Meine
Gespräche stehen von offizieller Seite unter einem Luxusvorbehalt.
Man muss sie nicht führen, sie sind in der Arbeitsplatzbeschreibung
nicht so vorgesehen, dass für sie Zeit eingeplant wäre, bezahlte
Zeit. Da die nichtgesprächlichen Aufgaben sich so kumulieren, dass
eigentlich für so etwas keine Zeit bleibt, sind sie eine Art Hobby,
eine Art Luxus, den man sich erlaubt und der die eigene, zur
Verfügung stehende persönliche Zeit, einschränkt oder die
Ruhephasen, wenn man die Gespräche in den Pausen hält.
Die
ganze Krux ist eigentlich, dass die Arbeitszeit der Lehrer*innen
nicht festgelegt ist. Kämen wir morgens an einen für Erwachsene
ausgestalteten Arbeitsplatz und würden wir den um 16 Uhr wieder
verlassen, dann sähe es um die Erfüllung aller Aufgaben, die uns
einfach so auf den Rücken geschoben werden "Lauf, Esel, lauf!"
sehr schlecht aus.
Es
würde sich immer mehr Unerledigtes anhäufen. Und das würde endlich
mal ins Auge springen.
Das
häuft sich jetzt auch an, aber in meiner Seele, und so merkt es ja
keiner und vor allem die nicht, die es nicht merken wollen, die
Arbeitgeber.
Also
führe ich, für meine Arbeitgeber kostenneutrale, Konfliktgespräche.
Schön für sie. Ist ihnen aber auch wurscht. Mir aber nicht.
Natürlich
kommt jetzt das Ferienargument. Wir haben 12 Wochen Ferien. Ich
rechne jedoch meine Jahresarbeitsstunden in 40 Wochen hinein,
das heißt, ich leiste die Arbeit jedes Arbeit"nehmers" von
46 Wochenstunden, aufs Jahr betrachtet, ab. Ich weiß, wo die Grenze
liegt, ab da ist der Rest dann mein so genanntes Hobby.
Also
die Gespräche: Am Donnerstag dieser Woche kommen viele Kinder meiner
Klasse zu mir gelaufen und sind empört und wollen mir was erzählen.
Ich
wollte eigentlich schon gehen, war schon auf dem Weg, doch höre ich
ihnen zu. Einträge ins Beschwerdebuch. Es ist ist so viel, dass ich
es notiere:
Einer
wurde schwer geschubst, fiel mit der Wange auf den Boden. Er fehlte
am Freitag....
Die
Zweite wurde rassistisch allerschwerst beleidigt. Der Dritte wurde
selbst auf verschiedene höchst ekelhafte Weise schwerst beleidigt
und seine Mutter ebenfalls. Man ahnt, welche Wörter da gefallen
waren.
Drei
große Jungs aus der 6. Klasse sollten das gemacht haben.
Wie
geht man da vor?
Zunächst
besuchte ich deren Erzieherin noch am Donnerstag und kündigte
Gespräche an. Die Jungen waren auf dem Hof, die Erzieherin in der
Klasse, aber andere Kinder hörten zu. So war garantiert, dass die
drei Jungen es am noch gleichen Tag erfuhren, sie sollten ein wenig
"schmoren".
Am
nächsten Tag stellte ich mich bei der Klasse ein und sprach mit der
Lehrerin. Der eine Junge kam vorbei. Ich sprach ihn an und
konfrontierte ihn mit dem Vorwurf. Er, ganz ganz cool : Das stimmt
nicht, ich habe nichts gemacht. Ich: Ich habe Zeugen. Er: Ich auch.
Das
ist der Punkt, wo ich laut werde, noch auf dem Gang. Ich fühle mich
als Lehrerin von ihm schlecht behandelt und das lasse ich mir nicht
gefallen. So sage ich es ihm, mit diesen Mätzchen kriegst Du mich
nicht von der Backe!
So
ähnlich. Ich bestellte ihn zur 1. Pause in meine Klasse ein.
Scheiße, keine Erholung, aber es muss zeitnah sein.
Und
Taktik: Wenn er zu mir kommen muss, ist es für ihn weniger bequem
als umgekehrt. Auf dem Weg in eine andere, ihm nicht so vertraute
Umgebung kommen ihm vielleicht ein paar Gedanken..
Solche
kleinen Dinge sind extrem wichtig, leider. Auch, sich die Mühe zu
machen, die drei jeweils allein zu sprechen. Gemeinsam blocken sie
ab. Die Zeit könnte ich mir sparen.
Ich
sehe aber, dass er nun mit Tränen kämpft. Er steht wohl sehr unter
Druck und ich versuche gleich, die Luft rauszulassen, werde
versöhnlich, bitte ihn nun um ein offenes vernünftiges Gespräch
nachher. Wir lächeln uns an. Puuh.
Erste
Stunde.
Nach
der zweiten Stunde steht er da. Wir setzen uns ins leere
Klassenzimmer. Er möchte schildern, wie es war, und ich höre ihm
zu. Da ich immer so vergesslich bin, schreibe ich mit.
Es
fing an mit einem Ballwurf auf ein Eichhörnchen, das schon recht
zahm wirkte in den letzten Tagen und die Kleinen wollten das
Eichhörnchen schützen.
"Weißt
Du, sie mögen Tiere gern," sage ich. "Ich auch,"
meint er. Der erste entspannende Moment. Der Druck geht raus aus
dem Gespräch. Wir stehen auf dem gleichen Boden.
Es
wird besser. Er räumt ein, dass er M. geschubst habe, aber nicht
doll.
Immerhin
war M. hingeflogen, heute fehlt er. Das hing mit dem Schubsen
zusammen.
Wir
reden noch über den Unfallbericht und dass die Unfallkasse da immer
nach einem Verursacher fragt. Wenn man den Verursacher des Schadens
angibt -Arztbehandlungen kosten viel Geld - und wenn jemand sozusagen
schuld war, dann können die zu demjenigen oder seinen Eltern
hingehen und sagen:Du bezahlst das und nicht das Land Berlin.
Ich
finde es richtig, einem Zwölfjährigen solche Zusammenhänge
klarzumachen.
Aber
es ist offensichtlich, dass er unglaubliche Angst vor seinen Eltern
hat. Ich nehme Witterung auf, als Ex-geprügeltes-Kind spüre ich das
in meinem Nervensystem und ich spüre da etwas.
Er
redet ernsthaft mit mir. Ich freue mich darüber und zeige ihm das,
teile ihm mit, dass ich das Gefühl habe, es geht ihm insgesamt nicht
so gut zur Zeit und ob er jemanden hat, mit dem er darüber reden
kann oder könnte.
Er
meint, ja.
Er
ist ganz sanft geworden. Ich auch. ich bin immer sehr berührt, wie
sich Kinder im Gespräch öffnen. Die Pause ist zu Ende.
Ich
sage ihm, wie ich damit umgehen möchte: Ich mache ein Protokoll. Wir
gucken erstmal, wie es M geht und ob sie zum Arzt hingehen mussten.
Dann
reden wir nochmal zu dritt.
Nehmen
wir mal an, M. hat keine schlimme Verletzung, dann hören wir ihm zu,
wie er die Sache sieht. Möglicherweise gebt Ihr Euch die Hand und es
passiert nichts mehr, weil Du begriffen hast, dass Du mit Deiner
Kraft ein Kind, das drei Klassen unter Dir ist, niemals körperlich
angreifen darfst. Aber die Sache war schon ein bisschen
hocheskaliert.
Die
drei Jungen hatten einen anderen Jungen der Klasse schwer beleidigt.
"Dich habensie wohl aus dem Müll gezogen etc." , der hatte
schwer zurückbeleidigt "Hurensohn" und X angegriffen - was
natürlich Absicht der Angreifer gewesen war - und M. hatte X
angefasst, um seinem Mitschüler zu helfen. So war das Schubsen
entstanden.
Die
Interessen dieses Jungen meiner Klasse habe ich nicht vertreten. Er
war in dieser Situation selbst sehr aggressiv und dann entsteht eine
Spirale von Verwicklungen, die man nicht mehr richtig klären kann.
Deshalb frage ich meine Kinder immer gleich: "Hast Du
zurückbeleidigt?" Wenn ja, unternehme ich nichts. Sie wissen
das. Sie müssen sich selbst zurückgehalten haben, wenn sie Hilfe
möchten. Sonst bekomme ich gar nichts mehr auf die Reihe. Ich als
Lehrerin war ja nicht dabei. Ich muss eine Chance haben,
herauszufinden, wie es sich wirklich zugetragen hat, damit nachher im
Gespräch nicht auch noch Verhärtungen entstehen, weil sich jemand
ungerecht behandelt fühlt.
Also,
wer auf die Ebene der Angreifer selbst akut einsteigt, dem helfe ich
später nicht mehr. Da ist meine Grenze.
"Du
bist drei Jahre älter. Du musst für die kleinen Jungs mitdenken. -
Was soll man auch davon halten, wenn Ihr aus der 6. Klasse Eure
großen Kräfte an solch kleinen Kindern ausprobiert. Wie findest Du
das?" Er fand es nicht richtig, so waren wir einer Meinung.
"Wir
regeln das vernünftig. Wir behalten im Auge, worum es geht: Dass
sich alle freundlich und mit Achtung gegeneinander verhalten und
keiner in seinem Wert kleingemacht wird, denn jeder ist wichtig und
wertvoll, er, Du, jeder eben."
"Wenn
keine Verletzungen aufgetaucht sind, dann schiebe ich das Protokoll
in die Schublade, Du verhältst Dich anders und besser, es kommt
nichts wieder vor und gut ist.
Sollte
aber wieder etwas sein, dann hole ich das Protokoll wieder aus der
Schublade und dann hast Du es mit zwei Sachen zu tun und dann geht es
anders weiter.
Aber
wichtig wäre auch, dass Du Dich selbst auch wichtig nimmst und mal
schaust, mit wem Du reden kannst, wem Du vertrauen kannst, dass Du an
Deiner Sache auch dranbleibst, damit es Dir selbst auch wieder gut
geht, ja?"
Wir
trennten uns ganz friedlich.
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