Freitag, 27. November 2015

"Meine" Gespräche Teil 1

Meine Gespräche stehen von offizieller Seite unter einem Luxusvorbehalt. Man muss sie nicht führen, sie sind in der Arbeitsplatzbeschreibung nicht so vorgesehen, dass für sie Zeit eingeplant wäre, bezahlte Zeit. Da die nichtgesprächlichen Aufgaben sich so kumulieren, dass eigentlich für so etwas keine Zeit bleibt, sind sie eine Art Hobby, eine Art Luxus, den man sich erlaubt und der die eigene, zur Verfügung stehende persönliche Zeit, einschränkt oder die Ruhephasen, wenn man die Gespräche in den Pausen hält.

Die ganze Krux ist eigentlich, dass die Arbeitszeit der Lehrer*innen nicht festgelegt ist. Kämen wir morgens an einen für Erwachsene ausgestalteten Arbeitsplatz und würden wir den um 16 Uhr wieder verlassen, dann sähe es um die Erfüllung aller Aufgaben, die uns einfach so auf den Rücken geschoben werden "Lauf, Esel, lauf!" sehr schlecht aus.
Es würde sich immer mehr Unerledigtes anhäufen. Und das würde endlich mal ins Auge springen.

Das häuft sich jetzt auch an, aber in meiner Seele, und so merkt es ja keiner und vor allem die nicht, die es nicht merken wollen, die Arbeitgeber.
Also führe ich, für meine Arbeitgeber kostenneutrale, Konfliktgespräche. Schön für sie. Ist ihnen aber auch wurscht. Mir aber nicht. 

Natürlich kommt jetzt das Ferienargument. Wir haben 12 Wochen Ferien. Ich rechne jedoch meine   Jahresarbeitsstunden in 40 Wochen hinein, das heißt, ich leiste die Arbeit jedes Arbeit"nehmers" von 46 Wochenstunden, aufs Jahr betrachtet, ab. Ich weiß, wo die Grenze liegt, ab da ist der Rest dann mein so genanntes Hobby.

Also die Gespräche: Am Donnerstag dieser Woche kommen viele Kinder meiner Klasse zu mir gelaufen und sind empört und wollen mir was erzählen.
Ich wollte eigentlich schon gehen, war schon auf dem Weg, doch höre ich ihnen zu. Einträge ins Beschwerdebuch. Es ist ist so viel, dass ich es notiere:

Einer wurde schwer geschubst, fiel mit der Wange auf den Boden. Er fehlte am Freitag....

Die Zweite wurde rassistisch allerschwerst beleidigt. Der Dritte wurde selbst auf verschiedene höchst ekelhafte Weise schwerst beleidigt und seine Mutter ebenfalls. Man ahnt, welche Wörter da gefallen waren.

Drei große Jungs aus der 6. Klasse sollten das gemacht haben.
Wie geht man da vor?

Zunächst besuchte ich deren Erzieherin noch am Donnerstag und kündigte Gespräche an. Die Jungen waren auf dem Hof, die Erzieherin in der Klasse, aber andere Kinder hörten zu. So war garantiert, dass die drei Jungen es am noch gleichen Tag erfuhren, sie sollten ein wenig "schmoren".

Am nächsten Tag stellte ich mich bei der Klasse ein und sprach mit der Lehrerin. Der eine Junge kam vorbei. Ich sprach ihn an und konfrontierte ihn mit dem Vorwurf. Er, ganz ganz cool : Das stimmt nicht, ich habe nichts gemacht. Ich: Ich habe Zeugen. Er: Ich auch.

Das ist der Punkt, wo ich laut werde, noch auf dem Gang. Ich fühle mich als Lehrerin von ihm schlecht behandelt und das lasse ich mir nicht gefallen. So sage ich es ihm, mit diesen Mätzchen kriegst Du mich nicht von der Backe!

So ähnlich. Ich bestellte ihn zur 1. Pause in meine Klasse ein. Scheiße, keine Erholung, aber es muss zeitnah sein.
Und Taktik: Wenn er zu mir kommen muss, ist es für ihn weniger bequem als umgekehrt. Auf dem Weg in eine andere, ihm nicht so vertraute Umgebung kommen ihm vielleicht ein paar Gedanken..

Solche kleinen Dinge sind extrem wichtig, leider. Auch, sich die Mühe zu machen, die drei jeweils allein zu sprechen. Gemeinsam blocken sie ab. Die Zeit könnte ich mir sparen.
Ich sehe aber, dass er nun mit Tränen kämpft. Er steht wohl sehr unter Druck und ich versuche gleich, die Luft rauszulassen, werde versöhnlich, bitte ihn nun um ein offenes vernünftiges Gespräch nachher. Wir lächeln uns an. Puuh.
Erste Stunde.

Nach der zweiten Stunde steht er da. Wir setzen uns ins leere Klassenzimmer. Er möchte schildern, wie es war, und ich höre ihm zu. Da ich immer so vergesslich bin, schreibe ich mit.

Es fing an mit einem Ballwurf auf ein Eichhörnchen, das schon recht zahm wirkte in den letzten Tagen und die Kleinen wollten das Eichhörnchen schützen.

"Weißt Du, sie mögen Tiere gern," sage ich. "Ich auch," meint er. Der erste entspannende Moment. Der Druck geht raus aus dem Gespräch. Wir stehen auf dem gleichen Boden.

Es wird besser. Er räumt ein, dass er M. geschubst habe, aber nicht doll.
Immerhin war M. hingeflogen, heute fehlt er. Das hing mit dem Schubsen zusammen.

Wir reden noch über den Unfallbericht und dass die Unfallkasse da immer nach einem Verursacher fragt. Wenn man den Verursacher des Schadens angibt -Arztbehandlungen kosten viel Geld - und wenn jemand sozusagen schuld war, dann können die zu demjenigen oder seinen Eltern hingehen und sagen:Du bezahlst das und nicht das Land Berlin.

Ich finde es richtig, einem Zwölfjährigen solche Zusammenhänge klarzumachen.

Aber es ist offensichtlich, dass er unglaubliche Angst vor seinen Eltern hat. Ich nehme Witterung auf, als Ex-geprügeltes-Kind spüre ich das in meinem Nervensystem und ich spüre da etwas.

Er redet ernsthaft mit mir. Ich freue mich darüber und zeige ihm das, teile ihm mit, dass ich das Gefühl habe, es geht ihm insgesamt nicht so gut zur Zeit und ob er jemanden hat, mit dem er darüber reden kann oder könnte.
Er meint, ja.

Er ist ganz sanft geworden. Ich auch. ich bin immer sehr berührt, wie sich Kinder im Gespräch öffnen. Die Pause ist zu Ende.

Ich sage ihm, wie ich damit umgehen möchte: Ich mache ein Protokoll. Wir gucken erstmal, wie es M geht und ob sie zum Arzt hingehen mussten.
Dann reden wir nochmal zu dritt.

Nehmen wir mal an, M. hat keine schlimme Verletzung, dann hören wir ihm zu, wie er die Sache sieht. Möglicherweise gebt Ihr Euch die Hand und es passiert nichts mehr, weil Du begriffen hast, dass Du mit Deiner Kraft ein Kind, das drei Klassen unter Dir ist, niemals körperlich angreifen darfst. Aber die Sache war schon ein bisschen hocheskaliert.

Die drei Jungen hatten einen anderen Jungen der Klasse schwer beleidigt. "Dich habensie wohl aus dem Müll gezogen etc." , der hatte schwer zurückbeleidigt "Hurensohn" und X angegriffen - was natürlich Absicht der Angreifer gewesen war - und M. hatte X angefasst, um seinem Mitschüler zu helfen. So war das Schubsen entstanden.

Die Interessen dieses Jungen meiner Klasse habe ich nicht vertreten. Er war in dieser Situation selbst sehr aggressiv und dann entsteht eine Spirale von Verwicklungen, die man nicht mehr richtig klären kann. Deshalb frage ich meine Kinder immer gleich: "Hast Du zurückbeleidigt?" Wenn ja, unternehme ich nichts. Sie wissen das. Sie müssen sich selbst zurückgehalten haben, wenn sie Hilfe möchten. Sonst bekomme ich gar nichts mehr auf die Reihe. Ich als Lehrerin war ja nicht dabei. Ich muss eine Chance haben, herauszufinden, wie es sich wirklich zugetragen hat, damit nachher im Gespräch nicht auch noch Verhärtungen entstehen, weil sich jemand ungerecht behandelt fühlt.
Also, wer auf die Ebene der Angreifer selbst akut einsteigt, dem helfe ich später nicht mehr. Da ist meine Grenze.

"Du bist drei Jahre älter. Du musst für die kleinen Jungs mitdenken. - Was soll man auch davon halten, wenn Ihr aus der 6. Klasse Eure großen Kräfte an solch kleinen Kindern ausprobiert. Wie findest Du das?" Er fand es nicht richtig, so waren wir einer Meinung.

"Wir regeln das vernünftig. Wir behalten im Auge, worum es geht: Dass sich alle freundlich und mit Achtung gegeneinander verhalten und keiner in seinem Wert kleingemacht wird, denn jeder ist wichtig und wertvoll, er, Du, jeder eben."

"Wenn keine Verletzungen aufgetaucht sind, dann schiebe ich das Protokoll in die Schublade, Du verhältst Dich anders und besser, es kommt nichts wieder vor und gut ist.
Sollte aber wieder etwas sein, dann hole ich das Protokoll wieder aus der Schublade und dann hast Du es mit zwei Sachen zu tun und dann geht es anders weiter.

Aber wichtig wäre auch, dass Du Dich selbst auch wichtig nimmst und mal schaust, mit wem Du reden kannst, wem Du vertrauen kannst, dass Du an Deiner Sache auch dranbleibst, damit es Dir selbst auch wieder gut geht, ja?"

Wir trennten uns ganz friedlich.


*****





*****

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen