Freitag, 1. März 2013

Typisch Conny

Aiie, aua, das tat weh! Der Morgen beginnt mit der Begutachtung einer Verletzung, die gestern in der freien Zeit auf dem Hof angebracht wurde. Das muss ganz schön weh getan haben! Bei der Klärung wird meine Hilfe anscheinend nicht gebraucht. Es sei schon geredet worden - okay, muss mich nicht in alles einmischen. Aber Verletzungen fotografiere ich stets, sozusagen als Beweis. Da hatte sich jemand richtiggehend verkrallt.





Seit heute arbeite ich im 38. Jahr. Als ich den Kindern sagte, am 1.3.1976 habe ich angefangen, als Lehrerin zu arbeiten, sagt Peter uncharmant: „Vor achtzig Jahren“, und ich verzichte auf weitere Erörterungen zu diesem Thema.
Ab jetzt beträgt die Arbeitszeit in meinem Leben weniger als drei Jahre. Es wird übersichtlich. Dass ich mich mit meiner nachschulischen Zeit beschäftigte, galt für mich lange nicht, eigentlich kenne ich das erst seit etwa zwei Jahren, als es anfing, mit meiner Gesundheit bergab zu gehen und als das Teilzeitmodell für ältere Lehrer vom Senat weggekürzt wurde.

Hab immer über die anderen gelästert, innerlich, die schon in jüngeren Jahren über ihre Pensionen redeten, fand das immer etwas obszön.

Über meine Pension rede ich immer noch nicht, aber ich schaue, dass das Geld später auch reicht. Meine Schulschäfchen müssen auch mitkommen und die fressen pro Monat schon 300 Euro weg, dann haben sich noch ein paar dazugemogelt, und die erfreuen sich für 150 Euro ihres Lebens.
Dafür komme ich dann bestimmt in den Schafhimmel, wenn es soweit ist, ich freu mich schon darauf! ;)

Im Moment rechnen die Schüler an ihrer Klassenarbeit, wir haben alles besprochen, nun sind sie „dran“.

Immer wieder denke ich mir: Warum schreibe ich das alles auf? Schreibt jemand, der in einer Firma arbeitet, immer alles auf?? Ist das nicht lapidar und überflüssig, was ich hier mache?

Dann kommt mir der Gedanke, dass Schule ja auch ein wichtiger gesellschaftlicher Raum ist und dass Einblicke jenseits der mainstreamigen „Hof“berichterstattung, wie man sie bei einigen Berliner Tageszeitungen so findet, vielleicht auch tauglich sein könnten für den einen oder die andere, sich einen Eindruck zu verschaffen.

In jedem Leben vermischen sich die so genannten subjektiven und objektiven Aspekte, und unsere Generation trat an, um zu unterstreichen, dass auch das scheinbar nur persönliche/subjektive Empfinden höchst gesellschaftlich/politisch sein kann.

Also das, was sich z.B. in einem gesellschaftlichen Raum wie der Schule vollzieht - nach dem Wegfall der Systemkonkurrenz des Kalten Krieges, wo der Kapitalismus, der sich jetzt auch so nennen lässt, allein übriggeblieben ist, allein herrscht, wo der Sozialismus durch die Erfahrungen mit seiner erlebten Form diskreditiert ist - immense Veränderungen seitdem und es geht immer weiter und ich denke, es geht vollends in die falsche Richtung weiter. (Die Denke der "Quants", der Quantifizierer) Aber dieser Satz weiß hinten nicht mehr, wo er vorne losgesprungen ist.

Das alles reicht hinein bis ins Innerste der Menschen.

In meiner Jugend war das Wort „Reform“ etwas ganz Positives. Wenn etwas reformiert wurde, dann wurde es anschließend besser für die Menschen. Nach und nach bekam das Wort sozusagen Würmer und fing an, faul zu riechen: Immer, wenn einer „Reform“ sagte, wurde etwas schlechter als es vorher gewesen war.

So viel über die Wandlung eines Wortes. Wörter stehen nicht wie Steine in der Landschaft, sie verändern sich, wenn sich die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in die diese Wörter gestellt sind, verändern. Selbst Steine verändern sich... Deshalb ist es sicher angemessen, diesen Rahmen mitzubedenken.

Natürlich gibt es Leute, die das nicht wollen. Das sind die Leute, die wollen, dass man nicht nachdenkt. Sie wollen auch, dass wir glauben, dass Wörter sozusagen Naturgegebenheiten sind. So werden wir wehrlos gemacht, wenn wir das glauben.

Die Naturalisierung gesellschaftlicher Gegebenheiten dient politischen Zielen. Wer weiß, dass sich Verhältnisse entwickelt haben, weiß auch, dass sie veränderbar sind. Darin liegt Hoffnung.

Ich habe das während der Mathearbeit meiner Schüler geschrieben. Alles war erklärt und man durfte trotzdem noch fragen.

Durfte ich das??

X weint. Er schafft es nicht. Er sagt immer: „Ich weiß.“, wenn man ihm etwas erklärt. Bekommt er Aufgaben, spielt er herum, er hat dann nach einiger Zeit etwa ein Zehntel dessen an Übungen bearbeitet, was andere geschafft haben. Er hat kein realistisches Selbstbild und deshalb subjektiv, innen drin, keinen Grund, etwas zu ändern. Er hat aber Angst davor, seiner Mutter ein schlechtes Ergebnis zu präsentieren. Denn seine Mutter möchte, dass er aufs Gymnasium geht. Ich hätte ihm zwei oder drei Jahre seelische Reifung gegönnt, bis er mit seiner Empfindungswelt auf die Höhe seiner Verstandespotenziale gleichgezogen hat. Doch das wird ihm leider nicht zugestanden.

Y sagt: „Ich hab doch immer alles gekonnt. Auch Hans sagt, ich bin gut in Mathe, und jetzt weiß ich nicht, was ich rechnen soll. Ich hab alles vergessen.“

Z sagt: „Ich kann das, aber um 8 oder 9 Uhr, das ist zu früh für mich, da bin ich noch müde.“

Nachfrage bei der Klasse. Viele wirken erschöpft, möchten eine Pause. Wir haben jetzt eine halbe Stunde gerechnet. Wir machen die Pause, machen etwas Anderes, nehmen die Hofpause noch dazu. Ich sammele die Blätter ein, in der 3. Stunde geht es weiter.

Das Problem sind die Art Aufgaben, die nicht nach einem eingelernten Schema F abgehandelt werden, sondern die eine Art Algorithmus erfordern, einen Lösungsweg in einzelnen Schritten, den man selbst wählen und gehen muss. Hier liegt das Kardinalproblem.

Zum Beispiel: Schreibe 12/15 als Dezimalbruch! Hier musst Du erst einmal durch 3 kürzen, dann ergibt sich 4/5, dann erweitere mit 2, es ergibt sich 8/10, das kannst Du jetzt als Dezimalbruch schreiben: 0,8. Fertig. Ist das sooo schwierig?

Hier liegen bei vielen Kindern die Schwierigkeiten. Selbst, wenn wir es oft geübt haben, wenn man dann plötzlich auf sich gestellt ist, den Lösungsalgorithmus zu entwickeln, scheitert man. Schade eigentlich, denn die Kinder sind nicht unintelligent.

Vielleicht wäre regelmäßiges Schachspielen hilfreich, mit dem man schon ab der 3. Klasse begönne...

Gestern ein Gespräch mit dem Kollegen der anderen 6. Klasse. Er sagte: „Sie haben alles vergessen, selbst wenn sie intelligent sind. Dann müssen wir es wieder „anwärmen“, es entwickeln, gemeinsam daran arbeiten, dann „kommt“ es wieder und dann können sie es wieder. Einige Zeit später: Das Gleiche.

Die erarbeiteten Inhalte haben die gedanklichen Strukturen nicht wirklich erfasst, verändert, umgebaut, es ist „irgendwo“ und "irgendwie" vorhanden, diffus, aber nicht aktiv verfügbar.

Ich sage jetzt einmal etwas Häretisches: Früher machte man Hausaufgaben. Man musste nachmittags noch einmal gedanklich da hindurch, was man am Morgen gelernt hatte. So festigte sich vieles und stand dann später aktiv zur Verfügung.

Heutzutage sind die Kinder bis 16 Uhr in der Schule. In den Freizeitstunden machen sie keine Hausaufgaben, mit wem auch? Eine Erziehern pro Gruppe, dann wuseln alle herum und dann machst Du mit einigen Hausaufgaben? So geht es nicht. Machen alle Hausaufgaben in der Freizeit, ist es verlängerte Schulzeit. Hier der Plan. Soo viel Freizeit ist es auch nicht..





X kommt und fragt: „Mein Cousin sagt immer: Auf dem Gymnasium gibt es keinen Tag, an dem Du die Bruchrechnung nicht brauchst. Stimmt das?“ Ich bestätige es ihm. Er meint: „Dann muss ich jetzt wirklich dafür sorgen, dass ich das alles verstehe“, geht zu seinem Platz, schlägt das Rechenbuch auf und schon ist er in seinen Aufgaben versunken, während alle anderen jetzt nach der Pause erfrischt und ausgeruht ihre Rechenarbeit weiterschreiben. Nach fünf Minuten träumt er aber schon wieder...

Mesut braucht nur einen mittelkleinen Hinweis, dann gelingt es ihm weiterzuarbeiten und es fällt ihm alles wieder ein....

Vielleicht wird aus der Arbeit ja doch noch etwas. Dabei haben wir in den letzten Wochen doch soo gut gearbeitet!

Ich muss mir die letzte Arbeit meines Kollegen einmal besorgen, hatte ihn gestern schon gefragt, er rückte sie nicht gleich heraus, dabei ist die Nachbarklasse viel weiter als wir! Aber ich finde meine Klassenarbeit eigentlich nicht zu schwer.

Hier sind Bilder, die die Klasse beim Kollegen Lars gemalt hat:



Sie haben der Dame Tiere  in den Schoß gemalt..."Was hat sie denn da, wo das Fragezeichen ist, in echt?", frage ich. Mich reitet der Teufel. "Keine Ahnung", ist die Antwort. "Er will es uns nächste Woche sagen."-"Und? Meint Ihr, man kann es auch selbst herausfinden?" Jetzt beißen sie an, werfen den Computer an, alle stehen davor. Wir überlegen, welche Suchwörter geeignet sein könnten. Nach einigen Versuchen, von mir ein wenig gesteuert (das Wort Schoß war nicht bekannt gewesen)...




...ist das Original identifiziert: "Es ist ein Marder, ein Frettchen", schreien alle. Suchwörter: Malerei, Dame, Schoß, Tier.

 


Es ist die "Dame mit dem Hermelin" von Leonardo da Vinci. Hoffentlich ist Lars nun nicht verärgert, aber es war zu reizvoll, die Kinder darauf anzusetzen. Immerhin haben alle ihr Bild fertig gemalt, sonst hätte ich's überhaupt nicht so machen und ihm da hineinfunken dürfen.
Aber ich wollte den Kindern so gerne zeigen, dass man etwas selbst herausfinden kann, wenn einem jemand Informationsgrenzen setzt und dass man auch auf eigene Faust nach Informationen graben kann. 
Die Schneckenhäuser im Essigglas wirken intakt. Aber, wenn man sie anfasst, fühlen sie sich an wie Gummi, ganz gruselig. Der Kalk ist weg, aber die Form ist noch erhalten. Das ist vielleicht Horn? Der Kalk müsste jetzt im Essigwasser sein.
Interessant wäre es, das Wasser verdampfen zu lassen und sich anzuschauen, was unten im Glas übrig bleibt.
Wenn das Zeug am Montag nicht stinkt, dann machen wir das. 
In der Mensa erhalte ich einen schönen Teller "Chili sine carne", die Vegi-Variante des Tagesessens, und es schmeckt sehr gut!



Um 12 Uhr hatte ich noch zwei Kinder beim Filzen da. Es hat einen Riesenspaß gemacht! Die beiden waren so begeistert bei der Arbeit dabei, zuerst beim Kämmen, dann beim Filzen, dann beim Walken....die Zeit verging wie im Flug.








"Das ist Connys Wolle, hier, seht Ihr? Typisch Conny ist das." Ich zeige auf die extrem wellige Locke. "Typisch? Was heißt typisch? ", fragt Derya. "Na, dass man die Wolle daran erkennen kann, dass sie von Conny ist." In der Folge sagen Jonas und Derya, die beide befreundet sind und wunderbar zusammen arbeiten: "Ich hätte gern noch ein bisschen 'Typisch Conny'." Oder: "Gib mir mal bitte noch 'Typisch Conny'." Das wird zum geflügelten Wort, und so verbringen wir eineinhalb Typisch-Conny-Stunden, die uns allen dreien großen Spaß gemacht haben.




"Typisch Conny" eben, die Locken. Ne.



Conny, * 1996

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