Samstag, 17. Mai 2014

Empathie und Rasierklingen




In der letzten Woche waren da noch ein paar erwähnenswerte Sachen:



Jahrelang benutzt man das Ding, und nun, 
am Morgen, allein, beim Vorbereiten - steht es auf einem Tisch
und wirkt wie - ??! -
eine vereinsamte ...Schnecke!


Am Dienstag übten wir weiter für unseren Eltern-Kindernachmittag am Donnerstag, dem 22.Mai.

Julia brachte Musikinstrumente in die Klasse mit.  




Sie zeigte uns, wie man mit den Klanghölzern umgeht, wie man sie hält und wie man sie zum Klingen bringt.



  
Einen Rhythmus mit den Rasseln zeigte sie uns auch.




Dieses Musikinstrument nennt sie den "Fisch". Richtig heißt es anders. Man streicht mit einem Holz darüber.
 



Pauline und Jasper verfolgen aufmerksam, wie man mit dem Fisch richtig ratscht.
Wir werden ein Lied vortragen, dessen Melodie und Rhythmus lateinamerikanisch/karibisch sind, es ist ein Chachacha.
Es heißt: Puck, die Stubenfliege 

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Später nach dem Unterricht: Hediye spielte uns allen auf der Saz vor und sang ein wunderschönes Lied dazu. Es klang so schön! Musik ist eben doch etwas Wunderschönes und man möchte sie nicht missen!

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Aimée gestaltet ihre Arbeitsblätter oft mit bemerkenswerter Intensität und überaus liebevoll. 

Schule, ich werde es nicht müde zu betonen, skolé im Griechischen, ist das gleiche Wort auch für Muße. 

Was ist Muße? Es klingt altertümlich, aber es ist Voraussetzung für Bildung im Humboldtschen Sinne als Persönlichkeitsbildung. Es ist eine Art aktives Passivsein und braucht vor allem: Zeit.

Aimée ist nicht "schnell" in dem Sinne, dass sie immer ganz vorne sein will und am weitesten, sie wettbewirbt sich nicht. Sie besorgt sich um die Sache und macht sie zu ihrer eigenen. 

Sie braucht auch keinen, der hinter ihr steht und "Schneller, schneller" sagt. Sie eignet sich die Dinge auf ihre Weise an. Das ist zu respektieren. Und ein wenig zu bewundern.

Den Anti-Pisa Brief, der derzeit durch die Medien geht, habe ich in diesem Sinne auch gleich unterschrieben. Das ist keine demokratisch legitimierte Art, mit jungen Menschen umzugehen. Sie gehören sich selbst und nicht dem Arbeitsmarkt.
Muss den Link dazu noch suchen....

Zu jedem Wort, das Aimée gelesen hat, hat sie das dazugehörige Bild gezeichnet. Ihre Weise ist das zu zeigen, dass sie den Inhalt verstanden hat.

Man kann sie nur ermutigen, so weiter zu machen. Es ist ihr persönlicher Weg, sich Welt anzueignen. Es ist sehr souverän, wie sie ihn geht. Man kann sie nur dabei unterstützen.

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Nun entsteht auch eine kleine Erzählung!! Es gibt etliche Phasen von Freiarbeit in dieser Woche, viele Kinder "spinnen" an unterschiedlichen Fäden und verwirklichen eigene Ideen.

Ein Schneckenbuch soll es werden. Kein Sachtext, eine Geschichte. Die Geschichte von Alina, der Schnecke:






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Am Dienstag war Lillys Geschichte so weit gediehen.


Eine Gruppe von mehreren Kindern entwickelte Seiten für ein sachtextiges Schneckenbuch. Sie teilten sich untereinander die Aufgaben auf. Ein Mädchen, das noch nicht schreibt, aber sehr gut zeichnet, begann, den Text der Freundin zu illustrieren. So machen es die Großen doch auch???
Text: XXX Illustrationen: YYY  





 Muss es "übersetzt" werden? Verbindlich festgelegte Orthografie ist historisch auch noch nicht sooo alt. Wenn wir versuchen, es zu entziffern, geht es uns wie Menschen vor wenigen hundert Jahren, wenn sie die Briefe ihrer Lieben lasen....Diese Menschen waren dann privilegiert, die Armen konnten nicht lesen oder schreiben.

Mir kommt es oft so vor, dass Sigmund Freud so unrecht nicht hatte, wenn er sagte, die Ontogenese, die Entwicklung des Einzelnen, des Individuums, sei eine verkürzte Phylogenese, das ist die Entwicklung der Menschheit. Die wesentlichen Stufen muss jeder für sich allein noch einmal aktiv erringen, um dann auf diesem Boden sich - und vielleicht damit auch ein wenig die Menschheit - weiterentwickeln zu können... Vielleicht.



 Wir fanden die Weinbergschnecken im Schulgarten und erklärten uns ihren Namen. Dies führte dann zu diesem Bild, zunächst im Kopf und dann auf Papier.



 Schnecken lieben auch ihre Freiheit....genau wie wir.




Muss ich im ersten Schuljahr Schnecken über Rasierklingen und Scherbenfelder laufen lassen, wie es in naturwissenschaftlichen Blättern gezeigt wird? Großes "NEIN"!

Lieber packen wir die Stereomikroskope aus und schauen uns die schleimige runzelige Haut ganz nah an, ihre Bewegungen, die Grazilität des Fühlerspiels, das Luftloch, die Rillen im Haus......

Descartes darf noch warten. Er ist der Urvater dieser zerlegenden Naturwissenschaft, beschrieb ja auch die Tiere als lebende "Maschinen". Wenn sie das sind, dann darf man ja auch alles Mögliche mit ihnen anstellen, nicht wahr??

Wir aber sind in einer ganz anderen Phase. Wir gewinnen erst gemeinsam einen Bezug zu dem Phänomen Schnecke, zu dem belebten Wesen, dem animale. Anima=(lat) Seele (!!!)

Lassen wir also im ersten Schuljahr noch die Rasierklingen weg! Oder überhaupt, ich weiß es nicht so genau für den Moment. Ich möchte ja zunächst einmal die Fähigkeit zur Empathie fördern als Fundament und Basis anderer Erkenntnisse.

Sadismen gegenüber Tieren gibt es zuhauf und überviel. Dagegen möchte ich mich ein wenig als Lehrerin abgrenzen. Schnecken über Rasierklingen laufen zu lassen, um zu zeigen, dass sie sich NICHT dabei verletzen und sich zu erklären, warum, muss eingebettet sein in ein Bild vom Tier als einem empfindungsfähigen Wesen, das an seiner Schmerzfreiheit genauso interessiert ist wie jeder von uns selbst.

Dann ist mir das möglich. Sonst ist die Gefahr zu groß, dass der "Schuss" nach hinten losgeht. Sadismen gibt es schon zu viele.

Auf unserem ersten Ausflug in den Gleisdreieckpark gab es einen von uns, der damals auf Schnecken und Regenwürmer trat, als ob es gälte, einen Wettbewerb zu gewinnen....

Ich hoffe, dass vor solches Handeln zukünftig sich vielleicht ein wenig Reflexion oder Mitempfindung, Perspektivenwechsel, Differenziertheit, eingestellt hat, die das unmittelbare Ausführen solcher Impulse bremst.
Dann wäre schon viel gewonnen.
 




 Ein paar Fakten liefern wir natürlich auch.





 Durchaus nicht unwichtig: Die Pflege der "Werkzeuge"...




 ....gemeinsam...
und den Spitzerdreck, den heben wir auf.
Der macht gute Effekte, wenn man mal
Papier selbst herstellt und schöpft.



Vorbildlich! Großes Lob. Ohne die Arbeitsmittel
ist alles viel schwerer. Daher steht das bei mir auch immer im Zeugnis, ob jemand seine Arbeitsmittel immer gut zur Hand hat. Ich weiß, wie wichtig das ist,habe da selbst meine Achillesferse. Aber ich geb mir Mühe.... :// Wirklich.

Wenn die Kinder mir ein Zeugnis schreiben, was sie in den fünften oder sechsten Klassen auch schon gemacht haben, dann steht da immer, dass ich versuchen müsste, mehr Ordnung in meinen Sachen zu halten.... *_*



 Jaspers Text ist noch nicht ganz fertig.


Hier ist Hediyes Asylschnecke nochmal zu sehen, die sie auf ihrem Schulweg auf dem Gehweg fand und mitbrachte. Mittlerweile ist sie mit den anderen zusammen wieder im Schulgarten, denn, wie hieß es?




Schnecken brauchen nicht nur Feuchtigkeit und Blätter, sondern auch Freiheit.

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Hier noch ein schönes Bild aus einem Tweet von
@i_Author auf Twitter:



Genau. Deshalb.

Ganz stimmt es sicher nicht so. Der Fernseher füllt auch den Kopf, aber mit Stereotypen und Klischees zuungunsten eigener persönlicher Bilder und Empfindungen....


Bis bald!
Eure
Minna

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