Montag, 25. Februar 2013

Nachdenken über S.

Warum bloggt man? Das weiß ich nicht. Für die anderen weiß ich es nicht. Für mich schon eher: Es ist, als wollte man ein Gespräch darüber führen, was man erlebt hat und die Vielfalt und das Durcheinander der Eindrücke  in irgendetwas Gültiges, Bleibendes, überführen.
Wenn man dieses Gespräch hätte, müsste es nicht sein. Die Frage ist, warum man es veröffentlicht. In Zeiten, wo man das kann, denke ich, braucht man fast einen Grund, es nicht zu tun.
Klar, führe ich auch ein Tagebuch, ein <<journal intime>>. Da stehen dann die Sachen drin, die auch wichtig sind, aber auf keinen Fall in die Öffentlichkeit gehören.
Deshalb sticht für mich auch das Entblößungsargument nicht, das man  von Nicht-Social-Media-Nutzern oft hört: Die Facebook- und Twitternutzer, die Blogger, das seien alles narzisstisch gestörte Existenzen, die das nur aus Eigenliebe tun.
Nein, so bin ich, glaube ich,  nicht. Ich bin absolut kein "Extravert", um mit Riesman oder Adorno zu sprechen. Trotzdem nutze ich diese Medien. Weil sie da sind und neue Möglichkeiten eröffnen. 
Die Suche nach Resonanz für das, was einem im Leben wichtig ist, ist noch keine narzisstische Störung.
Ich habe auch keine Lust, im Eckchen zu sitzen und über die Welt zu schmollen, weil ich nicht mehr mitkomme.
Facebook und Twitter kann man so und so nutzen. Facebook nutze ich gar nicht. Twitter finde ich, trotz allem, nach einem Jahr noch interessant.
Manchmal habe ich den Eindruck, Twitter schafft Möglichkeiten, die niemals eintreten. Doch es gibt auch berufliche Twitteraccounts, und hier zumindest sind sie enorm sinnvoll.
Darüber hinaus auch. Manchmal ergeben sich aus Twitterkontakten sogar welche, die ins "echte" Leben übergehen. Auch das gibt es.

*******
Doch ich wollte über S. nachdenken. In diesem Blog denke ich eigentlich ständig über S. nach. Skolé. Über Skolé, das das griechische Wort sowohl für Schule als auch für Muße ist.

Das muss schon lange her sein. Dass Bildung und Muße Hand in Hand einhergingen. Doch. Das muss auch heute möglich sein. Wo der gesellschaftliche Stand der Produktivität so hoch ist, dass bei vernünftigem Wirtschaften keiner mehr mehr als 30 Wochenstunden würde arbeiten müssen.

*******

Am wohlsten fühle ich mich in der Schule, wenn der Muße-Aspekt der skolé auch vorhanden ist. Manchmal muss ich mich dezidiert für ihn entscheiden, gegen das Pensum, gegen die Optimierungsstrategien. gegen die Selbstverbesserungsmaschine, die über uns hinwegläuft und uns alle mitschleift.

Wer fasste das noch in Worte, vor kurzem? Wem gelang es, diese Dinge in Worte zu fassen? Ein Gefühl schlüpft vorbei, sein Schleier streift mich noch, gleich ist es wieder ins Ferne entschwunden und unerreichbar...doch - ich habe einen Zipfel des Schleiers zu fassen bekommen und kann es zurückziehen, zeig Dich: ja. 

Es war das Schirrmacher-Buch "Ego".

Hier wird die Maschine am Laufen gezeigt, die alle gesellschaftlichen Bereiche in ihre Macht gezwungen hat, auch die Schule und die Bildung. Wie könnte es anders sein!

Ja, das war das Valideste, was ich gelesen habe, ein Werkzeug gegen die Stummheit und Nichtansprechbarkeit der Dinge, die sich hinter unserem Rücken und vor unseren Augen vollziehen.



Max und Moritz nach der Schulinspektion.....


Damit bin ich wieder bei der Schulinspektion. Die letzte hat mich ordentlich Nerven gekostet und 500 Euro, an Rechtsanwaltsgebühr. Ich hatte den herrschenden gesellschaftlichen Tendenzen Totalitarismus vorgeworfen, im zeitgemäßen soften Gewand, nicht mehr mit schwarzen Stiefeln so brutal wie früher, etc. Wollte die "bösen" Geister sprachlich zu fassen bekommen und vielleicht Gleichgesinnte gewinnen. Daraufhin lief eine interne Disziplinierungsmaschine gegen mich an. Das habe ich mit dem Rechtsanwalt zu verhindern gewusst.


*******

Nachdenken über "Schöne Neue Welt". Im Herbst ist die neue Schulinspektion. Sie kündigte sich gestern in einem langen Schreiben der Schulleitung an das Kollegium an, das ich sehr aufmerksam las. Schulinspektion, die zweite Runde. Herbst 2013. Die letzte, im Oktober 2007, war das am meisten Demütigende gewesen, das ich in meiner "Schullaufbahn" in 37 Jahren erlebt habe. Es war richtig schlimm gewesen und hatte das Pendel meines Zornes und Widerstandes entsprechend weit ausschlagen lassen.

Sie fassten es nicht. Diese "Kontrollgesellschaft" baut so auf die individuelle Vorzensur, dass sie mit realem Widerstand nicht mehr wirklich klarkommt. Wenn noch ein Drohpotenzial von Veröffentlichung dahintersteht, das ihnen durch Solidarisierungen gefährlich werden könnte. Dann trauen sie sich nicht so, wie sie vielleicht doch noch gern möchten. Früher, in der Disziplinargesellschaft, haben sie einfach mal gern den Riemen rausgeholt und eins übergezogen....


*******

Also das wird uns noch alle beschäftigen. Es warf im Schreiben gestern seine Schatten voraus.

Was mich sehr ärgert: Ich lese, wir wollen uns gemeinsam Gedanken machen, wie wir das Ansehen der Schule verbessern....

Das  Ansehen einer Schule können wir nicht steuern. Das kommt von außen. Da müssen wir den anderen auch die Freiheit lassen, sich selbst ein Bild zu machen. Aber wir können Fakten hierzu als Grundlage schaffen, versuchen, von innen heraus gute Arbeit zu leisten. Wir könnten versuchen, in die Realität umzusetzen, wie eine gute Schule ist und nicht, wie sie aussehen soll, egal, wie es innen tatsächlich aussieht. Das ist nicht das Gleiche. 

Darum wird diese Gesellschaft in der Theorie "Kontrollgesellschaft" genannt, weil sie die individuelle Freiheit überall beschneiden möchte. Sie gibt vorgefertigte Bilder UND den Weg dahin vor. Jeder eigene Gedanke, der ins Offene geht,  wird als obstinat empfunden. In der letzten Konsequenz trifft dies den Lebensnerv der Demokratie, das hat Schirrmacher richtig herausgearbeitet, denn Demokratie lebt vom lebendigen Gedanken.

Mit 22 Jahren habe ich einmal die Hand gehoben und diesen Eid geleistet, Schaden von dieser Gesellschaft abzuwenden, ihr zu dienen oder so ähnlich. Daran ist nichts Verwerfliches. Dazu stehe ich noch heute, denn die Grundstruktur dieser Gesellschaft als einer demokratischen ist in der Theorie gut. 

Es müsste dabei beginnen, öffentlich zu protestieren gegen personelle und qualitative Unterversorgung. Die Lehrer kriegen ja mal gerade einen Streiktag für Gehaltsforderungen hin. Für Inhalte fände ich es sympathischer.

Diese ganzen vorgeprägten Gedankenmünzen, diese Zirkel vorgespurter funktionaler "Denke", wo man schon vorher weiß, was hinterher in den Papieren stehen soll, wo jeder Gedanke, der diesen Namen noch verdiente, abgewürgt und fortgescheucht wird... Diese Art von Schule ist kontrollsüchtig. Individuell müsste man das als eine Neurose auffassen, wenn das nicht der gesellschaftliche Mainstream wäre. 

Also sagen wir: Der Befund ist: Mindestens eine starke kollektive Neurose in dieser Gesellschaft seit Beginn der Neunziger Jahre, also seit dem Verschwinden der "realsozialistischen" Systemkonkurrenz.

Eine Realitätsverschiebung zur Verweigerung der Anerkenntnis realer Gegebenheiten. Die kollektiv erzwungen wird. Das fängt schon mit der Wortwahl und der Sprache an. Jeder soll die "neurotische" wirklichkeitsverweigernde Sicht teilen. Hierfür wird viel Energie, nötigenfalls auch Zwang, aufgewandt. Aber Zwang immer heimlich und unerkannt....

Dieses Bild der Neurose  trägt, glaube ich, für ein Stück des Weges. Ich müsste deutlich machen, WAS, freudianisch gesehen, die Neurose ist und WIE dieses Bild sinnvoll auf das, was derzeit und seit etwa fast zwei Jahrzehnten, in der Gesellschaft und der Schule passiert, passt.


*******

Da liegt ja ein Stück Arbeit vor mir! Dabei bin ich heute krank. Es tut mir Leid, dass ich die Schüler heute "im Stich lassen" muss! Habe die halbe Nacht nicht schlafen können und mich mit ganz scheußlichen Magenschmerzen hin- und hergewälzt. Es wurde nicht besser. (Nein, ich hatte nichts gesoffen!) Heute früh fühlte ich mich wie ein ausgelutschtes Kaugummi. Dachte, da hat sich jetzt innendrin so viel Müll angesammelt, jetzt muss ich erst mal Ordnung schaffen, dann wachsen mir die Kräfte auch wieder zu. Bestimmt!

Einen Tag muss die Welt jetzt ohne mich klarkommen. :)) Dann steige ich wieder in den "Ring".


*******

"In den Ring steigen" klingt zu heldisch, gefällt mir selbst nicht. Aber man kann es nicht anders als mit "Feuer und Schwert" machen! Mit dem Feuer der Empathie und dem Schneid des Verstandes (Verstand = Fähigkeit des Unter-Scheidens). Dabei kämpft man FÜR die Bildung der Schüler GEGEN Verwahrlosungstendenzen als Verhinderer in jeder Form, GEGEN die gesellschaftliche Tendenz, Bildung unter der Vorspiegelung, Wissen schaffen zu wollen, tatsächlich zu verhindern und zu verunmöglichen, denn Bildung ist Freiheit, und das darf nicht sein! - und dann ergibt sich schon das Bild des Kampfes gegen die Hydra, einem Kampf, dem man schon in gesundesten Lebens- und Schaffensphasen sich kaum gewachsen fühlen kann.

Weil Bildung stets eine gesellschaftliche Konnotation hat und nicht im leeren Raum steht, scheint mir der Kampfaspekt, den ich täglich in den innersten Nerven verspüre, auch tatsächlich beim Reden darüber angemessen zu sein....

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen