Das ist sie. Die bunte, von Kindern einst bemalte Tonne. Ich weiß nicht, wer sie bemalte, auch Frau Biel, die die Schulschafe Jahre vor mir betreute, kann sich nicht erinnern, wer dieses Gefäß so liebevoll bemalt hat.
Sie erinnert sich aber, dass die bemalte Tonne einst als Sammelgefäß für trockenes Brot für die Schafe im Foyer der Schule stand.
Diese Tonne tauchte 2014 bei Aufräumarbeiten auf. Sie stand schon im Riesencontainer zum Abtransport, als ich unseren Hausmeister bat, sie wieder herauszunehmen und sie aufzubewahren, bis ich eine Verwendung für sie gefunden hätte.
Hin und wieder fragte ich ihn, ob die Tonne noch da sei, und er bestätigte es mir. Dann sagte ich ihm immer, er möge sie bitte behalten, bis ich sie abhole.
Nun war es soweit. Ich hatte Herrn Kunde, dem Schäfer, der die ehemaligen Schulschafe bis heute auf seinem Hof betreut, von der Tonne erzählt und ihn gefragt, ob er Verwendung für sie habe.
Er meinte, ja, er würde sie gern übernehmen und das alte Brot, das er regelmäßig von einem Berliner Restaurant übernimmt, darin sammeln. Ich freute mich und dachte, sie passt ganz prima auf seinen Hof, wo öfter Schulklassen oder einzelne Kinder die Schafe besuchten.
Heute morgen war ich früh in der Schule. Als ich unseren Hausmeister traf, bat ich ihn, nun die Tonne für mich herauszustellen. Ich wollte sie in die Schäferei mitnehmen.
Er teilte mir mit, dass es die Tonne nicht mehr gäbe, sie sei versehentlich beim letzten Mülltransport abtransportiert worden....
Ich hatte keine Worte mehr. Mir schossen die Tränen hoch und von ganz drinnen im Körper entfesselte sich ein Schmerz und ein Weinen, das nicht mehr aufhören wollte.
Plötzlich merkte ich, dass ich mir eine große Gewalt antun würde, wenn ich das einfach übergehen, meine alltägliche Berufsausübung jetzt in die Hand nehmen und einfach weiter "funktionieren" würde.
Das ging nicht. Ich floh, sagte dem Konrektor noch, dass es mir heute sehr schlecht ginge, ich müsse jetzt nach Hause und war weg, noch bevor die anderen Kollegen kamen und mich so aufgelöst gesehen hätten.
Das ist die Tonne vor dem verwaisten Schafstall. Es war ein dreifacher Schmerz. Zunächst ging es mir um
den Verlust dieses schönen, unter Anleitung von Kindern einstmals außerordentlich liebevoll bemalten Gegenstands, der für mich eine große Wertschätzung der Schafe, der Hühner und der Kaninchen spiegelte, die auf dem kleinen Schafehof damals gehalten wurden.
Dann, dass die Schönheit und Besonderheit dieses Gegenstands sich den heute damit befassten Leuten nicht mitteilen konnte.
Zuletzt, dass mein persönlicher Wunsch so brutal ignoriert, genichtet wurde, so, als sei ich mit diesen Wünschen kein ernstzunehmender Teil dieser Schule. Das war für mich sehr demütigend.
Es ist anscheinend wirklich Zeit für mich zu gehen.
Vorher hatte ich noch die große Gießkanne in der Hand. Die große Monstera-Pflanze im Vorraum von Büro und Schulleitung hatte neue, schöne eingerollte Blätter bekommen, weil sie mit dem Wasser aus den Klassenaquarien gegossen worden war.
Das hatte mich sehr gefreut, dass ich einen natürlichen Dünger für unsere Schulpflanzen entdeckt hatte und ich wollte vor dem Unterricht noch einen Wasserwechsel im Aquarium machen und der Monstera das entnommene Wasser weiter als "Nahrung" geben.
Ich war also guter Dinge gewesen heute morgen und voller positiver Energie.
Durch diese Missachtung, wie ich es empfand, war all diese Energie plötzlich zusammengefallen und weg und ich war ein heulendes Elend darüber, dass alles immer so widrig ist und die Sachen, die mir wichtig sind, den Anderen so unwichtig sind und die Sachen, die ihnen wichtig sind, für mich so widerlich.
In dieser Schule war es mal schön. Ich habe nie die Arbeitstage gezählt. Das war einmal ein lebendiger, wirklich spannender und lehrreicher Ort. Da waren die unterschiedlichsten Individualisten, die ganz viel Energie und Impulse, pädagogisches Denken und Handeln einbrachten und es miteinander teilten und eine Schulleitung, die uns Freiheit und Anerkennung gab und die Schüler und uns vor der Verwaltung und Bürokratie quasi "beschützte".
Wir guckten nicht auf die Uhr und waren auch an Schulferientagen freiwillig da.
Das war heute eine défaite, ein Scheitern, eine Niederlage. Das Eingeständnis: Es ist eine Einöde geworden. Es ist noch das gleiche Gebäude, aber es lebt nicht mehr darinnen.
Ich will da nicht mehr sein. Meine Zeit dort ist vorbei.
Bei den Kindern werde ich mich entschuldigen, dass ich heute nicht da war.
Sie werden das verstehen. Kinder verstehen das.
Hoffentlich.
Es tut mir Leid, dass sie heute vertretungsweise durchgereicht werden. Das ist nicht schön für sie.
Aber andere Menschen ernst nehmen können, heißt auch, sich selbst ernst zu nehmen.
Sonst geht das nicht.
Ich weiß nicht, warum die ganz wichtigen und richtigen Sachen zwischen Menschen, die unmittelbar einleuchten müssten, warum die so selten sind und auf die meisten (erwachsenen!) Menschen so abseitig, marginal und vernachlässigbar wirken.
Das werde ich nie verstehen.