Ich weiß nicht, ob dieser Tag mir noch Besseres bringt. Dabei ist es noch nicht zehn Uhr.
So gut ist der Vortrag!
Konrad Paul Liessmann: "Warum es so unangenehm ist, einem gebildeten Menschen zu begegnen."
Oder: Wissen als Provokation.
Jede(r) die/der am Inhalt und Wortsinn des Begriffs "Bildung" interessiert ist, der heute inflationär gebraucht wird, mit dem aber heute ganz Anderes gemeint ist als ursprünglich intendiert, kommt hier voll auf seine Kosten:
"Ich habe mich davon frei gemacht." Ein schöner Satz. Einige Zeit hatte es mich besetzt gehalten und die Lücke, in der ich schulisch und menschlich produktiv werden kann, die Lücke zwischen dem, was mir an der Bildung wichtig ist und dem, was von außen an Ansprüchen auf mich zugerannt kam, war immer enger geworden, engte meine innere Bewegungsfreiheit ein und machte mich sprachlos, so dass ich nicht mehr schreiben konnte.
(Zu viel "ichs" im Text. Aber manchmal wird man auch für sich selbst zum Thema. Dies gehört auch dazu.)
Während des ersten Schuljahres habe ich mich um Zeitprobleme nicht gekümmert, habe uns die Zeit genommen, von der ich annahm, dass wir sie nötig hatten, um uns die Welt des Lesens und des ersten Rechnens zugänglich zu machen.
So waren wir mit dem Leselehrgang am Ende des Schuljahres nicht fertig, rechneten bis zum Halbjahr des 2. Schuljahres auch noch bis 20 und nicht bis 100.
Da fingen einige Eltern an, mit den Füßen zu scharren und unruhig zu werden.
Ich kann das gut verstehen. Kinder von Freunden und Bekannten, Nichten, Neffen, so hört man, sind schon so viel weiter im Programm und wir noch so sehr zurück? Da stellt man sich doch Fragen.
Als Karla, meine Teamkollegin und frühere Schulleiterin, noch mit in der Klasse war - sie ist jetzt pensioniert -, da besprachen wir das alles miteinander und das gab mir eine große Kraft und Sicherheit, dass wir auf dem richtigen Weg waren.
Außerdem sind wir beide passionierte "Lenauer". Diese Schule war in den achtziger Jahren eine Art Leuchtturm in der Berliner Grundschullandschaft unter ihrem Schulleiter Herrn Höhne, der alle am Bildungsprozess Beteiligten so generös und konsequent untertützte, der jedem Kind, jeder Lehrerin oder Erzieherin, das Gefühl gab, ganz ganz wichtig zu sein und der uns allen etwas gab, das in der Bürokratieförmigkeit, in der unsere öffentliche Schule organisiert ist, so selten ist wie ein Einhorn in der Tierwelt:
Er gab uns Freiheit. Freiheit, uns zu entwickeln.
Wir saßen zusammen und planten Projekte. Wir waren zeitweise auch in den Ferien da, aus reiner Freude. Wir lernten voneinander; Binnendifferenzierung, Handlungsorientiertheit und es war klar, dass Bildung ein Weg ist, den jede(r) selbst gehen und in seine Hände nehmen muss.
Bildung ist immer Selbstbildung. Bildung ist ein Prozess, der die Weise, in der Welt zu sein, betrifft.
Alles andere ist auch wichtig und richtig und muss seinen Platz haben. Es ist aber nicht Bildung, sondern Ausbildung. Ausbildung für etwas.
Ausbildung schafft Kompetenzen, Nutzen, Arbeitsplätze.
Dieser freiheitliche Geist war etwas Besonderes und lange noch in den Zeiten von PISA und Evaluation und Nutzenrechnungen wirkte er an unserer Schule nach.
Das war 1988 der Grund, weshalb ich von Reinickendorf nach Kreuzberg wechselte ("One-way-Ticket" übrigens).
In zwölf Jahren vorher hatte ich aus eigenen Stücken zweimal die Schule gewechselt.
Nach sechs Jahren wäre also die LenauSchule auch fällig gewesen. Aber wohin wechseln??? Also blieb ich.
Und jetzt? Nachdem auch Karla weg ist - Schulen verändern sich. Die Gesellschaft verändert sich.
Menschen werden älter.
Die ich als MitstreiterInnen empfand, sie waren alle älter als ich. Nun ja.
Ich schreibe das, weil ich Herrn Höhne dankbar bin.
Er ermöglichte so viel, weil er es zuließ und nicht hineinregelte. Er sah uns als Lehrerpersönlichkeiten mit eigener Handlungskompetenz und mit der Fähigkeit zur Selbstreflexion. Teamarbeit war ein Muss. Aber die Teams fanden sich selbst!
So sollte es sein.
Dankbar bin ich, dass ich diese Erfahrung machen durfte und dankbar auch allen Kolleginnen, die mir "auf die Sprünge" geholfen haben, so dass mehr von dem, was ich mir unter Lernen und Bildung vorstelle und was für meine Berufswahl wichtig war, in die Realität treten, im Hegelschen Sinne "wirklich", also wirkend werden konnte.
Manchmal gelingen ja auch Sachen.......
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Aus dieser Situation heraus entstand das Blogschreiben. Minnas Flaschenpost eben.
Eigentlich bin ich noch nicht beim Thema. Mein Thema sollte sein: Was ist denn eigentlich in der Klasse in der letzten Woche so gewesen?
Bevor die neue beginnt....
Aber das wäre ein neuer Post. Ich wünsche allen, die das Video anklicken sollten, eine genüssliche Stunde mit dem engagierten Philo-Prof Liessmann, dessen Sarkasmus oft auch Lachen provoziert.
Ein wunderbarer Redner, der weiterhilft, indem er Sachen klärt.
Muss ich jetzt auch nicht mehr sagen: Die besten Reflexionen über Erziehung und Bildung kommen
- die Pädagogik als Zunft soll sich was schämen!-
- die Pädagogik als Zunft soll sich was schämen!-
aus dem Gebiet der Philosophie.
Wahrscheinlich deshalb, weil dort die Kantische Verstandestugend der Unterscheidungsfähigkeit zwischen Wichtigem und Schrott zur Ausbildung gehört und besser trainiert ist....
Eine gewisse Disziplin des Denkens gehört dort zum Fach dazu.
"Aus Gründen", würde es bei Twitter heißen.
Morgen werden wir uns in der Klasse darüber erzählen, wie unsere Laubsägeherzen und wunderschönen Muttertagskarten - Ideen von Erzieherin Katja, zu Hause, bei den Müttern und Vätern der Kinder, "angekommen" sind.
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