Montag, 7. Mai 2012

Lehrer, hör zu! Montag, 7. Mai 12

Man kann nicht immer das Gleiche beschreiben. Es wird gewerkelt und die meisten Kinder sind sehr vertieft bei der Sache und stellen schöne und zweckmäßige Dinge her.
Unterricht bereitet sich in den entspanntesten Phasen am besten vor. Die Ideen suchen mich dann auf. Ich muss ihnen nicht nachlaufen.
In einem solchen Moment kam mir die Idee, das handwerkliche Tun gemeinsam schriftlich zu reflektieren, unter einigen Aspekten und anschließend in Form einer Vorgangsbeschreibung niederzulegen. Misslich: Wer kein Werk vorzuzeigen hat, kann nichts darüber schreiben..So rächt sich ein unbeherztes Sich-Drücken einiger Weniger auch in dieser Hinsicht. Das klingt vielleicht gemein, aber es soll ihnen ein Gefühl dafür entstehen, dass sie etwas versäumt haben, einer Sache nicht intensiv genug nachgekommen sind...
Es handelt sich dabei um zwei Kinder, denen das Sich-Drücken so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass sie es als ein problematisches Verhalten selbst nicht wahrnehmen. Dazu brauchte es ein wenig mehr Selbstdistanz als sie haben.
Grotesk und gefährlich: Zwei Schüler schoben sich Plastiktüten über den Kopf und prüften gegenseitig, ob sie noch Luft bekommen, in aller Unschuld, mitten im Unterricht.
Ich hatte angefangen, mich auf die Klassenfahrt nach Wyk auf Föhr zu freuen. Was wir alles sehen und gemeinsam erleben und erfahren werden. Wie dies veränderte Sichten auf Vieles zur Folge hat. Wie ich anfange, der wachsenden Vernunft, die hier und da zu bemerken ist, zu vertrauen.
Und nun dieses! Wir sind nicht immer dabei...
Unvorstellbar. Es sind Elfjährige. Schon erscheint wieder die große schwarze Puppe Angst und hebt ihre schwarzen Arme. Ich will niemals nach Hause kommen und jemand ist stark geschädigt oder noch gar Schlimmeres. Alptraum. Damit könnte ich nicht leben. Fühle mich seit heute wieder als Geisel extremer Unvernunft, der ich mich Tag und Nacht aussetzen werde. In solchen Momenten denke ich:"Warum nur machst Du das?"
Auf dem  Hof werde ich von den vagabundierenden und Ärger suchenden Jungen der Sechsten wieder getestet. Als ich nach dem Gong hinter ihnen, die betont langsam ins Schulhaus - gehen, kann man das nicht mehr nennen - sich fast nicht bewegen, ruft ein Junge, ein anderer weint. Die Kollegin, die an dem Platz stand, ist schon weg.
Dumm, wenn die Lehrer als erste ins Haus hineingehen, wenn es abklingelt. Klärung braucht zehn Minuten, die mir oben in der Klasse fehlen, auch, weil ich dort aufzuschließen habe. 
Zu Beginn also stark erhöhter Erregungspegel bei mir, der sich angesichts der sich in die Arbeit vertiefenden Kinder allmählich wieder senkt.
Diese Sägegeräusche, Feilgeräusche, dazwischen schreibende Kinder, malende Kinder, in aller Seelenruhe, das ist ansteckend!!
Bin schon fast auf dem Weg nach draußen, komme aus dem Lehrerzimmer. Auf der Bank sitzt A., eine ganz Schlimme aus einer vierten Klasse. Andauernd ist was mit ihr. Sie sagt vernehmlich mir in den Rücken: Ich versteh nicht, warum die Lehrer (sie meint auch die Erzieher) immer so sauer sind.
Dreh ich mich rum und setz mich dazu. Das war eine unglaubliche Bemerkung. Wir unterhalten uns eine halbe Stunde lang. Wenn ich das richtig deute, ist es tatsächlich so: Sie versteht es nicht. Sie drückt es klar aus, wie es ist, wie sich später zeigt: Sie kann sich den moralischen Standards gemäß nicht angemessen verhalten, weil sie es nicht versteht, sie versteht nicht, dass Regeln bindend sind. Zu Hause sind sie es auch nicht. Sie versteht nicht, mimische und gestische Zeichen vor dem großen Konflikt zu deuten und ihr Verhalten darauf einzustellen. Sie versteht die gesamt soziale Grammatik nicht.
Und dann liefert sie auch noch den Weg, den sie sich vorstellt, wie es besser wäre. Ihre Erzieherin möge sich mit ihr darüber unterhalten und nicht sie ständig zur Schulleitung schicken.
"Würdest Du denn auf das hören, was Ihr dann besprecht?", frage ich sie. "Ja," meint sie, "ich würde darauf hören."
Die Version der Erzieherin ist vollauf verständlich. Vollauf. Doch hat A. auch einen Weg aufgezeigt.
Einen Weg, der vielleicht gegangen werden könnte.
Unglaublich. Was man erfährt, wenn man zuhören möchte. Ich war in der Verfassung gewesen, ihr zuhören zu wollen. Bin ich auch nicht immer. Was habe ich mich mit ihr in Vertretungsstunden schon gezofft...
Ali machte zweieinhalb Stunden in kontrollierter und aufmerksamer Weise mit, suchte sich Aufgaben, wie er Andere bei ihren Werkarbeiten unterstützt. Er traut sich ein eigenes Werk nicht zu. Wahrscheinlich hat er Angst davor, es spiegele ihm nichts Gutes oder es entspräche nicht seinen Standards. So sucht er sich Einzelaufgaben im Zusammenhang mit anderen Arbeiten. Bemerkenswert. Als er noch in die Förderstunde soll, bekommt er die volle Depri. Er darf gehen. Es ist zu schrecklich. Mitte der letzten Stunde fing es schon mit ihm an.
Ich wollte gerne ihm zeigen, dass er vorher schon lange Zeit gute Lösungen gefunden hatte und dass das eine Leistung ist. Jetzt ging es nicht mehr, wirklich nicht. Am guten Willen hatte es nicht gefehlt. Doch war die Grenze erreicht. Völlig ohne Konflikte und Auseinandersetzungen. Das ist doch viel!
Bastian ist überhaupt nicht mehr auffällig beim Werken, er reiht Produkt an Produkt, gibt keine Widerworte, ist einfach zufrieden in seiner Aktivität. Dabei wird auch das Schreiben besser.
Lucy und Leonie sind verschwunden, schreiben den nächsten Teil ihres Dialogs. Kurzes Gespräch noch: Die Szene mit den Männern, die war ja ein bisschen so...Nein, die Männer, das waren die Väter, meinten sie. Aha.
Leonie will ein Sprichwörter-Memory machen. Bild/Wort. Wir kommen dann zu Metaphern, klären, was das ist, z.B. "Wüstenschiff" für Kamel etc.
Aber dann verliert sie die Lust. Nun will sie ein Wandbild machen mit einem Spruch, der geht etwa so: "Das Leben ist wie zeichnen, nur ohne Radiergummi..." : )
Sie würde gerne eine Geschichte, eine Fabel singen. Ein Mädchen, das sie kennt, geht in eine Schule, wo sie Geschichten singen. Waldorf. Leonie ist schon umgezogen. Sie wird uns wohl im Sommer wieder verlassen, das ist richtig megaschade.

Übrigens, als wir heute im ersten Kapitel des Steinzeitromans lasen, wer hebt da die Hand und will lesen? Ali! Leise bemerkt er noch, dass Lesen eigentlich Scheiße ist, als die anderen anerkennend klatschen, nachdem er aufgehört hat, aber er hat sich gemeldet, er hat gelesen und er hatte es so gewollt! Freude. Er ist noch nicht gut. Er ist aber viel besser schon.
Eine Sache muss ich doch noch loswerden: Heute früh eine Mutter, sie entschuldigt einen Jungen, er sei krank, habe es am Magen. Als ich das in der Klasse erwähne, sagt ein anderer: Aber der ist doch in Leipzig, die haben dort mit ihrem Verein ein Fußballspiel. Das hat er auf Facebook geschrieben...Lügt sie mich ins Gesicht hinein an?

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