Freitag, 4. Dezember 2015

Meine Gespräche Teil 3

Nun wollte ich noch erzählen, wie es mit der Konfliktgeschichte weiterging:

Ein Gespräch mit den betroffenen Kindern und einigen, die dabeigewesen waren, ergab einige Unstimmigkeiten. Die Kinder der Klasse waren sich ganz sicher, dass bestimmte Worte, die die Sechstklässler vehement abgestritten hatten, gefallen waren.
Ich wollte die Kleineren aber nicht Auge in Auge mit den großen Jungen konfrontieren, weil beim Versuch der Klärung auf diese Weise neue Reibungsflächen entstehen könnten, die Emotionen freisetzen, die dann zu weiteren Nickligkeiten den Kleineren gegenüber führen.

Ist das schon Appeasement? 

Ich meine, nein, wenn man insgesamt eine Struktur anlegt, die einen Rahmen für die drei Jungen ergibt: Ein weiteres Fehlverhalten führt zur Bestrafung der alten und der neuen Verhaltensweisen, die alten liegen sozusagen auf Eis. Schwamm drüber, wenn nichts passiert, aber...

Dies musste ich den Jungen noch deutlich machen.
Dafür lud ich sie zu einem gemeinsamen Abschlussgespräch ein, machte ihnen alle Details der Situation noch einmal klar und übergab ihnen ein Schreiben in Briefform, in dem das nochmal alles festgehalten war.

Sie wollten als erstes wissen, ob sie das ihren Eltern zeigen müssen. Nein. Ob das in die Schülerakten kommt. Nein. Zunächst nicht.

Y fing an zu lachen und brach ein bisschen aus der Situation aus. Ich fragte nach, was sein Lachen bedeute.
Er gab eine ausweichende Antwort, die ich nicht verstand. Die beiden anderen verhielten sich in dieser Situation sachlich und angemessen.

"Was sollen wir mit dem Brief machen?" - "Lesen und die Gedanken darin aufnehmen. Wenn Ihr verstanden habt, was die Kinder und ich jetzt von Euch erwarten, werden wir hier nicht mehr zusammensitzen."

Freundliche Verabschiedung.

Hier ist der Brief:


4. Dezember 2015

Lieber D...n, lieber A..n, lieber B...k,

vor einer Woche gab es auf dem Schulhof diese schwere Auseinandersetzung zwischen Euch und manchen Kindern der 3 c.

Ihr habt danach Eure Zeit gegeben, damit wir manches klären konnten. Vielen Dank dafür!

Manches konnten wir nicht klären, z.B., ob bestimmte beleidigende Wörter von Euch gesagt wurden oder nicht.

Ich wollte nicht die kleinen Kinder Euch zum Reden gegenübersetzen, sie hatten ein wenig Angst davor.

Aber ich glaube, dass Ihr verstanden habt, dass man sich kleinere Kinder nicht als Streitgegner nimmt. Da bin ich mir recht sicher. 

Vielleicht seid Ihr in Zukunft, die Kinder der 3 c und Ihr, auch aufmerksamer miteinander und merkt mehr voneinander, so dass es zu solchen Sachen dann nicht mehr kommt.

Zu Dir, D...n: Du hast M...a geschubst, aber er hing auch an Dir dran, weil er P...t helfen wollte. Das hätte er nicht machen sollen. Er hätte wegen P...t Hilfe holen sollen.
Trotzdem versuche, weniger heftig zu reagieren, wenn ein Kleinerer an Dir dranhängt....

Bei Euch, A..n und B...k, da glaube ich, dass Ihr zwei Sachen gemacht habt, die wirklich nie sein sollten: Die Frisur eines anderen Menschen heruntermachen und auch die Hautfarbe. Jeder Mensch ist vom anderen verschieden und jeder ist gleich viel wert und hat ein Recht, froh und unbeschwert und glücklich durch sein Leben zu gehen.

Ich habe mich gefreut, dass wir uns so ernsthaft unterhalten konnten.
Sollte es für Euch in Zukunft so sein, dass Kinder aus der 3 c sich nach Eurer Sicht blöd verhalten, dann verzichtet auf solche Wörter und kommt gleich zu mir.
Ich nehme keinen in Schutz, der andere beleidigt, egal, wer das ist.

Insofern glaube ich, dass wir diese Sache in eine ganz gute Richtung bekommen haben, auch wenn wir nicht alles klären konnten.

Viele Grüße CBN

Diese Vorgehensweise war von den Kindern der 3 c in dem gemeinsamen Gespräch vorher akzeptiert worden. Kinder sind Pragmatiker.
Mich würde noch interessieren, ob die Eltern der angeriffenen Kinder mit diesem Vorgehen einverstanden sind.
Vielleicht hätte ich das nochmal zwischenchecken müssen.

Aber, wie gesagt: Es ist auch ein Zeitproblem. Niemand in diesem Schulbetrieb stellt Zeit für Dialogisches zur Verfügung. Wenn man das macht, ist es so wie Hobby...

Ich bin gespannt, wie es weitergeht, und ob die Verhältnisse nun befriedet sind.

Ein Zweifel bleibt, da die innere Unruhe der angreifenden Jungs ja außerhalb unserer Situation entsteht und fortdauert. Es kommt darauf an, wie sie mit ihrem Selbstbild und ihren Frustrationen umgehen und ob sie, aus welchen Gründen auch immer, sich dafür entscheiden, DIESE Kinder in Ruhe zu lassen....

Meine Konfliktgespräche haben einen Angelpunkt, den ich in dem Kapitel "Elemente des Antisemitismus" der "Dialektik der Aufklärung" von Horkheimer/Adorno so deutlich und richtig ausgeführt sah wie sonst noch nirgends:

Wenn jemand sich ein Opfer sucht und jemanden zum Opfer machen will (Das Wort ist sinnigerweise auf Schulhöfen außerordentlich verbreitet...), dann hat das NICHTS mit dem zufällig ausgewählten Menschen zu tun, sondern IMMER mit dem Angreifer, den man insofern fragen kann:

Was stimmt mit DIR nicht, dass Du DAS nötig hast?

Das finde ich den Dreh- und Angelpunkt : Was ist mit Dir los, dass Du es nötig hast, Dein Selbstgefühl zu steigern, indem Du jemand Anderen klein machst???

Die Angegriffenen fragen sich ja immer: Was stimmt mit mir nicht, dass er sich mich ausgesucht hat?
Falsche Frage. Das ist immer die erste Botschaft an die Angegriffenen. 

Und auch an die Angreifer: Wenn Du jemandem Leid bereitest, bist Du das Problem und da schauen wir genau drauf. Da gibt es keine Ausflüchte, keine Entschuldigung.

Das wäre zum Beispiel Phase 2, wenn durch ein neuerliches Fehlverhalten eine Serie entstünde...

Die Lehrerin der Drei bekam eine Kopie des Schreibens zur Kenntnis und zur Aufbewahrung. Sie hatte sich gewünscht, dass eine Strafe erfolgen würde.
Ich wollte aber, dass die Kette der Frustration gemildert würde. Strafen können wir immer noch, wenn das hier nicht die erwünschten Folgen hat.


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