Mittwoch, 9. Januar 2013

Respektierst Du sie?

Es ist der dritte Schultag, und schon bin ich krank? Wie ist das zu erklären? Das will ich nicht. Die Nacht war schlimm. Irgendwann stellte ich den Wecker, der sonst auf 5 Uhr morgens steht, aus.
Mittwochs muss ich erst kurz vor 10 Uhr da sein.

In der Schule erfuhr ich, dass es da einige Menschen gibt, die über die Weihnachtsferien genau diese Art von Hustenerkältung durchlitten haben. Ist es das warme Wetter? Lässt es die Keime explodieren? Aber früher konnten alle schnaufen und schniefen, und ich wurde nicht krank.
Ich ernähre mich gesund, gehe früh schlafen, habe auch ein bisschen Spaß hier und da, und trotzdem erwischt mich die erste Erkältung, die man kriegen kann. Sehr, sehr blöd.
Gleich wieder Überlegungen in der Art: Wie bekommst Du ein wenig Schonung hin, ohne, dass alles zusammenbricht, ohne dass andere viel vertreten müssen.

Heute war ich da. Sprach mit dem Konrektor, der die Vertretungen macht. Wenn ich morgen fehle (Ich habe nur drei Stunden) und die Kinder kommen zur dritten Stunde? Das entlastet die Kinder und die Kollegen. So machen wir es. Dann geht es am Freitag vielleicht schon wieder?
Zwischendurch muss ich aus dem Zimmer raus und husten, so stark, dass ich hier nicht erzählen möchte, was ich dabei befürchte.

Die Schüler sind sehr verständnisvoll und sehr arbeitsam. Man muss das anerkennend sagen. 

Wer füttert morgen die Fische? Lucy. Wenn Lucy fehlt, Fereba. Am Freitag Ali. Die eine Schulleiterin hat wegen des Hospitationstermins für die Klasse noch nicht zurückgerufen. Fünf Elternzusagen für Übergangsgespräche sind in den Kalender einzutragen.

Ich kopiere mir die letzten Zeugnisse, um die Noten vor Augen zu haben. Damit keine Notensprünge passieren. Notenlisten habe ich meiner Lebtag nicht geführt. Bei mir ist das immer ein Sammelsurium aus Einzeldaten, die ich aufwendig zu einem Ganzen sichten muss. Klar, die Klassenarbeiten gehören da auch dazu. Aber auch die Dichte der mündlichen Beteiligung, die Qualität der Beiträge, die Ausdauer, Kooperationsbereitschaft und, schließlich, die äußere Form schriftlicher Arbeiten.
Daraus entsteht dann bei mir eine Note.

Man ist nicht gefeit vor Augenblickseindrücken, daher die Zeugniskopien.

Anschließend, wenn ich die Noten habe, dann spreche ich mit dem Kind darüber. Kinder sind Realisten. Sie schätzen sich in der Regel schon richtig ein. Wenn da eine sehr große Diskrepanz ist, dann ist das schon ein Anlass zum Nachdenken. Außerdem kennen alle ihre Noten dann vor dem Zeugnistag. Es kann keine schlimmen Überraschungen mehr geben und meine Schüler werden das senatliche Zeugnistelefon sicher nicht benötigen.

Das heißt nicht, dass wir demokratisch abstimmen. Doch möchte ich alles offen legen und sehen, ob Verständnis da ist oder ob das Resultat als ungerecht empfunden wird.
Dann ist mir auch wohler, und so haben wir es immer gehalten.

"Tobi, na, wie hast Du geschlafen?" Er lächelt gequält. Er hat schlecht geschlafen. Ich werde das jetzt lassen mit diesem Notenmachen bei jeder kleinen Sache. Doch als er es weiß, ist sein Fleiß anschließend etwas erlahmt. Trotzdem. Der Junge steht zu sehr unter Druck.

Mario geht es schlecht. Fieber hat er keines. Er will weiter mitmachen, sagt, dann vergeht die Zeit schneller, weil er seine Mutter auf ihrer Arbeit nicht mit einem Anruf zum Abgeholtwerden stören möchte. So bringt er sich durch den Tag. Manchmal liegt sein Kopf auf dem Tisch, er schnauft oder singt Töne. Nebenbei zerschnippelt er hörbar ein Lineal. Die anderen stellen ihm hin und wieder Fragen nach seinem Befinden, und sogar Emmely zeigt eine Engelsgeduld.

Cherry beschwert sich: "Bastian hat mir meinen Stuhl weggenommen, er sagt, es sei seiner, aber ich erkenne ihn, es ist meiner." - "Bastian, hast Du Cherries Stuhl genommen?" - " Ist doch egal," ballert er zurück, "die sehen doch alle gleich aus." "Gut, gib ihr den Stuhl und nimm einen anderen. Ist doch egal. Sie sehn ja alle gleich aus." Er schmollt ein wenig und gibt den Stuhl zurück.

Marie ist dem Weinen nah: "Ali sagt, ich hab im Islamunterricht nichts verloren, ich soll wegbleiben. Peter sagt das auch." Also kleine Versammlung. Marie ist so sauer, dass sie sich mit den beiden nicht auf eine Bank setzen will. Sie bleibt stehen. "Na ja, Peter war nicht so schlimm, aber Ali, das geht schon seit vor den Ferien." - " Ich hab nichts gesagt, die ganzen Tage jetzt nichts." - "Aber vorher?" - "Hm ja vorher schon." "Und warum?" "Weiß nicht." "Ist es nicht gut, wenn Marie, ohne selbst Muslima zu sein, sich für den Islamunterricht interressiert und Frau Özgün sie mit dazunimmt?" - "Ja, schon..." "Marie befürchtet, dass Du jetzt weitermachst." "Nein, ich mach nichts mehr, ich mach bis zum Sommer gar nichts mehr." "Respektierst Du sie?" - "Klar respektiere ich sie."
"Dann sag ihr, dass Du sie respektierst." "Waas?" "Dass Du sie respektierst. Dass Du sie nicht mehr demütigst oder schlecht mit ihr redest." Er zögert. Lange. Der Begriff des "Respekts" ist anscheinend so besetzt, dass es ihm sehr schwerfällt, ihn gegenüber Marie einzusetzen. "Sag, dass Du sie respektierst." --- "Ich respektiere Dich." "Gut, wir werden dann sehen, ob das wirklich so ist." Gespräch beendet. 

Bevor der Unterricht überhaupt beginnt, kommt Ali in den Wollraum.
Er ist wieder da und erzählt. Er hat sich zu Hause hingelegt, nachdem er gestern  abgeholt worden war und stundenlang geschlafen. Danach war ihm besser. Am Abend tat es noch etwas weh im Bauch, aber heute früh war er schmerzfrei. Prima! Er wirkte gestern so, als ob die Schmerzen eher seelischer Natur gewesen seien.

XX erzählt,  jetzt ist da eine Frau, sie kommt nach Hause und hilft  Sachen entscheiden und so. Sie kommt auch zu dem Treffen, was wir bald haben. Toll! Die Dame vom Amt, die sich sehr nachdrücklich für eine Therapie eingesetzt hat, sie ist wirklich sehr gut.  Die Familie hat es sehr schwer, es gibt einen seit Jahren stalkenden, sie bedrohenden und beschimpfenden Vater. Das geht allen fürchterlich an die Substanz, sie fühlen sich seit Jahren bedroht. Er hat ein Kontaktverbot, hält sich aber nicht daran. Dass eine Frau den Kontakt zu dem Mann, mit dem sie mit sechzehn verheiratet wurde, abbricht und sich auf eigene Füße stellt, weil er sie und die Kinder jahrelang geschlagen und tyrannisiert hat, hat im Vorstellungsuniversum dieses Mannes keinen Platz.

Im Kreis lesen wir einzelne Geschichten von gestern und sprechen darüber, was gut ist und was man sprachlich verbessern könnte. Eigentlich schreiben alle sehr gern. Einige werden fertig und spielen ein Spiel im Nebenraum, Gabriele hilft Pablo ein wenig, bis er eine ganze Geschichte geschrieben hat.

Vorher hatten wir uns ins Thema "Ägypten, eine Hochkultur" eingeführt. Zur Hochkultur gehören Schrift, Verwaltung, ein Staat und die Wissenschaft, hier gibt es viel im Gespräch zu klären.

Vorgeschichte heißen die Zeiten, von denen wir keine Schriftzeugnisse haben. Staat und Verwaltung, die Begriffe muss man auch erst einmal verstehen. Wir tasten uns da ran. Pyramiden, Mumien usw. Schon ist die Stunde vorbei.

Mesut ist wieder da. Ich bin gespannt, ob die folgenden Tage, auch bei der Freizeit, genauso harmonisch verlaufen wie die letzten. Auf dem Gang ist mehrfach zu sehen, wie er sich Kinder aus anderen Klassen unter die Achsel klemmt und ihnen, wie ich finde, zu nahe tritt. Doch hat sich noch keiner beschwert.

So schnell wie möglich verlasse ich nach dem Unterricht das Schulhaus. Nur schnell nach Hause, und dann bin ich hoffentlich am Freitag wieder "fit".

1 Kommentar:

  1. WOW,dann vielleicht bis Freitag.Schau mal in meinem Blog vorbei,ich schreibe gerade,dauert noch,bleib aber aktiv auf meiner Seite.Falls du zu schwach bist,dann entspann dich mal lieber.....♥

    Gruß Cherry☻

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