Samstag, 26. September 2015

Wer viel weiß, sieht viel.


Dieser Tweet gefiel mir vor Tagen besonders gut:


In unserer therapiebesessenen Gesellschaft werden Emotionen nur mit hochgezogenen Augenbrauen zugelassen und gehen nicht durch die Zensur, egal, ob sie berechtigt sein könnten oder nicht.

Adorno meinte einmal, dass die Menschen auf Emotionen so reagieren, als schwitze man und sei unsauber. Hier ist die Stelle, wo er diesen Komplex anspricht:


„Die intimsten Reaktionen der Menschen sind ihnen selbst gegenüber so vollkommen verdinglicht, daß die Idee des ihnen Eigentümlichen nur in äußerster Abstraktheit noch fortbesteht: personality bedeutet ihnen kaum mehr etwas anderes als blendend weiße Zähne und Freiheit von Achselschweiß und Emotionen. Das ist der Triumph der Reklame in der Kulturindustrie, die zwangshafte Mimesis der Konsumenten an die zugleich durchschauten Kulturwaren.“ Adorno: Kulturindustrie. in: Dialektik der Aufklärung.- Amsterdam, 1947 /Ffm: Fischer, 1969

Das Sympathische an dem Tweet eingangs war für mich, dass jemand darauf besteht, auf Sachverhalte mit Gefühlen zu reagieren.

Für mich ein Zeichen von, ja, Angemessenheit, Gesundheit, wenn man so will.
Wer zu ALLEM schweigt oder "cool" und unbeteiligt bleibt, der ist doch irgendwie nicht ganz richtig, oder?


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Dieser Tage fummelte ich an der Wandtafel herum, um das große Rechenbrett abzuhängen. Es ging nicht so einfach und dauerte. Während dieser Zeit blieb hinter mir in der Klasse alles sehr ruhig. Als ich das Ding abhatte, drehte ich mich um und traf auf eine ausnahmslos meine Aktivität still kontemplierende, tief versunkene Klasse.

Freundlich stellte ich das Ding auf den Boden und fragte sie: "Ihr habt jetzt sehr schön und entspannt zugeschaut. Ihr seid also gute Zuschauer gewesen.
Hätte es mit Euch auch noch anders gehen können?"

Zwei Kinder hoben die Hand, eine sagte: "Wir hätten Dir auch dabei helfen können."
"Exakt. Man kann sich auch mit hineinmischen."

Am Anfang der ersten Klasse half auch keiner mit, wenn jemandem etwas herunterfiel oder etwas schieflief. Stattdessen brach aber stets homerisches Gelächter über dem Unglücksraben aus.

Wenn ich da nicht ganz krasse emotionale Reaktionen gezeigt hätte, hätte sich da nichts geändert. Das brachte die Gruppe in die Schule mit, sie hatten vorher brav ihre Kita besucht. 

Nach zwei Jahren sind wir nun so weit, dass bei einer diffizilen Aktion durchaus anteilnehmendes Interesse gezeigt wird.

Dafür, dass Kinder hinspringen, wenn etwas drohen könnte, schiefzulaufen oder einfach nur, um zu unterstützen, brauchen wir bestimmt noch einmal zwei Jahre.

Zuvorkommenheit nennt man so etwas wohl; wenn es denn stattfände, Hilfsbereitschaft.



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Willkommen in der Gutenberg-Galaxis! Seit Jahren schleppe ich die geliebte Freinet-Druckerei mit mir herum, aber in der Klasse sitzen so viele Bedürftige, die Hälfte der Förderstunden fällt als Teilungsstunde aus und die Kolleginnen sind bestimmt nicht dazu zu motivieren, die Klasse zu übernehmen, während ich mit Kindern drucke oder gar umgekehrt? Sackgasse.

Minna fragte in der Bücherei nach, in unserer wunderbar tollen Bücherei mit vielen ehrenamtlichen Helferinnen -  ja, die Hilfe ist überwiegend weiblich, auch bei uns.

Fragte, erzählte von der Druckerei, fragte, ob vielleicht jemand, sich für das Drucken mit Kindern interessieren könnte....Ob wir da jemanden finden? Da muss jemand schon für brennen, sonst klappt das nicht.
Und das Wunder geschah: Karl meldete sich, seines Zeichens Schriftsetzer, er will es mal mit uns probieren. FreudeFreudeFreudeFreude!!!!!

Erst mussten die Lettern sortiert werden, dann die Rähmchen gesucht etc. Am Sonntag in aller Ruhe - die Schule lässt mich rein......nach zwei Stunden war alles geschafft. Karl schaute sich das am Ende der Woche an, war zufrieden und fängt kommenden Dienstag an, mit jeweils zwei Kindern zu drucken. Ich hoffe, es macht ihm auch Freude!





Es könnte ein Dauerprojekt werden, das übers ganze Schuljahr dauert. Jedes Kind setzt und druckt seinen kleinen Text und ein Bild dazu mit einem reproduktionsfähigen Verfahren. 

Hat jemand eine Idee? Linolschnitt ist eher etwas für 4. bis 6. Klasse, aber unsere Kinder sind mit dem Schnitzen eigentlich schon trainiert, wie man lesen konnte.

Linolschnitt würde gehen, wenn die Kinder das schaffen. Radierung? Pappdruck?
Dann könnten wir alles 60fach drucken, binden, einen schönen Umschlag herstellen und uns zum Schuljahresende damit beschenken....






So könnte es gehen. So ist es gedacht. Wir könnten auch im Technikmuseum nachfragen, ob wir dort noch etwas zum Thema drucken machen können. Sie haben dort eine Druckwerkstatt.

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Ihre familiäre sprachliche Sozialisation
ist türkisch und deutsch.
Sie hat es schwerer als andere Kinder
 und muss  zwischen beiden Sprachen
und Kulturen immer hin- und herzappen.
Ihre Texte sind klasse!


Wir schrieben viele Texte in der letzten Woche. Sie kommentierten das, was auf den Fotos zu sehen war und werden an einem Eltern-Kinder-Nachmittag nach den Herbstferien zusammen mit anderen schönen Dingen oder Vorführungen den Eltern vorgestellt werden.



Dieses Mädchen hat einen
arabischsprachigen familiären Hintergrund.
Sie macht das ganz prima auf deutsch!


Ja, Minna hatte am Montag frei, ließ die Schule fahren und rollte ....




.....raus aus der Stadt zu den Schäfchen nach Brandenburg. Dort holte sie sich die Ruhe und Gelassenheit, die sie die Woche über braucht.



Von den ehemaligen elf Schulschafen sind sieben Jahre später noch fünfe da: Nello, Thilus, Milli, Fleckchen und Paule Liebling.

Die anderen drei auf dieser Weide sind Assoziierte, sie kamen irgendwann aus irgendwelchen dringlichen Gründen dazu: Pony, Herr Weiss, Petit Criü.





Dann ist erstmal Powerkuscheln angesagt.




v.l.n.r:Thilus, Paule, Pony.

Und Weidenblätter Festfressen wie damals auf dem Hof der Schule.




Paul und Petit Criü sind die zwei Hochsensiblen in der Gang.




Plötzlich werden Distelsamen interessant, an denen man vorher interesselos vorbeiging. Goethe hatte Recht, als er sagte: 

"Wer viel weiß, sieht viel!"

Die Umkehrung stimmt natürlich auch.
Wir haben auf der Klassenfahrt gelernt, dass zum Feuermachen mit Feuersteinen Distelsamen und Rohrkolbensamen hervorragend geeignet sind, weil sie sich in trockenem Zustand schnell entzünden.

So nahm sich Minna gleich ein paar Distelsamen mit. Man weiß ja nie, wozu man sie noch braucht und einstweilen sind sie in unserem Naturalienkabinett im Klassenzimmer gut aufgehoben.





Dieser Kleine hier ist der letztadoptierte, eine lange Geschichte, wie es kam, dass er im Leben blieb!!
Er heißt jetzt Joris, der Erwählte, - frei nach Thomas Mann.
Sollte ihn jemand als Patenschaf finanziell unterhalten wollen, SEHR gerne!!! 30 Euro monatlich nimmt der Schäfer für die Pflege eines Pensionärs.

Auch das Ferienhaus ist nach längerer Zeit wieder zu vermieten. Interessierten gebe ich gerne die Kontaktdaten. Man schläft direkt neben der Weide und hört die Schafsglöckchen bimmeln....




"Papageienkuchen" nannte Pauline ihren
mit der Mutter zusammen gebackenen Kuchen.
Sie wollte mit der Klasse ihren Geburtstag nachfeiern.
Danke!! :))




Wir übten auch die Schreibschrift. Manche können sie schon, andere müssen es noch schaffen. Pavel sagt nach einiger Zeit: "Ich bin schon auf Level 3!" Er meint die dritte Tafelseite.





Sakina, Erzieherpraktikantin und ehemalige Schülerin, hat mit einer Kindergruppe diesen Kuchen gebacken!





Die Aquarienfrage war noch nicht gelöst. Es gab in der Klasse zwei Aquarien, eines mit den Black-Molly-Weibchen, so ca. 20 waren es plus einiger Restneons, die aus Stressgründen immer weniger wurden - und das Männerheim mit ebenfalls etwa 20 Black Mollies.
Eindeutig zu viele Fische. Beharrliches Nachfragen führte zu einer positiven Antwort in einem Zoogeschäft.

Am Dienstag - mit schwerem Herzen: Man weiß ja nicht wirklich, was mit den Tieren passiert, wenn man sie wieder in die Verwertungskette gibt - leerten vier Kinder und Minna die beiden Aquarien bis auf etwa 10 cm hohen Wasserinhalt, fischten die Black-Mollies heraus und setzten sie in je einen Eimer.




Dieses war der Fraueneimer. Von den Frauen ließen wir insgesamt noch etwa sechs Black Mollies bei den vier Neons zurück. Das Männerheim legten wir still.


Dann ging es mit den zwei Eimern mit der U-Bahn zum Zoogeschäft. Dort gaben wir unsere Fische ab und nahmen die Pflanzen wieder mit.





Der Druck durch die hohe Population war nun weg. Etwas, das befreiend wirkte.




Im großen Aquarium ist es nun viel ruhiger und beschaulicher, es macht viel mehr Freude zu beobachten. Hat sich gelohnt! 





Wir wählten noch die KlassensprecherInnen.

Dann bereiteten wir unsere kleinen Vorträge über Themen aus der Klassenfahrtswoche vor.




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Schule kann sehr belastend sein. Hier ein sehr guter Artikel auf Spiegel-online: Burn Out und Erschöpfungsdepressionen bei Kindern

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Die Wortfamilie "fahren" war ein Thema bei den "Wörtern der Woche", das sind die, die wir rechtschriftlich können sollten / wollen.




Thank God, it was Friday!!!! Schönen Sonntag noch und bis dann!

Eure Minna, die sich freut, wenn  Eltern, vielleicht mit Kindern oder Lesepaten, das hier lesen. 

Aber auch:
Danke allen denen, die von Twitter kommen, fürs Interesse! <33


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