Sommerzeit-Umstellung,
trotzdem gut ausgeschlafen. War um MEZ 20 h im Bett gewesen, musste
ja MEZ 4 Uhr wieder aufstehen. Macht acht Stunden, was ausreichen
dürfte. Auch, wenn es nicht gelingt, gleich einzuschlafen, hilft die
Ruhe doch.
Meine
Kollegin ist nach drei Wochen wieder da. Sie fühlt sich gesund,
Erleichterung. Es gibt wieder Förderunterricht! Die kleine Gruppe,
heute drei Kinder, gehen mit mir in den Wollraum, habe Rechenaufgaben
vorbereitet. Doch, wie es kommt, kommt es anders. Wir unterhalten uns
zum Einstieg über das Wochenende und es stellt sich heraus – wie,
weiß ich nicht mehr -, dass sie ihre Adresse nicht wissen, nicht
schreiben können. Postleitzahlen sind völlig unbekannt, auch, wie
man eine Adresse auf dem Briefumschlag anordnet.
Dabei
haben wir dies in der dritten Klasse ausführlich und praktisch
gelernt.
Gar
nichts ist mehr da.
Es
dauert, bis alles wieder hervorgeholt wurde. Wir haben damals Briefe
geschrieben und weggeschickt. Ich habe den Kindern auch schon Briefe
geschickt. Darüber hinaus gab es keine Post, die sie weggeschickt
oder erhalten hatten. Schade. Auch die Postkästen waren ihnen völlig
unbekannt. Sie bekamen als Hausaufgabe, einmal daraufzuschauen.
Vor
einem halben Jahr hatten wir uns Bäume angeschaut, die Rinde, die
Blätter, die Früchte. Die, die auf dem Schulhof und in der
Schulumgebung stehen. Wir kannten damals sechs Bäume. Nunmehr war es
keiner mehr.
Ich
komme vom Hölzchen aufs Stöckchen, von der Rinde aufs Blättchen.
In Punkto Umweltwissen ist NICHTS da, es lässt sich leider nicht
anders sagen.
„Je
mehr ich weiß, desto mehr sehe ich“, sagte Goethe. Der Umkehrsatz
gilt auch. Doch insofern laufen unsere drei Kinder blind durch die
Gegend. Sie wissen fast nichts. Sicher kann Pablo alle Automarken
vorwärts und rückwärts aufsagen, aber die hundert Sperlinge in der
Hecke vor dem Haus, die immer in die Jalousiekästen fliegen, sie hat
er noch nicht bemerkt, geschweige denn benennen können.
Man
erinnert sich? „Wie heißt dieser Vogel?“ „Spast!“
In
diesen Gesprächen komme ich mir manchmal wie die Mutter vor, die ich
einmal war, wenn wir spazierengingen, wenn wir zu Hause waren, wenn
wir die Gespräche führten, die wir führten. Wenn uns etwas
auffiel, wenn ich im Gespräch Linien zog zu Anderem, so dass über
die Jahre eine Art zusammenhängender Kosmos gedanklich entstehen
konnte.
Dann
führe ich diese Gespräche, wissend, dass sie wie ein Tropfen sind,
der gleich wieder verdunstet, hoffend, dass da doch mehr bliebe..
Dann
nehme ich diese Rolle an.
Schrieb
einer Mutter ins Heft, sie möge ihrem Sohn einmal die Vögel zeigen,
die sie kennt. Wie viele kennt sie wohl? Oder der Vater, den er am Wochenende sieht? Wieviele er?
Worüber sprechen sie, wenn sie zusammen sind?
Zwei
Stunden sind um. Wir gehen nach oben in den neu verlegten Vorraum.
Die großen Pflanzen stehen wild und wirr herum.
Pflanzen
neigen ihre Blätter nach dem Licht. Woher kam das Licht, fragen wir
bei jeder Pflanze. Wir spielen das Licht. Woher kommt jetzt das
Licht? Wie muss die Pflanze also stehen, gedreht werden, damit das
Licht für sie „richtig“ kommt.
Sie
bewältigen das sehr gut! Schließlich stehen alle Pflanzen richtig
und es klingelt zur ersten Hofpause.
In
der Pause halte ich Wache am Fußballfeld, beschütze die Kleinen vor
der Rohheit der Großen, die immer in ihren Bereich laufen, ihnen den
Ball abnehmen, mitspielen, ihnen keine Wahl lassen. Daher bin ich bei
den „Großen“, die sich kindsköpfiger benehmen als die
„Kleinen“, sehr unbeliebt. Im großen und Ganzen halten sie sich
an die Regeln, während ich da stehe. Entern aber einmal mit Geschrei
als Sechsergruppe den Platz, halten sich kurz darauf auf und gehen
quer hinüber zum jenseitigen Rand, wo sie sich anrempeln.
Dann,
als dies nichts nützte, laufen sie korrekt an der Platzlinie wieder
nach vorne, fünfe nehmen einen in die Mitte, ich sehe Fäuste und
Knie, die sich ins Zentrum bewegen, das ein Junge ist, sie spielen
„jemanden verkloppen“ und denken, ich merke nicht, dass das
gestellt ist. Ich bleibe auf meinem Platz. Da vergeht ihnen die Lust,
es klingelt.
Noch
schnell auf Toilette, hoffentlich hat oben jemand aufgeschlossen.
Auf
dem Weg nach oben drückt mir eine Kollegin einen Fußball in die
Hand. Mesut und Messi haben vorne am Schulhaus Fußball gespielt. Da
ist es nicht erlaubt. Zusätzlich haben sie kleine Kinder mit dem
Ball abgeschossen. Mesut hat auch seine Hausschuhe (wieder) nicht an.
Ach
nein, das sind zwei von den vieren, die aus Gründen letzte Woche
nicht zum Ausflug durften. Wie war das eigentlich noch mit der Brille der Erzieherin, die er ihr am 16. vom Kopf gekickt hatte, fällt mir jetzt ein...Ja, sollte auch einmal wieder ein gespräch geführt werden. Muss mich um einen Terminvorschlag kümmern. Nicht vergessen! Er scheint nicht dazuzulernen, das sollte man mal festhalten.
Wieder
Mitteilungshefte vollschreiben, bitte unterschreiben für die Eltern,
aber später, der Unterricht beginnt. Während dieser zwei Stunden
zeigt Bastian ein extremes Störverhalten, vorher hatte er
hingebungsvoll die Tafel gewischt und alles sensibel erfragt...Ich
trage es auch ins Elternheft und ins Klassenbuch ein.
Natürlich
komme ich mir bescheuert vor. Aber wie markiert man die Grenzen?
Wie
macht man deutlich, dass angemessenes Verhalten die Hauptsache ist
und nicht Querschüsse, die immer liebevoll und ermunternd von den
Mitschülern belacht werden.
Die
Elternhefte vollzuschreiben, war meine Tätigkeit in der 2. Hofpause.
Diese hätte ich eigentlich zum Ausspannen gebraucht...Kaum bin ich
fertig und habe es kopiert, klingelt es zur fünften Stunde.
Noch
ein Elternheft hatte ich: Ein Konflikt vom Freitag. Emmely und Manuel
hatten sich wohl mit Worten gegenseitig nichts geschenkt, aber Emmely
hatte Manuel mit Tinte vollgespritzt. Dies hatte ich den Eltern
eingetragen. Die Mutter schreibt einen langen Kommentar, der mir
vorhält, ich sähe weg, wenn es um ihre Tochter ginge...Nee, das
verletzt mich. Ich bin doch die, die hinschaut. ;-)
Ich
habe nur keine Zeit, die Seelenregungen der Störer im einzelnen zu erforschen und
auch keine Lust. Emmely verhält sich, gelinde gesagt, wie eine
Kratzbürste, ich setzte sie schon von Mario weg, weil es nur Streit
zwischen beiden gab, jetzt setzt sich das gleiche mit Manuel fort.
Ich
will nicht immer dasselbe sagen. Ich bin kein Papagei. Wer dem anderen das Gesicht und die
Klamotten vollspritzt, bekommt einen Eintrag. Punktum. Der Mutter
schreibe ich einen Terminvorschlag ein, kommentarlos. Es muss ohnehin
gesprochen werden.
In
den Naturwissenschaften sahen wir einen Lehrfilm über das Klima und
sprachen darüber. Sehr gut im Gespräch Peter und Hans, auch Anna
macht mit, Sally sowieso, Cherry und Selena auch.
In
der fünften Stunde deklinieren wir, erst mündlich, dann
schriftlich. Schriftlich soll es jeder einmal für sich machen. Die
Blätter schaue ich am Nachmittag an, sehr aufschlussreich. Der Dativ
scheint schwieriger zu sein als der Genitiv, besonders im Plural. Ich gebe mal Noten auf
die kleinen Arbeiten, damit sich jeder verorten kann.
Es
müssen auch einmal Vieren dabei sein. Damit die Einschätzungen
realistisch werden. Bei zwei Schülern hatte ich bemerkt, wie die
Eltern sich zu meiner Bestürzung offensichtlich in dem Bewusstsein befanden, ihr
Sohn sei ein Aspirant fürs Gymnasium und das wird dann , wenn nicht gegengesteuert wird, bei den
Gesprächen zum Übergang explosiv werden...
Ich würde mich freuen, wenn jeder aufs Gymnasium gehen könnte. Doch denke ich, jeder muss dann auch das Zeug haben, dort bleiben zu können und den Anforderungen gerecht zu werden. Sonst produzieren wir Scheitern, und das soll nicht sein.
Die
sechste Stunde ist Fördern. Gabriele geht mit drei Kindern, die
Geburtstag hatten, Bücher kaufen. Wir haben einen Buchladen in der
Nähe, der ein breites Sortiment von Kinderbüchern führt und wo die
Buchhändlerinnen die Bücher gelesen haben!
Man
kann sie nach einer Thematik fragen und sie erzählen und legen einem
die Bücher vor. So machen die Kinder eine Annäherungserfahrung, wie
man zu passenden Büchern kommen kann. Das nutzen wir für die
Geburtstagsbücher. Natürlich verschenken wir BÜCHER! :))
Ich
bitte einige Kinder, dazubleiben, von denen ich das Gefühl hatte,
sie haben beim Klimafilm vielleicht nicht viel mitbekommen. Kinder, die im Unterrichtsgespräch eher still bleiben. Wir
sprechen also noch einmal eingehend über das, was gezeigt
wurde und das, was sie behalten haben, wobei die Aufmerksamkeit auf
den korrekten Sprachgebrauch niemals müde werden darf.
Am
anderen Tisch sitzt Peter und liest in seinem ausgeliehenen Buch. Ali
muss auch kommen, weil er Mario in der Freizeitgruppe beim Spielen
ausgelacht hat. Die anderen Kinder erhalten ein Plakat über Vögel
und sollen sich die heraussuchen, die sie schon einmal gesehen haben.
Währenddessen kann ich mit Peter und mit Ali jeweils lautes und
sinnentnehmendes Lesen üben. Ali hatte nämlich seine
Lesehausaufgaben nicht gemacht.
Dann
wieder zu den Kindern und über die Vögel gesprochen, während die
beiden Anderen weiterlesen.
Nun
ist auch diese Stunde vorbei.
Sechs
Stunden. Viel Konflikt. Ein ganz normaler Schultag.