Hey, ich will mich nicht großtun, und es ist ja auch nicht so etwas Besonderes, aber P und ich, wir haben diese Förderstunde zusammen gemacht. Er wollte lieber Mathefördern machen als im Englischunterricht dabeisein.
Wir haben in dem schönen Matheheftchen weitergerechnet, das ich hier schon einmal vorgestellt habe. Damit ist er nämlich noch nicht zu Ende.
Vorher hatte er schon zwei Förderstunden, eine in Mathe, eine in Deutsch, alleine mit der Kollegin. Immer, wenn er allein mit jemandem ist, scheint es ihm unglaublich gut zu gehen. Er macht keine Faxen, ist außerordentlich lernbereit, will immer noch mehr und mehr tun. Als böte ihm die Situation - Schutz?
Da er schon zwei Förderstunden hatte, fragte ich ihn, ob er lieber Englisch machen wolle - ich hätte mich dann verdrücken können, hatte doch schon frei.... : ) Doch nein: Er strahlte und sagte: Ich will Mathe machen.
Er brauchte eine Weile, bis er im "Stream" war, vom Denken her, dann floatete es weiter, er konnte die Aufgaben lösen und kontrollierte begeistert selbst. Nicht der geringste Widerstand, keine Müdigkeit, keine Abwehr, einfaches Mitgehen, selbständiges Fortschreiten in den kleinen anschaulichen Schritten dieses Lehrgangs.
Abschließend fragte ich P, ob er eine Idee hätte, warum ihm das hier lieber gewesen sei. Ja, sagte er, bei Englisch muss ich immer so plötzlich was sagen..--- Das erschreckt Dich? fragte ich. Ja. Er lächelt.
Was hatte ihm so gut getan?, fragten sich meine Kollegin und ich anschließend. Ihr schien es auch einleuchtend, dass das plötzliche Antworten, das von ihm verlangt wurde, weil man wieder bemerkt hatte, dass er mit der Aufmerksamkeit abgedriftet war, ihn schreckte und erschreckte. Und aufschreckte und abschreckte.
Jedenfalls heute hatte ihm das Lernen in der Schule sicher Freude gemacht, mehr als sonst. Was ihm auch gut tut, ist, wenn er ohne Konkurrenz arbeiten kann. Die anderen sind immer schneller als er, sagt meine Kollegin. Das frustet.
Ebenso tut es ihm gut, wenn er einmal die volle Aufmerksamkeit eines Erwachsenen hat. Dann ist er vollkommen wach. Und lernbereit. Dann ist "Lernen" keine Qual.
Wir hatten es gut. Die anderen drei Kinder, die auch noch Förderanspruch gehabt hätten, wollten partout während des Matheunterrichts mit der Gruppe lernen. Sie hatten Zugang zu dem, was alle machten und wollten UNBEDINGT mithalten!
Deshalb war niemandem etwas weggenommen, als P allein mit der Kollegin zusammen arbeitete. Er genoss es, dass da kein Druck war.
Er stellt auch nie Ansprüche. Er fühlt sich nicht gemeint. Er läuft bei allem so mit. Man kann ihn leicht übersehen. Wenn man sich an ihn wendet, so erfährt er Kritik. Das ist die übergreifende Erfahrung, die er macht. Er fordert nie etwas. Fällt niemals durch lautes, störendes Verhalten auf, träumt einfach vor sich hin und wir stören ihn ständig und reißen ihn aus seiner Gedankenwelt heraus.
Im ersten Jahr, das war sein drittes Schuljahr, stand er oft am Fenster und schaute hinaus. Er hätte den ganzen Tag dort stehen können. Wandte uns den Rücken zu und langweilte sich bestimmt kein bisschen.
Das Übliche wäre: Diagnose: Ein ADS-ler. Gebt ihm Ritalin!
Er hat selbst wohl das Gefühl, nicht ganz richtig zu sein. Das ist das, was uns Sorgen macht. Er fühlt sich irgendwie verkehrt und nicht stark genug, die Dinge anzupacken. Glaube ich jedenfalls. "Warum muss ich diese Therapie machen?", fragte er. Und es ist für ihn ein weiterer Beleg, dass mit ihm etwas nicht ganz richtig sei. Das schafft kein Vertrauen.
Doch er versteckt sich nicht. Er antwortet, wenn man fragt. Er gibt Auskunft über sich. Er arbeitet, wenn die Situation ihm entgegenkommt, mit Freude, ausdauernd und - konzentriert!!! Es ist nicht so, dass er es grundsätzlich nicht kann. Er kann es, wenn er allein mit jemandem ist.
Manchmal machte er auch in der kleinen Gruppe mit, so für 15 Minuten. Dann nahm er Neues auf. Oft hatte er es beim nächsten Mal komplett wieder vergessen.
Wie Marie. Sie vergaß immer alles, was sie mit uns mühsamst gelernt hatte. Bis bei ihr der Groschen fiel. Bis sie es selbst WOLLTE. Ab da vergaß sie es nicht mehr. Immer noch ist sie etwa 3 bis 4 Schuljahre zurück. Aber sie holt auf. Seit etwa einem halben Jahr beißt sie sich durch. Ich sagte es schon: Sie will Tierpflegerin werden, und da muss man lesen und schreiben können, und rechnen, sagt sie. Deshalb will sie es ab JETZT lernen, so etwa vier Jahre später...
Ich finde, es hat sich gelohnt, der Versuch, P ernst zu nehmen. Sich mehr auf sein Gebiet, auf sein Terrain zu begeben, mehr Fühlung zu bekommen zu dem Menschen, der er ist.
Eigentlich versteckt er sich nicht wirklich.
Vielleicht sollte die nächste Woche eine Pablo-und-Marie-Woche werden. Von der Lehreraufmerksamkeit her.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen