Dienstag, 10. Juni 2014

In der gelben Plastiktüte

Morgens um 7 Uhr im Schulhaus. Alles ist ruhig, ein großer Kontrast zu dem, was in einer Stunde und den ganzen Tag lang los sein wird...

Um dem mental gewachsen zu sein, komme ich immer ein gutes Stück früher. So habe ich dann  meinen Platz in diesem Tag schon gefunden, wenn "es" losgeht, lasse mich nicht so sehr irritieren und habe später nicht nur das Gefühl zu re - agieren.

Denn der Arbeitsplatz ist ein ungesunder Arbeitsplatz.

Es gibt keine ergonomischen  Möbel. Das ist das geringste aller Übel, denn ergonomische Pausen gibt es auch nicht. 

Es macht mir nichts aus, auf Erstklässlerstühlen herumzurutschen, aber dass von 8 bis 15 Uhr immer Leute an einem dranhängen und etwas von einem wollen, wofür man dann gerade keinen Notizzettel oder Stift hat, (man hängt natürlich auch ständig an den anderen dran, von denen man immer und dauernd schnell auch etwas will) und wovon man dann später 20% vergessen hat, weil alles so schnell aufeinanderfolgt, dass sich eines auf das Andere legt und es wegdrückt, das ist von der Masse her so viel, dass es mich ganz fusselig macht und mir die innere Ruhe raubt, ich habe es dann schwer, innerlich auf meinem Kurs zu bleiben.

Wenn ich mal einen ruhigen Moment habe, dann sagt sofort eine Stimme" "DAS musst Du auch noch machen, und das und das..." und es nimmt kein Ende, dieses dies und das, denn niemals ist ALLES fertig gemacht. Und DAS macht einen auf die Dauer selber fertig.

Ja, das ist ein Aspekt meiner Situation von der sozialen Seite her. Es gibt keine Dämme um die  Brandung des zu Regelnden, des zu Bearbeitenden, des zu Kommunizierenden, einzuhegen, was natürlich jetzt eine unglaubliche metaphorische Verirrung ist,   es so darzustellen, weil man Brandung nicht einhegen kann, höchstens Dämme bauen. Aber so empfinde ich es.

Früher störte es mich auch, ich steckte es aber besser weg. Oder nahm auch mal hin und wieder Baldrian, Johanniskraut und solche Sachen. Oder auch mal öfter oder eher regelmäßig, und dann auch immer mehr davon, weil man musste ja den Beruf, das eigene Kind, die Pflege der Älteren, den Haushalt, die Beziehung, alles das unter einen Hut bringen. 

Heute nehme ich nicht einmal mehr eine Kopfschmerztablette, denn ich will endlich auf das hören, was meine körperliche Seite mir verklickern will.

Das war die so genannte Sandwich-Position zwischen den bedürftigen Generationen. Da durfte man sich keine Schwäche erlauben. Auch die Ferien waren komplett verplant. Mal wohin verreisen? Nein. Ging nicht. Man hatte ja ohnehin immer ein schlechtes Gewissen, weil die gebrechliche Mutter 700 km entfernt wohnte.

Solange alle gesund waren, ging die binnenmigrantische Rechnung so halbwegs noch auf.

Das waren die Jahrzehnte zwischen dreißig und fünfzig.
Man mobilisierte wahnsinnige Kräfte, und es war doch immer zu wenig. Aber irgendwie steckte man das weg. Wahrscheinlich nicht ohne Folgen.

"Verdammt," sagte ich mir, "ich geh einfach früh genug ins Altenheim und NIEMAND muss MICH pflegen." So wie Beckett. Der hat das anscheinend auch ausgehalten mit den richtigen Büchern.

Ich hatte auch nie eine Auszeit. Schon lange arbeite ich nicht mehr Vollzeit - auf dem Papier. De facto habe ich locker meine über 40 Stunden in der Woche. Mit 19 von 28 Schulstunden.

Aber jetzt -  im Schulhaus um 7 Uhr morgens.

Durch den Gang gehen. Es riecht. Stickig, kurz vor stinkig. Stinkig wird es dann richtig, wenn man sich irgendwelchen Toiletten nähert.

Aber die Anmutung im Gang ist....ungesund....Bin ich nicht mit voller Energie hier hineingegangen? Und jetzt.....zieht sich da was weg. 

Dabei sind noch gar keine Kinder da.....wobei die Kinder auch gar nicht das Problem sind, sondern die zu vollgepackten Un-Strukturen, die pädagogisch/bürokratischen double-binds und als Zugabe die ewige Hörigkeit der Staatsdiener/innen, die kein gemeinsames Handeln im Sinne einer auch in  gesellschaftlicher Hinsicht ausgefüllten Berufsrolle zulässt.

Die halben Baumleichen im Gang, die ewig vergessenen, blätternden, ewig herumgeschubsten, vertrocknenden, ungedüngten, ewig ver-rückten und verrutschten Fici Benjamini oder Yuccapalmen, sie rufen mir ihr Leiden zu, und schon muss ich hingehen, aha! Schon wieder viel zu trocken....Also, Eimer her, Wasser....ach ja, Dünger brauchten sie auch mal....Weiter. Ich wollte ja zum Klassenraum. Aber noch einen Moment innehalten in dem Gelb der Gänge:

Wie fühlt sich das an? Unfrisch auch, weil schlecht geputzt, ungesund, weil ungelüftet, und so... plastickig. Ja, der leichte Schimmer auf der Fertigbauwand deutet auf Latexfarbe hin. "Ich fühl mich wie in einer großen gelben Plastiktüte", denke ich. 

Anstatt die Krassheiten dieses Gehäuses - Haus kann man ja wohl nicht sagen, dann würde man diesem Gebilde viel zu viel Ehre antun - anstatt sie zu mildern, setzt man noch eins drauf und verklebt noch die letzten nicht vorhandenen Poren mit Plastik. Na danke auch! 

(Den Architekten hätte man mal beizeiten herholen und zu 40 Stunden in der Woche Aufenthalt in seinem Elaborat verknacken sollen....Mindeststrafe, die er sich redlich verdient gehabt hätte! Vielleicht wäre er schreiend davongelaufen, er hätte das  gedurft...Wir nicht. Wir müssen bleiben.)

Also weiter. Ich erreiche meinen Raum am Ende des Ganges und öffne die Tür. Ach ja, der Kramladen, müsste, sollte mal wieder aufgeräumt werden und zwar gründlich, und zwar bald, und auch Staub gewischt...feucht, aber....die Luft ist anders da. 

Das ist die mineralische Biofarbe, Silikate, hauchdünn nur, und die Luft atmet sich anders. Dazu die eine oder andere große Pflanze, z.B. Zitronenpelargonien, die bei Berührung einen frischen Melisseduft verströmen, ein Aquarium für die Luftfeuchtigkeit, und schon ist man (fast) gerettet.

Endlich. Angekommen.

Nun erstmal Fenster öffnen und die Fische füttern. Sonst hab ich das nachher den ganzen Tag lang auch noch vergessen.

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