Samstag, 19. Dezember 2015

Au weia! Ungehaltene Rede einer ungehaltenen Lehrerin.

Liebe Eltern!

Wenn ich unser weihnachtliches Beisammensein für 15.30 Uhr ankündige, dann meine ich 15.30h.

Ist Pünktlichkeit nicht etwas, was Ihre Kinder jetzt und später auf der Arbeit beherrschen müssen? Warum leben Sie Ihrem Kind Unpünktlichkeit vor?

Ich meine nicht, dass es mal nicht gelingt, ganz rechtzeitig zu sein. Es kann Gründe geben. Jeder kommt mal zu spät. Es sollte aber keine Gewohnheit sein! Pünktlichkeit ist die Höflichkeit der Könige, sagt das Sprichwort.

Es wäre auch ganz wunderbar, wenn Sie zum Fest Ihres Kindes kommen, wenn Sie dann die Lehrerin, die es in Wochen minutiös vorbereitet hat, gegebenenfalls eines Grußes würdigen könnten, vielleicht auch ihr ein Lächeln schenken (ist optional) und nicht grußlos und mit steifer Miene an ihr vorbeischauen oder ihr den Rücken drehen würden.

Von Eltern unbegleitete ältere Brüder mit Verhaltensunsicherheiten, die während des Nikolaus-Auftritts im Vorraum mit anderen Kindern tollen und toben, möchte ich auf einem Fest nicht so gern sehen.
Es waren auch sehr nette ältere Brüder mit ihrer Mutter da, das meinte ich nicht.

Mir ist es sehr unangenehm, Menschen sagen zu sagen zu müssen, was sie eigentlich selbst wissen müssten. Das ist mir sehr, sehr unangenehm und macht mir überhaupt keine Freude.
Auch nicht, dass der große Bruder sich von mir "angemacht" fühlt, wenn ich die Dinge zurechtrücken muss, weil die Eltern abwesend sind und er kein Gefühl für ein angemessenes Verhalten hat.

Der Lesepaten-Nikolaus kam aus seinem Rechtsanwaltsbüro, er hat gar nicht wirklich frei bekommen, er raste durch die Stadt, stand in seinen Maßklamotten irgendwann da, streifte die Nikolaus-Kluft über, verlas die Sätze im Himmlischen Buch und verteilte die Geschenke. Das machte er gern und das machte er gut. Dann raste er zu seinem Arbeitsplatz zurück. Was da um ihn herum geschah, nahm er sportlich.

Ein aufmerksames Verhalten der Kinder ihm gegenüber und auch von Eltern, die ihre Kinder vielleicht mal selbst ermahnen, wenn sie dabeistehen, hätte dem Nikolaus Respekt gezollt für seinen Einsatz und ihm ein besseres Gefühl gegeben und mir auch, ehrlich gesagt, denn ein Nikolaus fällt nicht einfach so vom Himmel, der wurde vorher ordentlich organisiert, und das sollte man durch Aufmerksamkeit honorieren.

Dass Mutter neben der Tür steht, während ihr Kind draußen tobt und gekränkt ist, wenn die Lehrerin sich vor die Tür stellt, damit nicht dauernd Kinder rein- und rausrasen, während der Nikolaus da ist, kriege ich nicht so richtig auf die Reihe.

Auch, dass Mutter ihr jüngeres Kind mit einem anderen plaudern lässt, geräuschvoll einen Lolli auspacken lässt, und nebendran lesen die Kinder in voller Konzentration und mit Lampenfieber ihr Märchen vor, ist irgendwie in meiner Welt nicht verständnismäßig vorhanden.
Und ich will mich daran auch nicht gewöhnen!

Ich glaube, dass ich die zivilisatorischen Mindeststandards schon einhalte, und wo mir das nicht gelingt, merke ich das oft selbst oder man kann es mir auch sagen und dann entschuldige ich mich ernsthaft und versuche, es in Zukunft besser zu machen.

Wieso wird, wenn ich solche Mindeststandards gewahrt haben will, mir das als ein feindseliges Verhalten ausgelegt? Haben wir keine Ansprüche mehr aneinander?
Oder nur noch an die Lehrerin, aber nicht mehr an uns selbst?

So.

Das musste sein. Es frisst mich innerlich auf. Ich bin nicht die Servicetante, die man mit schlechtem Verhalten abstrafen kann, und Sie sind nicht die Kunden.

Ich bin die Lehrerin Ihres Kindes und will mit Ihnen freundlich, sachgerecht und menschlich angenehm und verbindlich zusammenarbeiten, auf dass Ihr Kind für das spätere Leben vom Wissen und Verhalten her angemessen vorbereitet wird, und zwar in Zusammenarbeit von Schule und Elternhaus.

So.

Ich erzähle es am Abend meinem Mann. Dann sage ich ihm: Weißt Du, ich verstehe nicht, warum mich das so angreift.

Ich bin an dem Nachmittag unseres Festes so vielen freundlichen Eltern und Großeltern begegnet, die mit mir geredet haben, die kamen und sagten, wie gut ihnen die Vorführung/die Vor-Lesung gefallen hatte (Ist natürlich auch optional ;), wie toll sie es fanden, dass ALLE Kinder mitgemacht hatten und die auch nochmal Danke gesagt haben. Hier und da ergab sich noch ein kleines schönes Gespräch und dafür macht man das doch alles!
Das waren viel mehr Eltern. Viel viel mehr Eltern.
Wieso nervt mich das Andere so?

Mein Mann sagt: Na ja, es ist wahrscheinlich wie mit dem Trinkwasser. Man braucht es, man schätzt es, aber ein Tropfen Motoröl macht 1000 Liter Wasser ungenießbar.
Plötzlich wird mir besser. Ich bin also nicht falsch drauf, will mich ja auch auf das Schöne und das Richtige konzentrieren, auf das, was uns alle gemeinsam weiterbringt.
Aber er versteht mich, dass ich erstmal so reagiere. Ich fühle mich verstanden.

Dann sagt er noch etwas Gutes: Es stört Dich so, weil es nicht symmetrisch ist. Gewaltfreie Kommunikationen sind symmetrisch, das heißt, das, was der eine sagt, könnte der andere auch sagen. Es gibt keine Hierarchie, kein Oben und Unten.

Es ist immer ein dummes Gefühl, der zu sein, der unten ist, denke ich. Ich bin jetzt 62 Jahre, ich muss jetzt noch lächeln und mich Verhaltensweisen gegenüber fügen, die ich in meinem privaten Bereich niemals dulden würde.

Aber ich kann im Interesse der Zusammenarbeit zum Wohl des Kindes kein klares Wort sagen, immer muss ich lächeln, freundlich sein, nerviges Verhalten ignorieren, an mir abgleiten lassen, kontrafaktisch darüber hinweggehen, und nur, um die Gesprächsbasis zu erhalten im Interesse des Kindes.

Und das kotzt mich manchmal an. Da fühle ich mich wie jemand, der durch Zufall in einen seltsamen Zirkus hineingeraten ist und jetzt als dummer August irgendwie da durchhalten muss.

Menschen, die vielleicht weniger über Verhalten nachgedacht haben, dürfen mich vorführen, kränken, mit mir schlecht umgehen, weil ich in der neoliberalen Servicewüste Schule als Lehrerin an sie drangekettet bin.
Ich darf das aber nicht. Ich darf das noch nicht mal erwähnen oder zum Thema machen.
Ich bin aber nicht Jesus. Ich bin Minna.

Na ja, in einem halben Jahr seid Ihr mich los. Aber das hier musste mal raus.

Viele Dank an alle Eltern, die dieses Fest zu einem gelungenen gemacht haben, durch ihr Interesse, ihre Empathie, ihre Resonanz, ihre Geschenke, die sie gepackt haben, obwohl ihr Kind am Auslosetag fehlte (!!<3), durch einfach alles, wodurch man morgens leichtfüßig zur Schule tanzt, ohne sich zu fragen: Warum mache ich das? Weil es einfach schön ist! Weil es wichtig UND schön ist!

Mit Ihren Kindern, mit allen Ihren Kindern, ist es übrigens immer schön. Und wenn mal nicht, dann reden wir darüber und dann mögen wir uns wieder.

In diesem Sinne: Bleiben wir dran! Frohes Fest, wenn Sie Weihnachten feiern oder Frohe Tage hinein ins Neue Jahr!

Ihre Minna

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