Donnerstag, 24. Mai 2012

Der zweitbeste Beruf der Welt

Das ist aber heute wirklich nur noch der zweitbeste Beruf der Welt, komme nach Hause und fühle mich sehr aufgewühlt und schlecht behandelt. Es ist nicht richtig zu sagen, schlecht behandelt, vielleicht nicht professionell, wie man heute so sagt, aber ich fühle mich so.
Ich muss es rausreden aus mir, muss es loswerden, sonst setzt es sich in mir fest.
Habe heute eigentlich einen sehr schönen Tag gehabt. Heute  früh ein sehr wunderbares entspanntes Gespräch über Gott und die Welt, würde ich sagen.
Eine Deutsch-Klassenarbeit stand an und die Kinder fragten so dermaßen interessiert wie wir damals immer unseren Lateinlehrer, fragten, wie das mit seinen Motorradfahrten durch Kreta gewesen sei und dann fing er an, so begeistert zu erzählen, dass die Hälfte der langweiligen Lateinstunde wie im Flug um war und er dann sagte: "Aber nun müssen wir doch mal..."
So kam ich mir vor, doch streiften wir wirklich gute Themen. Zuerst ging es um Schulabschlüsse und für welche Berufe man welchen benötigt, an interessierten Fragen hangelten sich meine Antworten entlang.
Wie wir aufs Gefängnis, die Justiz, auf Justitia mit der Waage und der Augenbinde kamen, ich weiß es nicht mehr. Es ging auch um Föderalismus (BRD) und Zentralismus (Frankreich) und warum es möglich ist, dass die Grundschule in Berlin sechs Jahre dauert und sonst nur vier - ich glaube, es war ein Vermerk auf dem Wörterbuch: 5-bis 10. Klasse, Sekundarstufe.
Grundgesetz, Bürgerliches Gesetzbuch, Gericht, Schöffen, Ehrenämter, Sozialstunden, Bewährung, Jugendstrafrecht, Erwachsenenstrafrecht...., na, dann waren 45 Minuten schon um.
Kleine Pause, dann begann die Klassenarbeit.
Alle legten sich sehr ins Zeug, ausnahmslos jeder wollte so viel wie möglich aufs Papier bringen. Darüber habe ich mich sehr gefreut.
Dann ging ich nach Hause, für zwei Stunden Zeugnisse schreiben. Das, was man schon schreiben kann und kam zur Mathestunde wieder.

Die Gruppe der Mädchen hatte über die Zimmerverteilung bei der Klassenfahrt gestritten, sie baten um ein Gespräch. Ich hatte ihnen gesagt: "Wir treffen uns um 14 Uhr 15 draußen, Ihr seid dann draußen nach dem Essen, und dann werden wir sehen, was die Klasse macht und noch arbeiten kann bei der Hitze und ob ein Gespräch möglich ist. Das klären wir dort."

Unsere Erzieherin hatte schon frei, sie hatte seit 6 Uhr morgens gearbeitet, eine Vertreterin war da, als ich kam. Sie sagte mir, alle Mädchen hätten ihr gesagt, dass sie nach dem Essen oben auf mich warten sollten, ich hätte das so gesagt.

Ich war empört. Sofort ging im Kopf meine Klassenfahrt-Angstklingel los:

WAS machen sie? Ich hatte doch etwas ganz Anderes gesagt!

Schon in den Hofpausen versuchen viele Mädchen oft, auf irgendeine Weise sich vor dem Hinausgehen zu "drücken". Hier aber standen sieben Mädchen vor der Erzieherin und logen, nur, um oben zu bleiben?
Es war ihnen ganz egal, wie ich das aufnehmen würde? Was glaubten sie? Es war ihnen egal, die Erzieherin so frontal alle zusammen anzulügen?

Mir wurde unheimlich, wirklich unheimlich.
Sofort hatte ich ein Vertrauensproblem.
Dann ging ich nach oben und wurde sehr herzlich begrüßt, so, als ob alles super in Ordnung wäre...

Ich wies sie an, sich jede allein an einen Tisch zu setzen, ein Blatt Papier zu nehmen und aufzuschreiben, was ich um halb 12 zu ihnen gesagt hatte.

Es war siebenmal das, was ich tatsächlich gesagt hatte. Stuhlkreis. Warum???
Ach, irgendjemandwirwissennichtmehrwerhatgesagtwirkönntenobenbleiben
unddannhabenwirsallesogemacht......

Na, ich war bedient. Diesen Damen soll ich eine Woche lang Tag und Nacht vertrauen? Wie soll ich schlafen können, wenn sie so unheimliche Impulse haben und auch dazu noch dreist lügen, der Erzieherin ins Gesicht, alle zusammen, so überzeugend, wie sie es schilderte. Gibt es Unwahrheitsroutinen? Machen sie das oft? Wen belügen sie sonst? Haben sie einfach nur ein instrumentelles Verhältnis zur Wahrheit und zu den Menschen, mit denen sie zusammen sind, also auch zu mir?? Fehlt ihnen, was man Gewissen nennt?

Grund genug zum Nachdenken war das schon.

Doch dann kam noch etwas nach. Wir sind am Ende der Mathestunde. Es sind noch etwa fünf Minuten. Die Tür geht auf, eine Mutter steht da und weicht auch bei dem Hinweis, die Stunde dauere noch fünf Minuten, nicht zurück. Drei starke Hinweise müssen ausgesendet werden, ehe sie wieder hinausgeht und wartet.

Als die Tür sich hinter ihr schließt, springt die Tochter auf, öffnet die Tür und will zu ihrer Mutter, ohne zu fragen oder Aufschluss über ihre Wünsche zu geben.

Ich hole sie zurück und weise sie scharf zurecht. Komme mir wiederum nicht ernst genommen vor. Hier ist kein Respekt vor dem, was wir tun, von der Mutter nicht, von der Tochter nicht.

Muss mir Gehör verschaffen, denn die Tochter lässt mich kalt lächelnd abtropfen, würdigt mich keines Blickes.

Die Mutter möchte ihre Tochter heute eine halbe Stunde früher abholen. Klar, warum nicht. Nun aber will sie es jeden Tag so tun. Ich sage ihr, das muss sie mit der Erzieherin besprechen, sie legt los und überschüttet mich mit einem Schwall Worten. Ich sage, ich bin die Lehrerin, sie muss das mit der Erzieherin besprechen oder mit der Schulleitung. Wir sind eine Ganztagsschule, in der Regel sind die Kinder von 8 bis 16 Uhr hier. Weiter werde ich überschüttet.

Ich sage, die Tochter kommt schon morgens oft zu spät und erhalte nun noch mehr Wortschwall, ich hätte jetzt mit morgens angefangen, ob ich wüsste die S-Bahn etc. 
Müde bin ich, einfach nur müde. Was spricht sie mit mir? ich habe die Ganztagsschule nicht erfunden, ich kann sie insgeheim noch nicht einmal verteidigen, habe damals dagegen gestimmt, aus verschiedenen Gründen, auch, weil ich der Meinung bin, dass Eltern und Kinder ein Recht haben, Zeit miteinander zu verbringen, wenn sie dies am Nachmittag wollen.

Was passiert hier gerade?
Ich kann weder etwas für die Ganztagsschule noch kann ich es gut finden, dass  die Tochter ständig zu spät kommt. Die Kinder stehen dabei. Ich kann der Mutter nicht sagen, alles paletti, Sie haben es schwer und dann der lange Weg, also das geht schon klar mit dem Zuspätkommen.

Pünktlichkeit ist eine gesellschaftliche Schlüsseleigenschaft, ohne die jemand keine Stelle bekommt oder sie nicht lange hat.
Pünktlichkeit muss trainiert werden. Wenn die S-Bahn unpünktlich ist oder da ein Stau ist, muss man umdisponieren. Meine Kolleginnen kommen täglich aus Hohenschönhausen oder Weissensee, die schaffen das auch, pünktlich da zu sein.

Zu alledem habe ich keine Lust. ICH WILL JETZT NICHT DISKUTIEREN. Ich habe einen langen Schultag mit Konflikten hinter mir, ich will das jetzt nicht. Doch ich werde nicht gehört.
Wenn ich der Mutter sage, ja ja, ist schon gut, dann habe ich gleich fünfe, die andauernd zu spät kommen, dann sinkt die Moral, sofort. In unserer Klasse zahlen zwei Kinder die Lehrbücher, das heißt, von zwanzig Familien stehen zwei ökonomisch auf eigenen Füßen.
In vielen Familien ist das Kind die einzige Person der Familie, die morgens früh aufstehen muss. Der Wert der Pünktlichkeit wird generell nicht gesehen, wir müssen sehr massiv werden, um klarzustellen, dass dies aus verschiedenen Gründen etwas zählt.

Klammer auf: Man lese nur das Blog  

www.frlkrise.wordpress.com  

, dann weiß man, was in der zehnten Klasse in vergleichbaren Verhältnissen so abgeht.

Wenn wir Lehrer da in der Grundschule auch noch anfangen, lässig zu werden....nicht auszudenken.

Aber ich bin jetzt da. Sie hat mich jetzt am Wickel. Ich hab ja damit angefangen, nun muss ich mir das auch anhören.
Ich versuche den Rückzug, sanfter, dann nicht mehr so sanft, zum Schluss recht brüsk.
Puuh, und jetzt klebt diese Auseinandersetzung, die ich nicht wollte, an mir.  Ich werde sie nicht los.  Na, vielen Dank!

Wie gesagt, heute war das Lehrersein nur der zweitbeste Beruf der Welt.

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