Samstag, 9. Februar 2013

Vergaloppiert

Nenne ich es einmal die Arbeitszeit-Buchhaltung. Unser Lehrerberuf hat eine Menge Freiheiten und für das Publikum erkennbare Freizeiten, beispielsweise die Ferien.

Das ist sicher mit ein Grund, warum so viele Menschen diesen Beruf ergriffen haben, die es vielleicht sich noch einmal besser hätten überlegen sollen. Das klingt arrogant.

Aber ich vermisse es, in meinem Berufsfeld vielen Menschen zu begegnen, die für ihren Beruf "brennen", die ihn lieben, die für seine Gegebenheiten sensibel sind, ja, das vermisse ich sehr.

Deshalb, und weil ich das damals nicht bedacht habe, sage ich meinem eigenen Kind: Schau Dir verdammtnochmal die Leute gut an, mit denen Du später jahrzehntelang zwangsvergemeinschaftet sein wirst, zu tun haben wirst, arbeiten wirst! Beflügeln sie Dich? Nehmen sie Dich mit, unter ihre Fittiche? Kannst Du für sie eintreten? Geht Ihr gemeinsam ein Stück Weg? Oder ist da nur lähmende Langeweile, Abwehr und Neid, Missgunst und Gleichgültigkeit, wenn Du etwas Passion und Leidenschaft für Deinen Beruf offenbarst?

Wenn ja, dann nichts wie weg, auf dass Dich die allgemeine Lähmung nicht mit umfange!

Ich will nicht falsch verstanden sein: Ich kenne Lehrer, die für ihren Beruf brennen. Sie sind auch an meiner Schule. Leider sind sie nicht in der Mehrzahl. Tut mir Leid, das so sagen zu müssen, wirklich.

Ich will mich auch nicht besser tun. Ich fühle mich gar nicht so als guter Lehrer. Aber es fehlt der Austausch. Der eigentlich für diesen Beruf nötige Austausch. Und man komme mir jetzt nicht mit Fortbildungen: Sie sind so mit dieser Plastiksprache versifft, die die Menschen nicht mehr sieht, sondern in ihnen nur noch irgendwelchem fremdem Nutzen zuzuführende Wesen. Unerträglich. In meiner freien Zeit tue ich mir das nicht an. Am Wesentlichen geht das vorbei. Im schlimmsten Falle streite ich mich da mit den Mitfortbildungsbesuchern herum, die wollen nämlich diesen Sprach-Bockmist mitschreiben und folgsam sein und vor allem nicht nachdenken.

(Oha - bekomme ich jetzt hierfür schon das nächste Diszi?)

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Das war ein Grund für dieses Blog. Die Mundlosigkeit, die Sprachlosigkeit. Es gibt innerhalb der Institution keinen Raum für ehrliches und redliches Nachdenken, In-Fragestellen, für das, was eigentlich in unserem Beruf so sehr wichtig ist.

Einer von mehreren Gründen.

Der andere war die Sichtbarkeit. Für mich selbst, für andere, möglicherweise, für - ja auch, für die Schulinspektion, die wird nämlich dieses Jahr wieder über uns hinwegrauschen, aus den Wolken fallen, bei uns aufschlagen und alles umkrempeln aus verschiedenen Gründen.

Aber ich bin gewappnet. Ich lasse mich nicht widerspruchslos beurteilen von Leuten, die unansprechbar und mit versteinerter Miene 20 Minuten in meinem Raum sitzen, Ankreuzbögen ausfüllen, jedes wirkliche Gespräch verweigern, schwupps! wieder weggeflogen sind und als Klacks auf dem Boden uns schlechte Noten zurücklassen, die sie uns gegenüber noch nicht einmal begründen wollen/müssen.

Dann diese Anpassungsbereitschaft vorher, dieses Sich in deren Kategorien monatelang vorher so einfühlen und einschleimen, als ob man kein Selbstbewusstsein hätte, aber wahrscheinlich hat man wirklich keines.

Eine meiner Kolleginnen hat ein Gefühl für die Gewalt, die allen Personen in der Schule angetan wird, wenn man nur noch nach vorgegebenen Selbstausbeutungs- und marktkonformen Kategorien beurteilt wird. Sie versorgt mich mit hervorragenden Texten, warum das falsch ist, was ich als falsch und als ins Totalitäre hineingehende Gewalt bezeichne. Weil diese Kategorien als wie  vom Himmel gefallen über uns gespannt werden. Quasireligiös. Denken verboten! Unerwünscht. Wir bekommen unseren Lohn fürs Gehorchen und Schweigen, Maulhalten.

WAREN WIR NICHT SCHON EINMAL WEITER???

Diese Gewalt hatte ich als totalitär damals thematisiert und war mit Mundverbot und Diziplinierung bedroht worden. Einer der ganz Oberen da warf mir mangelndes Demokratiebewusstsein vor!! HAHA, genau das warf ich ihnen auch vor!! So eine kleine Nummer, wie es ein Lehrer ist, der darf keine Stimme haben.

Ich besorgte mir den besten Verwaltungsrechtler, den es in Berlin gibt und stand die Sache durch. Und eigentlich darf ich hierüber ja jetzt auch nicht schreiben.....Maulkorb. Eigentlich.

In den 80ern hatte ich auch schon Ärger mit Schulräten. Da wurde man hinzitiert, man bekam eine lächerliche Vorstellung, auch mit Schreien und so, jedenfalls wurde ganz schön gedroht, und wenn man standhielt, ergab sich daraus sogar manchmal ein passables beidseitig anerkennendes Gespräch in der Sache, die den Anlass gegeben hatte und um die es dabei ging.
Das waren noch Erfahrungen aus der so genannten Disziplinargesellschaft. Abweichung wurde noch für denkbar gehalten, angenommen, manchmal bestraft, aber sie existierte im Denken über  gesellschaftliche Realität!

Heute geht das anders. Man nennt das Kontrollgesellschaft. Der Sack wird von den Begriffen her schon so weit zugemacht, dass man nur noch offiziell so denken kann, wie offiziell gedacht wird. Widerspruch ist nicht mehr vorgesehen, und überwiegend funktioniert das auch. Man muss nicht mehr den Hammer herausholen, die Schere im Kopf vorher und die Unthematisierbarkeit der brennendsten Probleme besorgt schon alles. Honi soit qui mal y pense...und wem dabei  Orwellsche Verhältnisse einfallen.

Merkwürdig, dass man mit den Ex-DDRlern darüber am besten sprechen kann. Viele empfinden das hier als keineswegs demokratisch, sondern benutzen von sich aus den Begriff "totalitär", für den ich gerne 500 Euro Rechtsanwaltshonorar gezahlt habe. Das war es mir wert. 

Schweife ich von meinem Thema ab? Keineswegs. Es geht mir um die Motive zu diesem Blog, das ich übrigens vor ziemlich genau einem Jahr begonnen habe. Der erste Eintrag stammt vom 8. Februar 2012...

Der Beamte hat viele Vorteile. Man möchte, dass er sie nimmt und schweigt. Als Bürger soll er ohne Mund sein und ohne Stimme, außer in den vorgefertigten Legoland-Sprach-Bahnen.

Die meisten Beamten sind sehr, sehr wenig mutig und auch meistens mit ihren Häusern beschäftigt, wo es immer etwas zu baumarkten, finanzieren und abzuzahlen gibt.

Wenn dann was Unangenehmes kommt, dann sitzen sie es aus. Leider.
Denn wir könnten ja auch mal den Mund aufmachen, nein? Uns kann man doch nicht so schnell.....rausschmeißen!

Hab das schon so oft gesagt. Dann gehen aber immer die Ohren zu.

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In der Kontrollgesellschaft haben sie Probleme, mit Abweichungen umzugehen, denn die sind nicht mehr vorgesehen.... Das ist ganz anders. Manchmal spüre ich bei Stimmen aus der Uni, dass sich dort das Gleiche vollzieht und dass dann auch dort schon mal das Wort "totalitär" vorkommt, für das ich 500 Euro zahlen musste.

Person und Gewissen - klingt wie aus dem Paläolithikum.
Diese Leute haben sich irgendwann gestreamt, wahrscheinlich immer schon und Uni und Schule und die ganze Gesellschaft in eine Firma umgewidmet.
Nur darf man das nicht mehr sagen, denn alle sind "drin" und zum Bewerten müsste man ein kleines bisschen draußen sein. Für die Perspektive.

Ich breche hier mal ab. Warum sie damals nicht so zugeschlagen haben, war, weil ich den inkriminierten Text nur ins Lehrerzimmer neben den Kopierer gelegt habe und ihn z.B. nicht ganz öffentlich gemacht habe.

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Die Sache arbeitet noch in mir. Das ist zu spüren. Eigentlich wollte ich über Arbeitszeiten reden. Aber die Dinge sind verwickelt und irgendwann ist der Moment für die Arbeitszeiten.

Ich versuche, wieder in Schule hineinzufinden. Habe viel Mathe vorbereitet. Musste es unterrichten, weil die Kollegin zur 6. Klasse ins Sabbatjahr ging. Da musste ich ran, denn für einen neuen Lehrer hätten die Schüler monatelang für die Umgewöhnung gebraucht. So was geht. Bei uns.

Die viel zitierten Schüler - (der Grund, warum wir Lehrer sind, wo wir sind) ich habe nicht das Gefühl, dass sie in der Institution GESEHEN werden. Jedenfalls nicht mit ihrem Glücksanspruch, den sie als Einzelne haben, und zu dem Bildung gehört, eine Bildung der Persönlichkeit, die in dieser komplexen Gesellschaft Chancen hat, Eigenes zu verwirklichen UND sich ökonomisch zu erhalten;  mir kommt es eher so vor, als sähe man die Schüler als Nutzwesen zur Gewinnoptimierung im globalen Rattenrennen. Vielleicht muss ich mal ein paar Sätze sammeln, WIE über die Menschen und über Schüler gesprochen wird, wenn das Wort "Bildung" vorkommt, um es zu belegen.

Hab mich vergaloppiert. Hat aber Spaß gemacht! Wünsche jedem Leser ein paar gute Momente an diesem Tag!!! 
 

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