Aiie, aua, das tat weh! Der Morgen beginnt mit der Begutachtung einer Verletzung, die gestern in der freien Zeit auf dem Hof angebracht wurde. Das muss ganz schön weh getan haben! Bei der Klärung wird meine Hilfe anscheinend nicht gebraucht. Es sei schon geredet worden - okay, muss mich nicht in alles einmischen. Aber Verletzungen fotografiere ich stets, sozusagen als Beweis. Da hatte sich jemand richtiggehend verkrallt.
Seit
heute arbeite ich im 38. Jahr. Als ich den Kindern sagte, am 1.3.1976
habe ich angefangen, als Lehrerin zu arbeiten, sagt Peter uncharmant:
„Vor achtzig Jahren“, und ich verzichte auf weitere Erörterungen
zu diesem Thema.
Ab jetzt beträgt die Arbeitszeit in meinem Leben weniger als drei
Jahre. Es wird übersichtlich. Dass ich mich mit meiner
nachschulischen Zeit beschäftigte, galt für mich lange nicht,
eigentlich kenne ich das erst seit etwa zwei Jahren, als es anfing,
mit meiner Gesundheit bergab zu gehen und als das Teilzeitmodell für
ältere Lehrer vom Senat weggekürzt wurde.
Hab
immer über die anderen gelästert, innerlich, die schon in jüngeren
Jahren über ihre Pensionen redeten, fand das immer etwas obszön.
Über
meine Pension rede ich immer noch nicht, aber ich schaue, dass das
Geld später auch reicht. Meine Schulschäfchen müssen auch
mitkommen und die fressen pro Monat schon 300 Euro weg, dann haben
sich noch ein paar dazugemogelt, und die erfreuen sich für 150 Euro
ihres Lebens.
Dafür
komme ich dann bestimmt in den Schafhimmel, wenn es soweit ist, ich freu mich
schon darauf! ;)
Im
Moment rechnen die Schüler an ihrer Klassenarbeit, wir haben alles
besprochen, nun sind sie „dran“.
Immer
wieder denke ich mir: Warum schreibe ich das alles auf? Schreibt
jemand, der in einer Firma arbeitet, immer alles auf?? Ist das nicht
lapidar und überflüssig, was ich hier mache?
Dann
kommt mir der Gedanke, dass Schule ja auch ein wichtiger
gesellschaftlicher Raum ist und dass Einblicke jenseits der
mainstreamigen „Hof“berichterstattung, wie man sie bei einigen
Berliner Tageszeitungen so findet, vielleicht auch tauglich sein
könnten für den einen oder die andere, sich einen Eindruck zu
verschaffen.
In
jedem Leben vermischen sich die so genannten subjektiven und
objektiven Aspekte, und unsere Generation trat an, um zu
unterstreichen, dass auch das scheinbar nur persönliche/subjektive
Empfinden höchst gesellschaftlich/politisch sein kann.
Also
das, was sich z.B. in einem gesellschaftlichen Raum wie der Schule
vollzieht - nach dem Wegfall der Systemkonkurrenz des Kalten Krieges,
wo der Kapitalismus, der sich jetzt auch so nennen lässt, allein
übriggeblieben ist, allein herrscht, wo der Sozialismus durch die
Erfahrungen mit seiner erlebten Form diskreditiert ist - immense Veränderungen seitdem und es geht immer weiter und ich denke, es geht vollends in die falsche Richtung weiter. (Die Denke der "Quants", der Quantifizierer) Aber dieser Satz weiß hinten nicht mehr, wo er vorne losgesprungen ist.
Das
alles reicht hinein bis ins Innerste der Menschen.
In
meiner Jugend war das Wort „Reform“ etwas ganz Positives. Wenn
etwas reformiert wurde, dann wurde es anschließend besser für die
Menschen. Nach und nach bekam das Wort sozusagen Würmer und fing an,
faul zu riechen: Immer, wenn einer „Reform“ sagte, wurde etwas
schlechter als es vorher gewesen war.
So
viel über die Wandlung eines Wortes. Wörter stehen nicht wie Steine
in der Landschaft, sie verändern sich, wenn sich die
gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, in die diese Wörter gestellt
sind, verändern. Selbst Steine verändern sich... Deshalb ist es sicher angemessen, diesen Rahmen
mitzubedenken.
Natürlich
gibt es Leute, die das nicht wollen. Das sind die Leute, die wollen,
dass man nicht nachdenkt. Sie wollen auch, dass wir glauben, dass
Wörter sozusagen Naturgegebenheiten sind. So werden wir wehrlos
gemacht, wenn wir das glauben.
Die
Naturalisierung gesellschaftlicher Gegebenheiten dient politischen
Zielen. Wer weiß, dass sich Verhältnisse entwickelt haben, weiß
auch, dass sie veränderbar sind. Darin liegt Hoffnung.
Ich
habe das während der Mathearbeit meiner Schüler geschrieben. Alles
war erklärt und man durfte trotzdem noch fragen.
Durfte
ich das??
X
weint. Er schafft es nicht. Er sagt immer: „Ich weiß.“, wenn man
ihm etwas erklärt. Bekommt er Aufgaben, spielt er herum, er hat
dann nach einiger Zeit etwa ein Zehntel dessen an Übungen
bearbeitet, was andere geschafft haben. Er hat kein realistisches
Selbstbild und deshalb subjektiv, innen drin, keinen Grund, etwas zu
ändern. Er hat aber Angst davor, seiner Mutter ein schlechtes
Ergebnis zu präsentieren. Denn seine Mutter möchte, dass er aufs
Gymnasium geht. Ich hätte ihm zwei oder drei Jahre seelische
Reifung gegönnt, bis er mit seiner Empfindungswelt auf die Höhe
seiner Verstandespotenziale gleichgezogen hat. Doch das wird ihm
leider nicht zugestanden.
Y
sagt: „Ich hab doch immer alles gekonnt. Auch Hans sagt, ich bin
gut in Mathe, und jetzt weiß ich nicht, was ich rechnen soll. Ich
hab alles vergessen.“
Z
sagt: „Ich kann das, aber um 8 oder 9 Uhr, das ist zu früh für
mich, da bin ich noch müde.“
Nachfrage
bei der Klasse. Viele wirken erschöpft, möchten eine Pause. Wir
haben jetzt eine halbe Stunde gerechnet. Wir machen die Pause, machen etwas Anderes, nehmen
die Hofpause noch dazu. Ich sammele die Blätter ein, in der 3.
Stunde geht es weiter.
Das
Problem sind die Art Aufgaben, die nicht nach einem eingelernten Schema F
abgehandelt werden, sondern die eine Art Algorithmus erfordern, einen
Lösungsweg in einzelnen Schritten, den man selbst wählen und gehen muss. Hier
liegt das Kardinalproblem.
Zum
Beispiel: Schreibe 12/15 als Dezimalbruch! Hier musst Du erst einmal
durch 3 kürzen, dann ergibt sich 4/5, dann erweitere mit 2, es
ergibt sich 8/10, das kannst Du jetzt als Dezimalbruch schreiben:
0,8. Fertig. Ist das sooo schwierig?
Hier
liegen bei vielen Kindern die Schwierigkeiten. Selbst, wenn wir es
oft geübt haben, wenn man dann plötzlich auf sich gestellt ist, den
Lösungsalgorithmus zu entwickeln, scheitert man. Schade eigentlich,
denn die Kinder sind nicht unintelligent.
Vielleicht
wäre regelmäßiges Schachspielen hilfreich, mit dem man schon ab
der 3. Klasse begönne...
Gestern
ein Gespräch mit dem Kollegen der anderen 6. Klasse. Er sagte: „Sie
haben alles vergessen, selbst wenn sie intelligent sind. Dann müssen
wir es wieder „anwärmen“, es entwickeln, gemeinsam daran
arbeiten, dann „kommt“ es wieder und dann können sie es wieder.
Einige Zeit später: Das Gleiche.
Die
erarbeiteten Inhalte haben die gedanklichen Strukturen nicht wirklich
erfasst, verändert, umgebaut, es ist „irgendwo“ und "irgendwie" vorhanden,
diffus, aber nicht aktiv verfügbar.
Ich
sage jetzt einmal etwas Häretisches: Früher machte man
Hausaufgaben. Man musste nachmittags noch einmal gedanklich da
hindurch, was man am Morgen gelernt hatte. So festigte sich vieles
und stand dann später aktiv zur Verfügung.
Heutzutage
sind die Kinder bis 16 Uhr in der Schule. In den Freizeitstunden
machen sie keine Hausaufgaben, mit wem auch? Eine Erziehern pro
Gruppe, dann wuseln alle herum und dann machst Du mit einigen Hausaufgaben? So geht es nicht. Machen alle Hausaufgaben in der
Freizeit, ist es verlängerte Schulzeit. Hier der Plan. Soo viel Freizeit ist es auch nicht..
X
kommt und fragt: „Mein Cousin sagt immer: Auf dem Gymnasium gibt es
keinen Tag, an dem Du die Bruchrechnung nicht brauchst. Stimmt das?“
Ich bestätige es ihm. Er meint: „Dann muss ich jetzt wirklich
dafür sorgen, dass ich das alles verstehe“, geht zu seinem Platz,
schlägt das Rechenbuch auf und schon ist er in seinen Aufgaben
versunken, während alle anderen jetzt nach der Pause erfrischt und
ausgeruht ihre Rechenarbeit weiterschreiben. Nach fünf Minuten träumt er aber schon wieder...
Mesut
braucht nur einen mittelkleinen Hinweis, dann gelingt es ihm weiterzuarbeiten
und es fällt ihm alles wieder ein....
Vielleicht
wird aus der Arbeit ja doch noch etwas. Dabei haben wir in den
letzten Wochen doch soo gut gearbeitet!
Ich
muss mir die letzte Arbeit meines Kollegen einmal besorgen, hatte ihn
gestern schon gefragt, er rückte sie nicht gleich heraus, dabei ist
die Nachbarklasse viel weiter als wir! Aber ich finde meine Klassenarbeit
eigentlich nicht zu schwer.
Hier sind Bilder, die die Klasse beim Kollegen Lars gemalt hat:
Sie haben der Dame Tiere in den Schoß gemalt..."Was hat sie denn da, wo das Fragezeichen ist, in echt?", frage ich. Mich reitet der Teufel. "Keine Ahnung", ist die Antwort. "Er will es uns nächste Woche sagen."-"Und? Meint Ihr, man kann es auch selbst herausfinden?" Jetzt beißen sie an, werfen den Computer an, alle stehen davor. Wir überlegen, welche Suchwörter geeignet sein könnten. Nach einigen Versuchen, von mir ein wenig gesteuert (das Wort Schoß war nicht bekannt gewesen)...
...ist das Original identifiziert: "Es ist ein Marder, ein Frettchen", schreien alle. Suchwörter: Malerei, Dame, Schoß, Tier.
Es ist die "Dame mit dem Hermelin" von Leonardo da Vinci. Hoffentlich ist Lars nun nicht verärgert, aber es war zu reizvoll, die Kinder darauf anzusetzen. Immerhin haben alle ihr Bild fertig gemalt, sonst hätte ich's überhaupt nicht so machen und ihm da hineinfunken dürfen.
Aber ich wollte den Kindern so gerne zeigen, dass man etwas selbst herausfinden kann, wenn einem jemand Informationsgrenzen setzt und dass man auch auf eigene Faust nach Informationen graben kann.
Die Schneckenhäuser im Essigglas wirken intakt. Aber, wenn man sie anfasst, fühlen sie sich an wie Gummi, ganz gruselig. Der Kalk ist weg, aber die Form ist noch erhalten. Das ist vielleicht Horn? Der Kalk müsste jetzt im Essigwasser sein.
Interessant wäre es, das Wasser verdampfen zu lassen und sich anzuschauen, was unten im Glas übrig bleibt.
Wenn das Zeug am Montag nicht stinkt, dann machen wir das.
In der Mensa erhalte ich einen schönen Teller "Chili sine carne", die Vegi-Variante des Tagesessens, und es schmeckt sehr gut!
"Das ist Connys Wolle, hier, seht Ihr? Typisch Conny ist das." Ich zeige auf die extrem wellige Locke. "Typisch? Was heißt typisch? ", fragt Derya. "Na, dass man die Wolle daran erkennen kann, dass sie von Conny ist." In der Folge sagen Jonas und Derya, die beide befreundet sind und wunderbar zusammen arbeiten: "Ich hätte gern noch ein bisschen 'Typisch Conny'." Oder: "Gib mir mal bitte noch 'Typisch Conny'." Das wird zum geflügelten Wort, und so verbringen wir eineinhalb Typisch-Conny-Stunden, die uns allen dreien großen Spaß gemacht haben.
"Typisch Conny" eben, die Locken. Ne.
Die Schneckenhäuser im Essigglas wirken intakt. Aber, wenn man sie anfasst, fühlen sie sich an wie Gummi, ganz gruselig. Der Kalk ist weg, aber die Form ist noch erhalten. Das ist vielleicht Horn? Der Kalk müsste jetzt im Essigwasser sein.
Interessant wäre es, das Wasser verdampfen zu lassen und sich anzuschauen, was unten im Glas übrig bleibt.
Wenn das Zeug am Montag nicht stinkt, dann machen wir das.
In der Mensa erhalte ich einen schönen Teller "Chili sine carne", die Vegi-Variante des Tagesessens, und es schmeckt sehr gut!
Um 12 Uhr hatte ich noch zwei Kinder beim Filzen da. Es hat einen Riesenspaß gemacht! Die beiden waren so begeistert bei der Arbeit dabei, zuerst beim Kämmen, dann beim Filzen, dann beim Walken....die Zeit verging wie im Flug.
"Das ist Connys Wolle, hier, seht Ihr? Typisch Conny ist das." Ich zeige auf die extrem wellige Locke. "Typisch? Was heißt typisch? ", fragt Derya. "Na, dass man die Wolle daran erkennen kann, dass sie von Conny ist." In der Folge sagen Jonas und Derya, die beide befreundet sind und wunderbar zusammen arbeiten: "Ich hätte gern noch ein bisschen 'Typisch Conny'." Oder: "Gib mir mal bitte noch 'Typisch Conny'." Das wird zum geflügelten Wort, und so verbringen wir eineinhalb Typisch-Conny-Stunden, die uns allen dreien großen Spaß gemacht haben.
Conny, * 1996
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