seit kurzem weiß ich, dass in Finnland fast nur Frontalunterricht gemacht wird. Finnland halten sie uns seit 10 Jahren als Vorbild vor und das sagen sie erst jetzt? Denn seit etwa 15 Jahren erzählen sie uns, dass Frontalunterricht Megabäh ist, also übelst daneben. Die Schüler sollen immer flott selbsttätig an ihren Lernprozessen basteln. HAHA! Seitdem ich das weiß, habe ich nicht mehr so große Probleme damit, dass ich auch, nicht immer, aber auch nicht selten, mit der Klasse gemeinsam etwas erarbeite/bespreche. Weil, wenn die Finnen das so machen, dann darf ich das wohl auch.

Dann machen wir Mathe, eine Gruppe, die Leistungsstärkeren, sondern sich ab, gehen in den Nebenraum, wir bleiben in der Klasse, und setzen die Arbeit von gestern fort, wobei drei Schüler noch leichtere Extraaufgaben bekommen, bei denen sie viel Freude entwickeln, ein Zeichen, dass es richtig so ist. Ich freu mich mit! Marie kann jetzt schriftlich mit Zehnerüberschreitung addieren ( Übelst toll!!!) Pablo will immer noch Brüche grafisch darstellen und Ronaldo rechnet wie Marie, die beiden vergleichen. Er kann die 125-er Reihe bis 1000 sagen, super! Wir machen noch die 25er Reihe bis 1000 und wie oft die 25 z.B. in 675 steckt und solche Dinge, diese Zahlen kamen gestern beim Kürzen vor, es ist gut, wenn man da ein wenig Überblick hat und weiß, dass 8 x 125  Tausend ergibt. Also Ronaldo zeigt sich übelst fit, er hat seine Übungshausaufgabe prima gemacht und erntet mehrfachen Applaus.
Mario fängt schon schneller an zu rechnen als sonst, muss aber ständig ein bisschen Druck bekommen, sonst schläft er ein oder fängt an zu träumen. 


Diese Gruppe arbeitet übelst gut zusammen!


Luigi macht das übelst sorgfältig, wie alles, was er anfasst!

Nach der Pause stellen wir wieder Papier her, es gibt Supergruppen und eine Gruppe, die stellen sich an wie kleine Wickelbabies, obwohl jeder es schon mal gemacht hat. Ein Glück ist Gabriele dabei und nimmt sich dieser Gruppe an.

Als ich nachher Noten fürs praktische Arbeiten verteile und einige Gruppen eine "1" bekommen, die anderen eine "2", weil sie fleißig waren und die Dinge selbst in die Hände genommen hatten, muss ich dieser Gruppe eine "4" geben. Das ruft bei einem Jungen, der vorher nur gemault hatte, Tränen hervor. Aber ich will hart bleiben. Er schätzt sich noch nicht realistisch ein.

Oh, ich habe vergessen zu fragen, wie es gestern Fereba bei ihrer Erstwunschschule ging....

In der Pause erfahre ich, dass es ab der nächsten Woche keinen Schulkiosk mehr geben wird....Frau El-S. wird nicht verlängert!!! Ab zur Schulleitung: "Könnt Ihr nicht...?" Als ich es den Kindern erzähle, finden sie es übelst schlimm. Vier Mädchen wollen dem Amt Briefe schreiben und Unterschriften sammeln. Sie setzen sich zum Schreiben hin, während die anderen Kinder Papier herstellen.





Selena, die einen Sinn für kleine Schönheiten hat, zeigt auf ein Wort, das in ihrem Blatt Papier noch ganz geblieben ist. Wie schön! Nun hat jeder selbst ein Blatt hergestellt und kennt den Recycling-Prozess.

Ich hätte Lust ihn nochmal durchzuführen, aber nun arbeitsteilig. In Ägypten gab es erstmals Arbeitsteilung, also Berufe. Man könnte den Prozess taylorisieren. Vielleicht würde das ein paar Erkenntnisse ergeben: Wie fühlt man sich, wenn man den ganzen Prozess selbst durchführt / wenn man Teil eines getakteten Prozesses ist? Bei welchem Verfahren ist die Produktion effektiver/höher? Bei welchem die Zufriedenheit mit dem Arbeitsprozess? Es wäre die Chance einer echten Erfahrung. Das Wort "Arbeitsteilung"  würde sich verinnerlichen.
Mal überlegen. Wär vielleicht 


  gut....

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